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Gültig ab: 18.06.2008 10:19
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Was bedeutet Parlamentsarmee?

Soldaten der Bundeswehr bei einer Übung im Kosovo
Soldaten der Bundeswehr bei einer Übung im Kosovo
© DBT/Werner Schüring

Bundestag und Bundeswehr

Bundestag und Bundeswehr — beide haben seit der Wiedervereinigung Deutsche aus Ost und West wie selbstverständlich in ihre Reihen aufgenommen und Deutschland als Ganzes repräsentiert. Aber nicht nur das Zusammenwachsen der Nation verbindet sie. Vieles ist einzigartig in den deutschen Streitkräften. Zivilisten haben letztlich das Sagen: Mit diesem Primat der Politik ist Deutschland nach den leidvollen Erfahrungen im Nationalsozialismus ganz gut gefahren. Die Schlüsselrolle bei der Kontrolle und der Entscheidung über den Einsatz der Armee weist das Grundgesetz dem Bundestag zu — und begründet damit das Selbstverständnis der Truppe als „Parlamentsarmee”.

Rund neun Millionen Deutschen kann niemand etwas vormachen, wenn es um die Bundeswehr geht. Denn sie haben die Truppe von innen kennengelernt. Als Wehrpflichtige, als Zeit- oder Berufssoldaten. Einer von ihnen: Winfried Nachtwei, heute Sicherheitspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. Er weiß sich noch gut an seine Gefühle im Bahnhof von Mönchengladbach zu erinnern, „als die Zeit der Freiheit nach dem Abi endete und die Brüllerei begann”. Mitte der 60er sei es beim Bund noch „krass anders” gewesen. Oder auch wieder nicht. Denn sein „Gegenerlebnis” hatte er nach der Entlassung aus der Truppe, als er an der Münsteraner Ordinarienuniversität zu studieren begann. „Beim Bund gab es die Wehrdisziplinarordnung, die Wehrbeschwerdeordnung. Jeder Soldat hatte seine Rechte. Damit war es für den normalen Studenten an der Universität vorbei.”

Kaum einer, der nicht irgendwann persönliche Erfahrungen mit der Bundeswehr macht. Ulrike Merten, heute Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, zog es als kleines Kind zu einer Bundeswehrausstellung, und sie staunte nicht schlecht, die noch junge Truppe mit ihrem mitten in Bielefeld aufgebauten Reservelazarett so ausgerüstet vorzufinden wie das örtliche Krankenhaus. Die interessanteste Beobachtung machte sie jedoch bei der Betrachtung ihrer Eltern. Nach schlimmen Erfahrungen im Weltkrieg waren sie zunächst auf absolutem Ablehnungskurs jeglicher „Wiederbewaffnung” in Deutschland, versuchten ihrer Tochter ebenfalls eine kritische Einstellung zu vermitteln. „Das hat mir nicht geschadet”, erinnert sie sich. Aber Schritt für Schritt hätten auch ihre Eltern erkannt, dass all das, was in der Wehrmacht schiefgelaufen war, in der Bundeswehr ganz anders angefasst wurde. Der selbstbewusste Soldat mit „Innerer Führung” statt blindem Gehorsam zum „Führerbefehl”.

Staatsbürger in Uniform

Paul Schäfer, Obmann der Frak tion Die Linke im Verteidigungs ausschuss, hat, wiewohl vielfach ganz anderer Mei nung, stets ein „entspanntes Verhältnis” zu Bundeswehrsoldaten gehabt. Sei es während des Studiums in Marburg, als er mit Soldaten im selben Fußballverein kickte, sei es in den aufwühlenden Nachrüstungsdebatten, als er mit „kritischer Distanz” mit Soldaten auf einem Podium stand und dabei die Argumente der Friedensbewegung vertrat. Dagegen gehörte für Bernd Siebert, Verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, die Bundeswehr in seiner nordhessischen Hei mat „zum Straßen bild”. Damals habe es in der Nähe zur innerdeutschen Grenze deutlich mehr Standorte und Großmanöver gegeben. Schon damals empfand er die Truppe „als Garant für Stabilität und Sicherheit”.

Birgit Homburger, Obfrau der FDP, bekam durch die Patenschaft ihrer Heimatgemeinde Hilzingen mit einer Kompanie aus Immendingen die ersten Kontakte zur Bundeswehr. Die Patenkompanie machte Biwaks in der Gemeinde, setzte Kinderspielplätze instand und war nach dem Eindruck von Homburger „einfach sehr bürgernah”. Bei SPD-Obmann Rainer Arnold liegen die ersten tiefer gehenden Eindrücke von der Bundeswehr gerade zehn Jahre zurück — als er in den Verteidigungsausschuss kam. Seine Wahrnehmung: „Urteile der Gesellschaft gegenüber Soldaten müssen korrigiert werden.” Er wolle die Truppe nicht glorifizieren, da gebe es wie überall in der Gesellschaft bessere und weniger gute. Doch eines sei bemerkenswert: „Ich treffe bei den Soldaten mehr politisch reflektierende Menschen als ansonsten im Durchschnitt der Bevölkerung.”

Einsatz für Frieden und Stabilität: Bundeswehrkonvoi in Afghanistan
Einsatz für Frieden und Stabilität: Bundeswehrkonvoi in Afghanistan
© Picture-Alliance/Syed Jan Sabawoon
Letztlich überrascht das nicht, wenn man sich die Konstruktion der deutschen Streitkräfte vor Augen hält. Die künftigen Soldaten werden als Staatsbürger in Uniform in die Truppe aufgenommen und angehalten, ihre individuellen Rechte auch wahrzunehmen. Sie lernen zum Beispiel, keine Befehle zu befolgen, die gegen die Menschenwürde und andere Vorgaben der Verfassung verstoßen. Sie setzen sich also intensiver mit dem rechtlichen Rahmen der Republik auseinander, als viele es zuvor in der Schule gelernt haben. Und sie wissen, dass von den Entscheidungen der Politik ihr eigenes Schicksal so fundamental betroffen sein kann wie bei kaum einem anderen Bürger: Wehrpflichtige geloben, Zeit- und Berufssoldaten schwören, der „Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen”.

Sie dienen nicht einem Minister oder einer Kanzlerin, sie dienen dieser Republik, also der parlamentarischen Demokratie. Der Gedanke an deutsche Soldaten hatte bei der Gründung der Bundesrepublik 1949 keine Rolle gespielt. Das Grundgesetz sah keine Streitkräfte vor. Doch die Einbindung in den Westen, die Zuspitzung des Kalten Krieges und der Eindruck des Korea - krieges ließ den Bundestag nach aufwühlenden Debatten 1952 doch einen Beitrag zur Lastenteilung im Westen beschließen. 1954 wurden die verfassungsrechtlichen Grundlagen geschaffen, die ersten Ernennungsurkunden 1955 überreicht. Doch das Parlament ist von Anfang an nicht beschränkt darauf, per Verfassung der Regierung Spielraum für die Einberufung junger Männer zum Waffendienst gegeben zu haben. Es gibt eine fünffache Klammer, die seit nunmehr über fünf Jahrzehnten immer wieder zu spüren ist und nach dem Eindruck sowohl der Truppe als auch der Politik im Großen und Ganzen gut funktioniert.

Da ist erstens die Festlegung durch den Bundestag, wann, wie und zu welchem Zweck die Truppe eingesetzt werden darf. Lange Zeit gehörte der Spannungs- und Verteidigungsfall zu den Szenarien, zu denen die Bundeswehr im Wesentlichen ins Le ben gerufen worden war. Wer unter welchen Umständen den Spannungs- und Verteidigungsfall festzustellen hatte und wie von Anfang an der Bundestag auch ins Spiel kommt, das ist verfassungsrechtlich, gesetzlich und in den Einsatzplanungen detailliert geregelt und wurde immer wieder durchgespielt. Bald nach Gründung der Bundeswehr wurde im Zusammenhang mit der Hamburger Flutkatastrophe 1962 klar, dass die Soldaten nicht nur durch Abschreckung potenzielle Angreifer von einem Krieg abhalten sollten, sondern dass sie ganz praktisch auch im Innern wirken können, wenn die Kräfte von Polizei und Hilfswerken erschöpft sind. Im Zuge der Amtshilfe können sie den zivilen Stellen mit Fähigkeiten zur Seite stehen, über die nur die Militärs verfügen.

Rechenschaft vor dem Parlament: Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidigung, spricht im Plenum
Rechenschaft vor dem Parlament: Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidigung, spricht im Plenum
© DBT/Werner Schüring
Erst nach der Wiedervereinigung wuchs Deutschland in die Rolle eines starken demokratischen Landes hinein, von dem eine Beteiligung an der Lösung internationaler Krisen erwartet wurde. In immer mehr Auslandseinsätzen ist von Seiten der Vereinten Nationen, der NATO oder der Europäischen Union auch eine Beteiligung der Bundeswehr gefragt.

Kontrolle und Beteiligung

Schon 1994 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass solche Einsätze zwar möglich sind, aber jeweils vom Bundestag mandatiert, also unter Beschreibung der genauen Einsatzbedingungen und Einsatzstärken für einen gewissen Zeitraum genehmigt werden müssen. „Konstitutiv” sei dies, und das heißt: Ohne Beteiligung des Bundestages läuft nichts. Nach einem Jahrzehnt Erfahrungen mit Auslandseinsätzen legte das Parlament die genauen Abläufe in verschiedenen Abstufungen für die Intensität der Bundestagsbefassung 2005 im „Parlamentsbeteiligungsgesetz” fest. Am 7. Mai 2008 stärkte das Bundesverfassungsgericht diese parlamentarischen Rechte abermals, indem es auch scheinbare „Routineaufgaben” im Zusammenhang mit Bündnisverpflichtungen immer dann unter Zustimmungsvorbehalt stellte, wenn eine bewaffnete Auseinandersetzung „konkret” zu erwarten sei.

Zweitens hat der Gesetzgeber den Verteidigungsausschuss sogar in der Verfassung verankert und ihm das Sonderrecht zugeteilt, von sich aus auch die Aufgaben eines Untersuchungsausschusses wahrzunehmen, um Vorfälle und Entwicklungen in der Truppe wirksam aufklären zu können.

Drittens gibt es im Bundestag einen eigenen Wehrbeauftragten mit einem arbeitsfähigen Amt, dessen Aufgabe es ist, das Innere der Truppe ständig zu beleuchten. Viertens ist der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt im Verteidigungsfall die Bundeskanzlerin und in Friedenszeiten der Verteidigungsminister — die ebenfalls beide dem Bundestag verantwortlich sind. Der Regierungschef wird vom Bundestag gewählt, der Minister vor dem Bundestag vereidigt. Jederzeit kann er zu Plenar- oder Ausschusssitzungen herbeizitiert werden. In die Führung des Ministeriums eingebunden sind Abgeordnete als Parlamentarische Staatssekretäre.

Grafik: Gremien, Organe und Organisationen
© DBT/Marc Mendelson


Nicht zu unterschätzen ist — fünftens — auch das Budgetrecht des Parlaments. Damit gibt es vor, welchen Umfang und welche Fähigkeiten die Streitkräfte im Allgemeinen haben und welche Anschaffungen im Einzelnen getätigt werden können. Eine Fülle von Vorhaben darf erst dann ver wirklicht werden, wenn der Verteidigungsausschuss sowie der federführende Haushaltsausschuss zugestimmt haben. 

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Text: Gregor Mayntz
Erschienen am 18. Juni 2008


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