Jenseits der Tagespolitik
Kernenergie, Globalisierung, Gentechnologie - es sind stets
Zukunftsfragen, mit denen sich Enquete-Kommissionen befassen. Mit diesen
überfraktionellen, von Abgeordneten und Sachverständigen
besetzten Arbeitsgruppen versucht das Parlament über den
Tellerrand der Tagespolitik hinauszublicken und
Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme zu
finden. Für den Bundestag sind Enquete-Kommissionen zu einem wichtigen Instrument der
Entscheidungsvorbereitung geworden.
1973-1981: Enquete-Kommission "Frau und Gesellschaft"
Als am 8. November 1973 der Bundestag auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion die Einsetzung einer Enquete-Kommission zum Thema "Frau und Gesellschaft" beschloss, reagierte das Parlament damit auf eine Welle des Protests, die Anfang der 1970er-Jahre die Bundesrepublik ergriffen hatte: Die Frauenbewegung. Eine Titelseite des Magazins "Stern", auf der 28 Frauen - darunter Senta Berger und Romy Schneider - bekannten: "Ich habe abgetrieben", war am 6. Juni 1971 zum Auslöser für die deutsche Emanzipationsbewegung geworden.
Protest gegen Diskriminierungen
Tausende Frauen gingen auf die Straße, um gegen den
Paragrafen 218 zu demonstrieren. Doch in dem Protest gegen das
Abtreibungsverbot kulminierte auch der Frust vieler Frauen
über ihre als benachteiligt empfundene rechtliche und
gesellschaftliche Situation. So benötigten Frauen, um einen
Arbeitsvertrag abzuschließen, noch bis 1977 die Unterschrift
des Ehemannes. Auch hatte dieser noch bis 1979 das letzte Wort in
punkto Kindererziehung. Solche Diskriminierungen wollte die
Frauenbewegung abschaffen und das eingelöst sehen, was das
Grundgesetz in Artikel 3, Absatz garantierte: "Männer und
Frauen sind gleichberechtigt".
Frauen rechtlich und sozial gleichstellen
Dementsprechend lautete der Auftrag des Bundestages an die
Enquete-Kommission "Frau und
Gesellschaft", die am 19. Juni 1974 ihre Arbeit aufnahm,
"Entscheidungen vorzubereiten, die zur Verwirklichung der vollen
rechtlichen und sozialen Gleichberechtigung der Frau in der
Gesellschaft führen sollen". Keine einfache Aufgabe für
das Gremium, in das neben fünf Parlamentariern aus den
Fraktionen SPD, CDU und FDP auch fünf Sachverständige aus
den Bereichen Recht, Wirtschaft und Publizistik berufen wurden.
Schließlich ging es nicht nur darum, geltendes Recht auf den
Prüfstand zu stellen und gesellschaftliche Auswirkungen sowie
finanzielle Folgen von künftigen Gesetzesänderungen
abzuschätzen. Die eigentliche Schwierigkeit lag darin, bei
einem Themenfeld, das in besonderem Maße gesellschaftliche
Normen und Wertvorstellungen berührte,
Lösungsvorschläge zu entwickeln, die später von
einer Mehrheit getragen werden konnten - im Bundestag ebenso wie in
der Bevölkerung.
Benachteiligung in Beruf, Bildung und sozialer Sicherung
Wie komplex die Frage der Gleichberechtigung tatsächlich
war, zeigte sich bald. Zum Ende der Legislaturperiode im November
1976 konnte die Enquete-Kommission lediglich einen Zwischenbericht
vorlegen, der jedoch vier "Bereiche der Benachteiligung" von Frauen
ausmachte: Besonders sah die Kommission Defizite im Beruf
(Entlohnung, Aufstiegschancen und Vereinbarkeit mit
Familienaufgaben), in der Bildung (Erziehungsziele, Motivation und
Weiterbildung), im System der sozialen Sicherung (keine
eigenständige Absicherung) und im Hinblick auf die politische
Repräsentation von Frauen (Mitgliedschaften in Partei und
Parlamenten). Lösungsvorschläge konnte der
Zwischenbericht nur andeuten, weshalb der Bundestag am 25. Mai 1977
beschloss, auch in der 8. Legislaturperiode eine Enquete-Kommission
"Frau und Gesellschaft" einzurichten.
Klare Analyse, unterschiedliche Lösungsansätze
Den Abschlussbericht diskutierten die Parlamentarier schließlich fast fünf Jahre später am 19. März 1981. Die fast vierstündige Debatte offenbarte trotz Einigkeit der Redner im Hinblick auf das zu erreichende Ziel der Gleichberechtigung von Frauen jedoch immer noch klare Differenzen. So eindeutig der Bericht die Situation von Frauen analysierte, so unterschiedlich waren die Lösungsansätze, wie eine Gleichstellung tatsächlich zu erreichen sei.
Umstrittene Arbeitszeitmodelle
Einer der zentralen Streitpunkte der Debatte war die Frage, ob Teilzeitarbeit Frauen auf dem Weg zur Gleichberechtigung eher behindere oder nütze. Die SPD-Abgeordnete Renate Schmidt kritisierte stellvertretend für ihre Fraktion: "Teilzeitarbeit führt dazu, dass die Aufgabe Familie und Beruf zu vereinen, allein die der Frauen bleibt". Stattdessen sei ein Arbeitszeitmodell sinnvoll, das die allgemeine Arbeitszeit auf sechs Stunden verringere und Männern und Frauen Zeit für die gemeinsame Wahrnehmung von Haushalts- und Familienaufgaben gebe. Der Abgeordnete Norbert Eimer (FDP) jedoch entgegnete, man dürfe "nichts vorgeben". Frauen "griffen gern zu dieser Form der Beschäftigung, weil sie nach ihrem Rollenverständnis Vorteile bringt".
Um gesellschaftliche Benachteiligungen wirksam zu bekämpfen, plädierte die FDP zusätzlich für ein Antidiskriminierungsgesetz. "Damit können wir wirksam gegen Diskriminierungen in Beruf, Justiz und Medien vorgehen, warb die Abgeordnete Rita Fromm, vertrat damit jedoch eine Minderheitenmeinung.
Bundeskanzler Schmidt: Umdenken notwendig
Trotz solcher Differenzen im Detail: Einigkeit über die Parteigrenzen hinweg herrschte in der Beurteilung der Arbeit der Enquete-Kommission: Mit ihrer Einsetzung habe das Parlament auf die "außerordentliche Bedeutung" des Themas hingewiesen, sagte Helga Wex (CDU/CSU). Der Bericht beleuchte "die Palette der Vielfalt von Problemen", lobte auch Helga Thimm (SPD). Zu ihrer Lösung sei aber nicht nur das Parlament aufgerufen, sondern ein gesellschaftlicher Prozess des Umdenkens notwenig, mahnte schließlich Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) in der Debatte. Das Heil solle nicht allein in der Gesetzgebung gesucht werden, es bedürfe auch der Bemühungen in Beruf, Wirtschaft, Gewerkschaft - und nicht zuletzt der Familien.