Untersuchungsausschuss
Kurnaz kein »Gefährder«?
Die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses staunen bei der jüngsten Sitzung nicht schlecht, als ihnen Wolfgang Deuß vom Bremer Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Einblicke in die Zustände bei dieser Behörde gewährt. Obwohl für den islamistischen Terrorismus zuständig, erzählt der Zeuge, habe ihn Chef Walter Wilhelm ausgerechnet vom Fall Murat Kurnaz ferngehalten, er habe nur als "Aktenablage" fungiert. Momentan zähle seine Abteilung vier Mitarbeiter, das hänge immer "von der Laune" des Amtsleiters ab.
Trotz seiner lückenhaften Erkenntnisse über die Affäre des zwischen Februar 2002 und August 2006 bis zu seiner durch Kanzerlin Angela Merkel erwirkten Freilassung in Guantanamo inhaftierten Kurnaz steuert Deuß Interessantes zur Frage bei, ob der Bremer Türke vor fünf Jahren als terroristischer "Gefährder" einzustufen war. Mit diesem Argument hatten im Herbst 2002 Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier und die Geheimdienstspitzen eine Einreisesperre gegen Kurnaz für den Fall einer seinerzeit im Raum stehenden Freilassung verfügt. Im Oktober 2002 unterrichtete das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) das LfV über eine Vernehmung von Kurnaz durch BfV- und BND-Mitarbeiter in Guantanamo. Deuß resümiert die Erläuterungen des BfV-Vertreters im LfV so: An dem Verdacht gegenüber Kurnaz sei wohl nichts dran, einige aus Bremen stammende Erkenntnisse seien noch zu überprüfen, doch der junge Türke dürfte Ende November 2002 aus Guantanamo entlassen werden. Aus Sicht von Deuß hat Wilhelm 2002 und 2005 in Papieren gegenüber Kurnaz Sicherheitsbedenken geäußert, obwohl die Recherchen von Vize-Amtschef Lothar Jachmann dies nicht gedeckt hätten, das sei "fatal" gewesen. Als "ungesichert" bezeichnet Thomas Rausch vom Bundeskriminalamt (BKA) die Anfang 2002 vorliegenden Informationen zu Kurnaz. So seien den Türken belastende Zeugenaussagen später teilweise widerrufen worden. Deshalb habe das BKA, so Rausch, den USA damals nur eine "abgespeckte Version" dieser Erkenntnisse übermittelt.
Kurzfristig abgesagt wird die mit Spannung erwartete Befragung eines als "Herr Ö." firmierenden BND-Agenten. Unter Berufung auf Zeugenvernehmungen zum Fall Kurnaz im Verteidigungsausschuss berichten tagesschau.de und Spiegel-Online, dass dieser Geheimdienstler zu Jahresbeginn 2002 im afghanischen Kandahar in einem Lager gewesen sein soll, wo Kurnaz vor seinem Transport nach Guantanamo inhaftiert war. Auch habe "Ö." von den USA in Kandahar eine CD erhalten, deren Verbleib unklar sei. Welche Rolle spielt der Agent im Fall Kurnaz? Nach bisherigem Erkenntnisstand soll der BND erst im Herbst 2002 in Guantanamo mit Kurnaz in Berührung gekommen sein.