Im Untersuchungsausschuss des hessischen
Landtags zur so genannten Stimmenkaufaffäre steht nach der
Vernehmung von Roland Koch (CDU) nicht mehr Aussage gegen Aussage,
sondern Auslegung gegen Auslegung. Überraschend
bestätigte der hessische Ministerpräsident am 12. Februar
in Grundzügen ein umstrittenes Gespräch mit der Freien
Wählergemeinschaft (FWG), nicht aber deren Interpretation des
Gesagten. Eine Vereidigung dürfte der erfahrene Taktiker damit
abgewendet haben.
Der Ausschuss soll klären, ob die
hessische CDU unter Führung von Koch versucht hat, die Freien
Wähler mit Geld aus der Wahlkampfkostenerstattung für die
erfolgreiche Kommunalwahl 2006 von einer Kandidatur bei der
Landtagswahl im Jahr 2008 abzuhalten. Für die FWG ist das eine
klare Sache: Der Ministerpräsident habe ihnen zwar den Einzug
in den Landtag nicht zugetraut, wohl aber zwei bis zweieinhalb
Prozent - ein Ergebnis, das bei den traditionell knappen
Mehrheitsverhältnissen in Hessen der CDU durchaus
gefährlich werden könnte.
Entgegenkommen
Aus Sicht der FWG stellt sich der Verlauf des fraglichen
Gesprächs so dar: Am 3. April 2006 - kurz nach der
Kommunalwahl - hätten die Christdemokraten bei Häppchen
und Kaffee zum Gespräch in die Landesgeschäftsstelle
gebeten, um das Wahlergebnis und die Finanzierung von freien
Wählergruppen zu besprechen, berichtete etwa der
FWG-Landesvorsitzende Thomas Braun vor dem Ausschuss. Die FWG hatte
mit 5,2 Prozent überraschend gut abgeschnitten. "Ihr wollt zur
Landtagswahl antreten", sagte der Regierungschef laut Braun
sinngemäß, "das passt uns nicht. Das können wir
nicht gebrauchen. Was können wir euch denn Gutes tun?" Brauns
Pressesprecher Dirk Oßwald erinnert sich, für den
Verzicht der FWG habe Koch "Entgegenkommen" bei der
ungeklärten Frage der Kommunalwahlkampfkostenerstattung
signalisiert. "Wir haben das durchaus als ausgeübten Druck
empfunden und in gewisser Weise als Kaufversuch", so
Oßwald.
Wahlkampfkosten
Die Finanzierung ist ein Thema, das der FWG schon lange unter
den Nägeln brennt. Laut einem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts von 1992 soll die Benachteiligung von
Wählergruppen gegenüber Parteien aufgehoben werden.
Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU) griff schließlich
2005 auf einen Gesetzentwurf seines SPD-Vorgängers Gerhard
Bökel aus dem Jahr 1996 zurück, der bei Kommunalwahlen
maximal einen Euro pro Stimme und die Erstattung der
Wahlkampfkosten für freie Wählergruppen vorsah. 1997
wurde zudem das Landeswahlgesetz novelliert und den Freien
Wählern pro Stimme umgerechnet zwei Euro und die Erstattung
der Wahlkampfkosten zugebilligt.
Juristisch ist nach Auffassung von SPD und
Grünen beides parallel möglich, eine Einschätzung,
die auch die CDU teilt. "Wir haben immer gesagt", betonte Koch nun
vor dem Ausschuss, "es gibt nur ein entweder oder, nicht beides."
Es sei deswegen seit Jahren sein Anliegen, eine Regelung zu
schaffen, die die bestehende Systematik der Parteienfinanzierung
nicht in Frage stelle. "Kristallklar" seien die Bedingungen -
Verzicht auf Landtagskandidatur und Parteienkonsens - immer
gewesen. "Es gab zu keinem Zeitpunkt verwerfliche Wünsche oder
Angebote an die FWG", unterstrich Koch.
Seine Darstellung des umstrittenen
Gesprächs vom 3. April wich in den Grundzügen von der
seiner Kontrahenten nicht ab. Auch aus seiner Motivlage machte der
Ministerpräsident keinen Hehl. "Ganz sicher habe ich gesagt,
dass wir kein Interesse an einer Kandidatur der FWG haben. Ein
CDU-Vorsitzender, der das begrüßt, muss noch geboren
werden." Koch meinte, seitens der FWG schon lange eine
"unterschwellige Drohung" verspürt zu haben nach dem Motto
"wenn es mit der Finanzierung nichts wird, dann kandidieren wir".
Eine solche Verknüpfung bestreitet freilich die FWG.
Die ganze Aufregung um den 3. April verstehen die CDU-Granden
jedenfalls nicht. Von einem "kommoden" Gespräch sprach
Innenminister Bouffier im Ausschuss. Und Kultusministerin Karin
Wolff konnte sich zwar nicht präzise an Einzelheiten erinnern,
fand die Unterredung aber "ruhig" , "leidenschaftslos", ja sogar
"langweilig". Von Empörung oder gar blankem Entsetzen, das bei
den Freien Wählern danach geherrscht haben soll, habe weder
die CDU, noch die Öffentlichkeit, noch andere Parteien etwas
erfahren, wunderte sich der Minister- präsident.
In der Tat war das Thema Bestechung erst ein
halbes Jahr nach dem Aprilgespräch hochgekocht, als die FWG
Anfang November ihre Teilnahme an der Landtagswahl beschlossen
hatte und ihr Landesvorsitzender Braun in seiner Parteitagsrede
erklärt hatte, er lasse sich die Kandidatur nicht abkaufen.
Von einem "unmoralischen Angebot", war beispielsweise die Rede.
Koch konterte empört mit dem Vorwurf, Braun treibe ein
"intrigantes Spiel".
"Handfester Skandal"
SPD und Grüne sehen die Vorwürfe gegen Koch durch
seine Aussage vor dem Gremium bestätigt. Der
Ministerpräsident bestreite die Zusammenhänge nicht
länger, stellt die SPD-Obfrau Nancy Faeser fest. "Unter dem
Druck der drohenden Vereidigung hat der Ministerpräsident die
Flucht nach vorn angetreten." Die SPD wirft Koch vor, die
Würde seines Amtes beschädigt zu haben. Es gehe hier
nicht um einen politischen Kuhhandel, betont Faeser, sondern um
einen "handfesten politischen Skandal". "Wenn ein Regierungschef so
etwas für normal hält", so auch der Fraktionschef der
Grünen, Tarek-Al Wazir, "ist die politische Kultur auf den
Hund gekommen". Jetzt bleibt abzuwarten, wie die beiden
Oppositionsfraktionen weiter vorgehen wollen.