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Gültig ab: 29.06.2006 13:52
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Notwendige Rosskur oder falsche Therapie?

Bild: Michael Meister und Jürgen Koppelin.
Michael Meister und Jürgen Koppelin.

Bild: Jürgen Koppelin (FDP).
Jürgen Koppelin (FDP).

Bild: Michael Meister (CDU/CSU).
Michael Meister (CDU/CSU).

Streitgespräch: Steuern und Finanzen

Der Name klingt harmlos: Haushaltsbegleitgesetz. Doch hinter dem vom Bundestag vor der Sommerpause beschlossenen Gesetz steckt Brisantes: die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik. Rund 25 Milliarden Euro verlangt die Große Koalition von den Bürgern, damit Staatsfinanzen und Haushalt wieder auf eine solide Basis gestellt werden. Notwendige Rosskur oder falsche Therapie zur falschen Zeit? Darüber führte BLICKPUNKT BUNDESTAG ein Streitgespräch mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion Michael Meister und dem haushaltspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Jürgen Koppelin.

Blickpunkt Bundestag: Herr Meister, warum betreibt die Große Koalition eine rigorose Politik der Mehreinnahmen? Warum Steuererhöhungen, die nicht nur unpopulär, sondern auch konjunkturpolitisch fragwürdig sind?

Michael Meister:Wir haben bei der Regierungsübernahme eine Lage vorgefunden, in der jeder vierte Euro, den der Bund ausgegeben hat, nicht durch Einnahmen gedeckt war. Insgesamt betrifft das ein Volumen von 60 Milliarden Euro. Mit Blick auf nachfolgende Generationen ist das absolut unverantwortlich. Deshalb mussten wir dringend eine Kurskorrektur vornehmen. Dabei haben wir uns für einen Mix aus Ausgabensenkungen, Anschubmaßnahmen für mehr Wirtschaftswachstum und aus Einnahmeerhöhungen entschieden. Konkret heißt dies: Wir haben die Ausgaben in einem Volumen von mehr als zehn Milliarden Euro reduziert. Das war eine große Anstrengung. Wir haben viel Geld in die Forschung gesteckt und als letzten Schritt haben wir den Mut auch zu Steuererhöhungen gehabt.

Blickpunkt: Ist das auch Ihre Sicht, Herr Koppelin? Ist dieser Mix richtig?

Jürgen Koppelin: Nein, er ist nicht richtig. Herr Meister weiß es eigentlich auch besser, denn in der Oppositionszeit hat er ganz anders gesprochen. Wir haben ein anderes Konzept. Das lautet: Ausgaben drastisch reduzieren – und da ist noch erheblicher Spielraum – und dann den Arbeitsmarkt stimulieren. Denn der ist das Entscheidende. Dazu gehören auch ein radikaler Bürokratieabbau und eine Gesetzgebung, die Unternehmensgründungen nicht behindert, sondern fördert. Unser Haushalt kann nur saniert werden, wenn wir den Arbeitsmarkt wieder in Ordnung bringen.

Blickpunkt: Macht es sich die Regierungsseite nicht tatsächlich zu leicht, wenn sie, statt zu sparen oder strukturell umzubauen, den bequemen Weg der Steuererhöhung geht?

Meister: Das sehe ich nicht so. Wir haben über zehn Milliarden Euro innerhalb von sechs Monaten auf der Ausgabenseite eingespart. Das sollte man anerkennen. Das ist die größte Sparleistung, die je eine Regierung in so kurzer Zeit erbracht hat. Das, was Kollege Koppelin angesprochen hat, ist in der Struktur richtig und wird auch von uns anerkannt. Zunächst aber mussten wir alles tun, um den Haushalt wieder auf gesunde Beine zu stellen und die Kriterien von Maastricht einzuhalten. Also: Man muss das eine tun, ohne das andere zu unterlassen.

Koppelin: Leider ist es nicht so, dass Große Koalitionen auch Großes leisten. Schon die erste Große Koalition hat sich eher gegenseitig blockiert als mutige Zukunftsschritte unternommen. Dass liegt einfach an den großen Unterschieden. Jetzt ist das wieder so: Vor der Bundestagswahl hat die SPD gesagt, gar keine Mehrwertsteuererhöhung, die Union hat zwei Prozent Erhöhung angedeutet und nun bekommen wir drei Prozent. Das ist die neue Logik dieser Koalition. Natürlich haben alle Parteien – auch die FDP – Verantwortung für unsere viel zu hohe Verschuldung, und alle müssen dazu beitragen, dies wieder zu ändern. Aber Steuererhöhungen sind das falsche Rezept. Das richtige lautet: Steuern runter!

Blickpunkt: Wer soll das eigentlich alles bezahlen – höhere Mehrwertsteuer, höhere Versicherungssteuer, höhere Spritpreise bei gleichzeitig geringerer Pendlerpauschale, kleinerem Sparerfreibetrag, kürzerer Laufzeit beim Kindergeld? Können Sie sich in die Lage einer normalen Familie hineinversetzen, für die alles erheblich teurer und enger wird?

Meister: Natürlich. Aber die Alternative wäre doch nur, die heutigen Verteilungskonflikte zu Lasten künftiger Generationen zu verschieben. Dies halte ich gerade mit Blick auf Familien für die ungerechteste Antwort, die man geben kann. Wir müssen schon selber dafür sorgen, dass wir das, was wir ausgeben wollen, auch gegenfinanzieren. Natürlich brauchen wir auch strukturelle Maßnahmen, damit das Land längerfristig das finanzieren kann, was man zu Recht von ihm erwartet. Daneben brauchen wir günstigere Konditionen bei den Lohnnebenkosten und beim internationalen Wettbewerb. Hier lauten die Stichworte Unternehmenssteuern und Kapitalertragssteuern. Hier entwickeln wir gerade neue Eckpunkte.

Koppelin: Zwei Dinge gilt es festzuhalten. Erstens: Im Grunde hat der Staat genug Einnahmen, er geht nur nicht vernünftig damit um. Zweitens: Die Menschen müssen wieder mehr Geld in die Tasche bekommen. Deshalb brauchen wir Steuersenkungen und keine Erhöhungen. Denn die Menschen können besser mit dem Geld umgehen als der Staat. Das ist der grundlegende Unterschied zwischen uns und Ihnen. Die Koalition glaubt, dass der Staat am besten mit dem Geld umgehen kann und sorgt dann für die Menschen. Dadurch entstehen immer wieder Reformen, an deren Ende doch dann wieder die Bürger zahlen. Damit muss Schluss sein. Denn die Bürger haben dafür kein Geld mehr. Sie selbst müssen mit Verantwortung und mit Geld ausgestattet werden, um für sich zu sorgen.

Blickpunkt:Wo kann man denn noch deutlich sparen, um den Bürger zu entlasten?

Koppelin: Ich gebe ein Beispiel: Wir haben 1994 für die Bundeswehr Eurofighter bestellt. Nun hat sich die Sicherheitslage entscheidend verändert, dennoch halten wir an der viel zu hohen Stückzahl fest, die wir gar nicht mehr brauchen. Aber wir bewegen uns nicht! Ähnlich ist es in vielen anderen Bereichen.

Meister: Gut, nehmen wir dieses Beispiel. Sie verschweigen dabei, dass wir Vertragsbeziehungen haben, die eine Senkung der Kosten unmöglich machen. Würden wir uns dem entziehen, müssten wir Konventionalstrafe zahlen. Also sind die Einsparungen hier gleich null. Also bitte keine Vorschläge machen, die nicht tragfähig sind.

Blickpunkt:Wichtiges Ziel der Steuererhöhungen ist ja, endlich wieder einen verfassungsmäßigen Haushalt vorzulegen. Wann wird dies sein, denn der soeben verabschiedete Haushalt 2006 ist es ja nicht?

Meister: Immerhin halten wir die Ausnahmeregel unserer Verfassung ein. Aber ab 2007 und alle folgenden Jahre wollen wir das normale Regelwerk unbedingt wieder einhalten. Mittelfristig ist unser Ziel ein ausgeglichener Haushalt. Dass gibt uns ja auch der Stabilitätspakt von Maastricht vor.

Koppelin: Das ist weitgehend Wunschdenken. Ihr eigener Finanzminister hat von den Risiken gesprochen, von denen Sie umgeben sind. Wenn nicht auf dem Arbeitsmarkt endlich etwas geschieht – und hier sehe ich keine Bewegung –, werden Sie kaum Erfolge haben. Es fehlt einfach an Ideen in der Koalition, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen.

Blickpunkt: Warum steckt die Koalition den Löwenanteil aus den Steuererhöhungen nicht in die Senkung der Lohnnebenkosten, um so Arbeit billiger zu machen? Dazu hat nachdrücklich ja auch der Bundespräsident gemahnt.

Meister: Ich hätte auch lieber das gesamte Geld, das wir einnehmen, zur Senkung der Lohnnebenkosten eingesetzt. Aber ich habe die Ausgangslage ja geschildert. Wenn man in der Regierung ist, muss man sich mit den Realitäten auseinander setzen, theoretische Seminare nützen da nichts. Immerhin geben wir einen Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung in die Senkung der Arbeitslosenversicherung. Wichtiger ist, dass es zu strukturellen Veränderungen kommt, damit es zu weiteren Senkungen kommen kann. Das gilt gleichermaßen auch für den Bereich Gesundheit.

Blickpunkt:Wird die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge nicht durch höhere Krankenkassenkosten, die ja schon angekündigt sind, wieder neutralisiert?

Koppelin: So ist es. Es bleibt wieder einmal nichts übrig. Dabei ist die Förderung der Binnennachfrage das Entscheidende zur Entkrampfung unserer Staatsfinanzen. Also muss man die Steuern senken. Das könnte und würde Arbeitsplätze schaffen. Am Ende hätte der Finanzminister sogar mehr Geld. Andere Länder haben uns das vorgemacht.

Blickpunkt: Herr Meister, Herr Koppelin: Welche Note hat sich die Koalition, die ja mit großen Versprechungen angetreten ist, mit ihrer Haushalts- und Steuerpolitik verdient?

Meister: Wir haben unsere eigenen Vorgaben zeitgerecht umgesetzt, sind in unserer Steuerpolitik im Fahrplan, deshalb würde ich ein „gut“ vergeben.

Koppelin: Ich sehe das anders: Die „Versetzung“ der Koalition ist stark gefährdet.

Fotos: Photothek
Das Gespräch führte Sönke Petersen
Erschienen am 6. Juli 2006

Weitere Informationen:

Jürgen Koppelin (FDP),
Jahrgang 1945, ist seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages. Der ehemalige Rundfunkredakteur und gelernte Bankkaufmann ist haushaltspolitischen Sprecher seiner Fraktion und ordentliches Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestages.
E-Mail: juergen.koppelin@bundestag.de
Webseite: www.juergen-koppelin.de

Michael Meister (CDU/CSU),
Jahrgang 1961, ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages. Der Diplom-Mathematiker ist stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion und stellvertretendes Mitglied im Finanzausschuss sowie im Haushaltsausschuss des Bundestages.
E-Mail: michael.meister@bundestag.de
Webseite: www.meister-schafft.de


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