»Arisierung«
Die Enteignung des Kondomfabrikanten Julius Fromm
Fromms zieht der Edelmann beim Mädel an" - so wurde Ende der 1920er-Jahre in den Berliner Kneipen gescherzt. Einem jüdischen Kondomfabrikanten war das gelungen, wovon alle Marketing-Fachleute träumen: Der Markenbegriff war zum Synonym für ein Produkt geworden.
Das traurige Ende der Geschichte, wie der erfolgreiche Kondomfabrikant während der Herrschaft der Nazis "unter die deutschen Räuber fiel", erzählen der Historiker und Journalist Götz Aly und der "Spiegel"-Redakteur Michael Sontheimer. Die Geschichte von Fromms ist die Geschichte eines tüchtigen Mannes: Die Familie von Israel From, wie der spätere Julius Fromm laut Synagogenregister hieß, kam 1893 aus dem damals russischen Konin nach Berlin. Als der Vater starb, musste der 15-jährige Israel den Lebensunterhalt für seine Familie verdienen, zunächst mit der Produktion von Zigaretten in Heimarbeit. "Ewig Zigaretten zu stopfen war ihm nicht gut genug", erinnerte sich sein Sohn Edgar, "also studierte er von 1912 an in Abendkursen Chemie. So stieß er auf die Kondome." Zwei Jahre später gründete er sein Unternehmen und startete die Präservativ-Produktion. Während des Ersten Weltkriegs stieg die Nachfrage. Geschlechtskrankheiten und der Wunsch nach besserer Familienplanung taten ihr übriges. Für 72 Pfennige pro Stück wurden die Fromms-Dreier-Schachteln in Drogerien diskret über die Ladentheke geschoben. Das Geschäft florierte, das Unternehmen wuchs und ebenso der Wohlstand der Familie Julius Fromm, wie sich der einstige Israel From nach seiner Einbürgerung nannte. 1929/30 ließ er ein neues, modernes Werk in Köpenick bauen.
In der Kantine der Fabrik hingen ab 1933 Hakenkreuzfahne und Führerbild. Für Politik hatte sich der jüdische Unternehmer nie sonderlich interessiert: "Die Hitlers kommen und gehen. Wir sind doch Deutsche", lautete sein Kommentar angesichts der Bedrohung durch die Nazis. Doch die Schikanen nahmen zu: Der Regierungspräsident stellt Fromms Einbürgerung in Frage und das Nazi-Hetzblatt "Der Stürmer" startet eine Kampagne gegen die "Judenfirma Fromms". Für den Unternehmer war klar: Ob er wollte oder nicht, er musste seine Firma verkaufen und das Land verlassen. Fromm beauftragte seine Bank, einen Käufer zu finden. Doch im Mai 1938 änderte sich die Rechtslage gravierend. Von nun an unterlagen Verkäufe von Firmen, die Juden gehörten, der Genehmigung des Reichswirtschaftsministeriums. Nur wenige Wochen später musste Fromm in eben diesem Ministerium einen Zwangsvertrag unterzeichnen und sein Unternehmen weit unter Wert verkaufen. Die neue Besitzerin der Firma hieß Baronin Elisabeth von Epenstein-Mauternburg - sie war die Patentante von Hermann Göring.
Julius Fromm flüchtete mit seiner Familie nach England. Verwandte, die in Deutschland blieben, wurden in Konzentrationslagern ermordet. Von London aus konnte der Unternehmer nur hilflos zusehen, wie ihn der Staat und Privatleute weiter ausplünderten. "Arisierung" nannten die Nazis diese Enteignungen, der die jüdischen Unternehmen zum Opfer fielen. Fromm musste "Reichsfluchtsteuer", "Auswanderungssteuer" und "Judenvermögensabgabe" zahlen, seine Villa wurde dem Deutschen Reich übertragen und der Haushalt öffentlich versteigert. Es wurden Schnäppchen gemacht. Mitläufer verwandelten sich in Mitnehmer.
Das Reich dieser Räuber war 1945 gerade in Schutt und Asche versunken, da plante Julius Fromm schon den Wiederaufbau seines Unternehmens. Doch wenige Tage nach der Kapitulation starb er unerwartet. In der Familie heißt es: Sein Herz versagte, weil er sich so sehr auf die Rückkehr nach Deutschland gefreut hatte.
Aly und Sontheimer erzählen eine faszinierende Lebensgeschichte und beschreiben gleichzeitig exemplarisch an einem Beispiel, wie sich das Deutsche Reich und viele seiner Bürger auf Kosten der Juden bereicherten.
Fromms. Wie der jüdische Kondom-fabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M., 2007, 218 S., 19,90 ¤