Wolfgang Schäuble
Der Innenminister wirbt für mehr Gelassenheit - trotz der Bedrohung durch Terroristen
Herr Minister, wie viel Zeit haben wir noch, ohne Anschläge, in Sicherheit?
Wir leben ja sicher, auch wenn es hundertprozentige Sicherheit nicht gibt. Wir sind Teil des weltweiten Gefahrenraumes, wie die beiden missglückten Anschlagsversuche in Deutschland zeigen. Es gibt zwei Botschaften. Die eine ist: Unsere Sicherheitsbehörden arbeiten sehr gut. Die weniger gute ist: Wir sind bedroht.
Es ist Ihnen diese Woche von verschiedenen Seiten der Vorwurf der Panikmache gemacht worden...
Den Vorwurf weise ich zurück. Wenn Terroristen selbst verkünden, dass die Verwendung unkonventioneller Stoffe für sie eine Option ist, und wenn der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde ebenfalls beunruhigt ist, teile ich dies der Öffentlichkeit mit.
Es gibt also eine atomare Bedrohung?
Nicht in der Form einer Atombombe oder Atomwaffe; diese Technologie beherrschen Terroristen nicht. Das habe ich erkennbar auch nicht gesagt. Aber einen konventionellen Sprengsatz mit nuklear verseuchtem Material zu konstruieren - das könnten Terroristen schaffen. Konkrete Anhaltspunkte für derartige Versuche gibt es glücklicherweise nicht. Aber terroristische Optionen auszublenden, weil sie uns so schlimm erscheinen - das geht jedenfalls nach dem 11. September 2001 nicht mehr. Denn wer hätte vorher gedacht, dass so etwas möglich ist.
Die Kanzlerin hat gemahnt, man brauche "praxistaugliche und verfassungsrechtlich saubere Antworten" auf die Sicherheitsfragen.
Genau daran arbeite ich. Es gab in dieser Woche zwei kontroverse Themen. Das Luftsicherheitsgesetz ist vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden. In der Koalitionsvereinbarung haben wir für diesen Fall vereinbart, eine Prüfung des verfassungsrechtlichen Änderungsbedarfes vorzunehmen; meine Vorschläge liegen vor. Und wir haben eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, was verdeckte Ermittlungen auf Computern, die so genannte Online-Ermittlungen, betrifft. Danach muss man eine rechtliche Grundlage für die von der rot-grünen Regierung begonnene Praxis schaffen. Wir haben einen Vorschlag erarbeitet, dem die SPD bislang nicht zustimmt - obwohl die Sicherheitsbehörden, die Generalbundesanwältin, das BKA, die Vertreter der Polizei, der Richterbund das anmahnen. Es ist hoch an der Zeit, dass die Sozialdemokraten ihre Haltung überprüfen.
Wann gibt es eine Einigung?
Der Koalitionspartner will das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten. So verlieren wir ein halbes Jahr Zeit. Ich sage: Wir können schon heute eine verfassungskonforme Lösung anbieten.
Die SPD hält die Einigung in Sachen Online-Durchsuchung nicht für so dringlich. Der Innenexperte Wiefelspütz sagt, die Methode sei nicht ausgereift.
Auch da bin ich anderer Meinung. Die deutschen Sicherheitsbehörden verfügen über diese Möglichkeiten.
Wie viel Streit verträgt die Koalition noch? Man konnte den Eindruck gewinnen, Union und SPD seien in Sachen innere Sicherheit entfremdet.
Na, so schlimm ist es nun auch nicht. Mit dem Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz und dem Gesetz über die Anti-Terror-Datei haben wir immerhin schon zwei wichtige Vorhaben umgesetzt - gemeinsam. Und bei allem Lärm: In der Bundestagsdebatte der vergangenen Woche hat mir ein sozialdemokratischer Kollege ausdrücklich die weitere sachliche und konstruktive Zusammenarbeit zugesagt. Im Strafrecht kommen wir weiter, bei der internationalen Zusammenarbeit geht's voran. Also: Wir kommen klar, weil wir eine gemeinsame Verantwortung haben.
Wie bewerten Sie die Aussage des Verteidigunsministers, Passagiermaschinen abzuschießen, wenn Terroristen sie als Waffe nutzen sollten?
In dem Fall, dessen Eintritt wir alle nicht wünschen, hat er die Befehlsverantwortung. Ich verstehe seine Situation sehr gut.
Ist eine rechtliche Grundlage für einen Abschuss möglich?
Ich habe einen Vorschlag dazu gemacht. Das Verfassungsgericht hat sich nicht zu der Frage geäußert, ob es einen übergesetzlichen rechtfertigenden Staatsnotstand gebe, auf den sich Herr Jung beruft. Deshalb ist der Vorwurf gegen ihn, er habe einen Verfassungsbruch angekündigt, zurückzuweisen. Aber die Rechtsfrage ist das Eine. Im Kern der Debatte steht doch die ethisch-moralische Frage, wie in einer solch tragischen Situation zu handeln ist.
Muss man denn alles gesetzlich regeln? Gibt es nicht Situationen, für die eben das nicht geht?
Ja, und man muss dann handeln - genau dieses hat der Verteidigungsminister gesagt. Man kann sehr wohl darüber streiten, ob man ein solches Gesetz machen muss. Nur sollte der Streit darüber weniger laut und mit mehr Nachdenklichkeit geführt werden.
Helmut Schmidt hat gesagt, wer den Rechtsstaat schützen will, müsse bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was vom Rechtsstaat erlaubt und geboten ist. Wo sehen Sie die Grenzen?
Schmidt musste 1977 eine besonders schwierige Situation als Bundeskanzler verantworten. Auch früher als Hamburger Innensenator hat er bei der Flutkatastrophe ausdrücklich außerhalb der Verfassung handeln müssen, um Menschenleben zu retten. Auch das ist kritisiert worden, aber man hat hinterher gesagt: Ok, wir müssen das Grundgesetz ändern. Im Übrigen: Abstrakt zu definieren, davor hat er gerade erst gewarnt. Man soll nicht alles regeln wollen. Man soll den Rechtsstaat auch in Extremsituationen handlungsfähig halten.
Sehen Sie eine Chance, die Koalitionsvereinbarung zu realisieren?
Aber ja. Aber es ist nicht immer leicht, wie man merkt.
"Wenn ich sehe, wie die Terroristen aus unseren öffentlichen Debatten lernen, fürchte ich manchmal, dass die Bedrohung nicht ab-, sondern zunimmt", haben Sie in einem Interview gesagt. Was heißt das?
Die offene politische Debatte wird überall verfolgt und beeinflusst die Abläufe enorm. Öffentliche Gerichtsverhandlungen führen dazu, dass polizeiliche Ermittlungsmethoden bekannt und von nachfolgenden Kriminellen einkalkuliert werden; das erklärt zum Teil die fehlenden Fahndungserfolge gegen die RAF in den 90er-Jahren. Das Interesse der Medien spiegelt das hohe Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Beides ist in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar, um politische Entscheidungen transparent und nachvollziehbar zu machen. Medien bringen aber auch umgekehrt Ansichten an die Politik heran, die wir in unsere Entscheidung einbeziehen müssen. Und die schnellen, weltweit zugänglichen Medien des Internets geben auch den Terroristen eine Plattform der direkten Kommunikation in unsere Gesellschaft hinein. Bekennerschreiben konnten früher aus ermittlungstaktischen Gründen unveröffentlicht bleiben - heute kommen sie per Internet. Für die Verbrechensbekämpfung heißt das: Wir müssen uns viel stärker in der Ermittlungsarbeit auf öffentliche Begleitung und Kritik einstellen.
Wie sollen die Bürger mit der Bedrohung umgehen?
Es gilt, was der britische Premierminister Gordon Brown gesagt hat: Wir lassen uns in unserer Art zu leben von den Terroristen nicht einschüchtern. Auch wenn es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, sollten wir nicht in Hysterie verfallen. Ich warne vor jeder Panikmache und vor jedem Generalverdacht. Wir sollten gelassen bleiben und aufmerksam - aber den Sicherheitsbehörden auch vertrauen und ihnen die gesetzlichen Grundlagen geben, damit sie auf einwandfreier, verfassungsrechtlicher Grundlage ihre schwierige Arbeit zur Abwehr großer Gefahren tun können.