FEINSTAUB
Der Nutzeffekt von Fahrverboten in Innenstädten ist umstritten. Der Bundesrat gibt grünes Licht für Umweltzonen - Handwerker könnten vor Gericht ziehen.
Kfz-Werkstätten wittern gute Geschäfte. Zu erwarten ist ein Ansturm von Autofahrern, die in ihre rußenden Dieselfahrzeuge Partikelfilter einbauen lassen und dafür einen Steuerbonus von 330 Euro kassieren. Ohne eine derartige Nachrüstung werden solche Vehikel aus Umweltzonen ausgesperrt, die eine Reihe von Städten in ihren Citys zur Reduzierung der Feinstaubbelastung einrichten wollen. Berlin, Köln sowie im Südwesten Stuttgart, Ludwigsburg, Leonberg, Ilsfeld und Schwäbisch-Gmünd wollen schon zu Beginn 2008 Fahrverbote verhängen. Andere Orte wie Frankfurt, München, Hannover, Mannheim oder Nürnberg dürften folgen. Folkert Kiepe, Verkehrsdezernent beim Deutschen Städtetag: "Die meisten Großstädte planen Umweltzonen."
Den Weg frei gemacht hat jetzt der Bundesrat mit der Revision der umstrittenen Kennzeichenverordnung, welche die Vergabe grüner, gelber und roter Plaketten als "Ticket" für freie Fahrt in Umweltzonen regelt. Bestimmungen zur Nachrüstung älterer Lastwagen hatten sich als unzureichend erwiesen. Vor allem aber hatten Städtetagspräsident Christian Ude, OB in München, sowie mehrere Bundesländer erfolgreich dagegen protestiert, dass auch die rund 4,6 Millionen Alt-Benziner mit einem Katalysator erster Generation mit Fahrverboten belegt werden sollten - obwohl sie anders als Diesel keinen Feinstaub aus dem Auspuff blasen.
Nun erhalten auch solche Vehikel wie andere Benziner grüne Aufkleber. Diesel mit Filter bekommen je nach Schadstoffausstoß grüne, gelbe oder rote Plaketten. Gelb und Rot berechtigen nur für einige Jahre zur freien Fahrt. Berlin will Autos mit gelben und roten Aufklebern schon 2010 aus dem S-Bahn-Ring verbannen. In Baden-Württemberg soll, so Karl Franz als Sprecher des Umweltministeriums, "die rote Plakette bis 2012 ihre Gültigkeit verlieren". Alt-Benziner ohne Katalysator, die meist Einkommensschwachen gehören und ohnehin bald stillgelegt werden, erhalten bundesweit keine Plakette, obwohl sie "feinstaubneutral" sind: Diese Wagen wolle man wegen ihrer hohen Stickoxidabgabe "aus dem Verkehr ziehen", so Franz.
Laut EU darf an höchstens 35 Tagen im Jahr der Grenzwert von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft überschritten werden. Reißt ein Ort diese Messlatte auf Dauer, so müssen Behörden "Aktionspläne" erarbeiten, zu denen Umweltzonen gehören können - eine Pflicht zu deren Einrichtung gibt es nicht. Nach dem Votum des Bundesrats ist der Konflikt um Fahrverbote indes keineswegs ausgestanden. Besonders eine Kernfrage harrt einer Antwort: Können räumlich begrenzte Fahrverbote für eine geringe Zahl von Autos überhaupt nennenswerte Beiträge zur Verringerung der Feinstaubbelastung leisten?
Kiepe: "Wir tragen den Beschluss der Länderkammer mit, aber nicht mit Begeisterung." Der Dezernent des Städtetags: "Man muss die Feinstaubbelastung an der Quelle bekämpfen, entscheidend sind technische Vorschriften für die Reduzierung des Schadstoffausstoßes der Fahrzeuge." Umweltzonen seien nur "Krücken". Kiepe verweist darauf, dass aus klimatischen Gründen in ganzen Landstrichen mal hohe und mal niedrige Feinstaubwerte auftreten, worauf Rathäuser keinen Einfluss haben. Winde können den "thorakalen Schwebstaub" über Hunderte von Kilometern treiben. Kiepe schätzt, dass innerstädtische Fahrverbote an besonders stark frequentierten Straßen die Feinstaubbelastung zu senken vermögen: "Mehr kann dies nicht leisten."
Laut ADAC sind republikweit lediglich etwa 1,7 Millionen Pkw potenziell von Verboten betroffen, und die absolvieren nur einen kleinen Teil ihrer Fahrkilometer in Umweltzonen: knapp eine Million Diesel, die technisch nur schwer oder gar nicht nachrüstbar sind, und gut 700.000 Alt-Benziner ohne Kat. Offen ist, wie viele ältere Diesel-Lkw letztlich aus Sperrgebieten ferngehalten werden. Nur rund ein Viertel der Feinstaubemissionen stammt aus dem Autoverkehr, den Löwenanteil steuern Industrie und Kraftwerke bei. Der Effekt von Fahrverboten in Umweltzonen "wird absolut gering sein", so ein ADAC-Sprecher. Ein Gutachten württembergischer Industrie- und Handelskammern (IHK) beziffert den Beitrag von Fahrverboten zur Reduzierung innerstädtischer Feinstaubwerte auf weniger als ein Prozent. Ministeriumssprecher Franz erwähnt Studien, die von Quoten "zwischen drei und acht Prozent" ausgehen.
Der Berliner Senat erhofft sich zehn Prozent weniger Feinstaub innerhalb des S-Bahn-Rings. Sollte der Effekt aber so gering sein, so könnte dies eine Rolle spielen, wenn Handwerker ihre nur teuer oder gar nicht nachrüstbaren Alt-Lkw in Umweltzonen nicht mehr einsetzen können und vor Gericht ziehen. Im Südwesten wollen die IHK solchen Klägern helfen. Allerdings gewährt der Staat kleinen und mittleren Unternehmen für die Anschaffung neuer Nutzfahrzeuge mit moderner Abgastechnik Förderkredite bis zu 3.800 Euro. Ob es zu Prozessen kommt, wird vor allem von den umkämpften Ausnahmeregelungen abhängen: Inwieweit kommt man Anwohnern, dem Lieferverkehr, Firmen in Citylage und ausländischen Touristen entgegen? Berlin will restriktiv vorgehen. Der Städtetag erarbeitet momentan Empfehlungen im Interesse einer bundesweit einheitlichen Praxis, in Flächenländern wollen sich Ministerien und Kommunalverbände abstimmen. Oldtimer sollen in Berlin 700 Kilometer im Jahr in der Umweltzone fahren dürfen, München will den alten Kisten den Sommer über grünes Licht geben.