Der Tonfall in der Auseinandersetzung um die
Fernwirkungen des Falls Murat Kurnaz und um das Schicksal von
SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird zusehends
giftiger. Max Stadler ortet bei der SPD eine "erbärmliche
Verteidigungslinie".
Empört nennt es der FDP-Obmann im
Untersuchungsausschuss "absolut perfide", wenn aus den Reihen der
SPD das Verhalten der Opposition im Parlamentarischen
Kontrollgremium (PKG) für die Geheimdienste zur Affäre
Kurnaz angezweifelt werde - wogegen sich die Angegriffenen
angesichts der Geheimhaltungspflicht in diesem PKG nicht wehren
könnten. Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) wiederum wirft
CDU-Parlamentariern vor, sie wollten sich neuerdings als
"Menschenrechtsapostel aufspielen". 2001/2002 hingegen habe sich
die Union noch "mit Forderungen nach absoluter Härte
überboten". Sogar Literaturnobelpreisträger Günter
Grass schaltet sich in den Streit ein und prangert bei heutigen
Kritikern der rot-grünen Regierung gerade auf Seiten der CDU
"Heuchelei" an - er finde die Vorverurteilung "grauenhaft".
Es gehört seit jeher zum Wesen von
Untersuchungsausschüssen, dass sie auch für den
politischen Machtkampf instrumentalisiert werden. Im Falle des
unter Terrorverdacht geratenen Murat Kurnaz, der mehrere Jahre in
dem für Folter berüchtigten Lager Guantanamo inhaftiert
war, verselbständigen sich indes die Scharmützel zwischen
den Parteien in wachsendem Maße und drohen sich zunehmend von
der sachlichen Aufklärungsarbeit im parlamentarischen Gremium
zu lösen. Mit gezielt lancierten Indiskretionen wird
kräftig über Bande gespielt. Die Öffentlichkeit muss
zwangsläufig im Nebel stochern: Regie führen Regierungs-
und Oppositionsvertreter mit ihren gefärbten Interpretationen
der häufig hinter verschlossenen Türen anberaumten
Zeugenvernehmungen.
Offene Fragen
Der Kern des Problems liegt allen geharnischten Statements zum
Trotz freilich nach wie vor im Dunkeln: Galt der in Bremen
aufgewachsene Türke Kurnaz bereits 2002 als ungefährlich?
Offerierten schon seinerzeit die USA dessen Überstellung? Und
warum beschlossen die Geheimdienstspitzen im Herbst 2002 unter
Steinmeiers Verantwortung, dem Guantanamo-Gefangenen die Einreise
zu verweigern?
Seit der geheimen Befragung von drei
deutschen Geheimdienstlern, die Kurnaz 2002 auf Kuba verhört
hatten, tobt der Streit um deren Aussagen. Aber was stimmt?
SPD-Obmann Thomas Oppermann zeigt sich angriffslustig: Es sei nun
klar, dass kein formelles US-Angebot zur Freilassung von Kurnaz
existiert habe. FDP, Linkspartei und Grüne hingegen
insistieren, es habe im Kanzleramt sehr wohl einen Anlass gegeben,
dem Bremer Türken die Rückkehr zu verwehren. Offenbar hat
im Ausschuss ein Verfassungsschützer Zweifel an der These
gesät, schon 2002 sei Kurnaz unzweideutig als
ungefährlich einzustufen gewesen. Dies aber sahen zwei
BND-Vertreter seinerzeit als gegeben an. Der Liberale Stadler und
der Linke Wolfgang Nescovic empören sich nun darüber,
dass von SPD-Seite versucht werde, deren Qualifikation in Frage zu
stellen.
Wie aufgeladen die Atmosphäre ist,
demonstriert der Konflikt um den von Kurnaz erwogenen Antrag auf
Einbürgerung. Über einen solchen Schritt wird nicht in
der politischen Arena, sondern in einem gesetzlich geregelten
Verfahren entschieden. Gleichwohl stellen Politiker aus dem
Regierungslager die Einbürgerung von Kurnaz in Frage: Es
dürften keine Sicherheitsbedenken bestehen, so Dieter
Wiefelspütz (SPD), es seien noch "offene Fragen" zu
klären, assistiert Brandenburgs CDU-Innenminister Jörg
Schönbohm. Bernhard Docke als Anwalt des Türken vermutet
dahinter die Absicht, einen nie bestätigten Anfangsverdacht
gegen Kurnaz für heutige Zwecke zu instrumentalisieren.