Experten streiten über geplante Umstellung der Fälligkeit für Sozialbeiträge
Berlin: (hib/BES) Als eine finanzielle und bürokratische Belastung für die Wirtschaft bezeichnet die Mehrheit der Experten die geplante Umstellung der Fälligkeit für Sozialversicherungsbeiträge. Die Sachverständigen äußerten sich dazu in schriftlichen Stellungnahmen im Vorfeld einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses, die um 15.15 Uhr beginnt.
Grundlage der Beratung ist ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ( 15/5574). Darin ist vorgesehen, dass der Gesamtsozialversicherungsbeitrag künftig parallel zur Berechnung des Lohnes oder Gehalts am Monatsende in voraussichtlicher Höhe fällig sein soll. In den Fällen, in denen es zu Abweichungen wegen variabler Lohnbestandteile oder durch Krankheitstage kommt - so der Entwurf -, ist der verbleibende Restbetrag mit der nächsten Fälligkeit zu zahlen. Mit der geplanten Neuregelung sollen zudem die bisherigen Fälligkeitsregelungen "deutlich" gestrafft und die Fristen für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs auf den Monat vorgezogen werden, im dem auch die Arbeitsleistung erbracht worden ist. Dies führe dazu, dass den Trägern der Sozialversicherung die Beiträge schneller als bisher zur Verfügung stehen werden und damit ihre Liquidität verbessert wird. Künftige Rentenanpassungen sollen laut Entwurf von der Neuregelung unberührt bleiben. Als Alternative zu dieser Umstellung nennen die Fraktionen eine Anhebung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies wäre teurer als die Kosten der Umstellung für Bund, Länder und Gemeinden, die auf rund 60 Millionen Euro geschätzt werden. Durch die vorgezogene Fälligkeit würden zudem Kosten in Höhe von rund 400 Millionen Euro für die Unternehmen entstehen.
Nach Ansicht des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) will die Bundesregierung "mit dieser Liquiditätsspritze" den unter Anpassungsdruck geratenen Beitrag zur Rentenversicherung stabil halten. Sollten die Pläne Wirklichkeit werden - befürchtet der DIHK - werde es zum Vertrauensverlust bei der Alterssicherung kommen: "Statt nachhaltiger Reformen wird erneut nur kurzfristig an den Symptomen kuriert." Außerdem werde es einen Liquiditätsverlust von rund 20 Milliarden Euro für die deutsche Wirtschaft geben. Ähnliche Zahlen liefert auch der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels. Professor Clemens Fuest vom Finanzwissenschaftlichen Seminar der Universität zu Köln beziffert die Belastung für die Wirtschaft mit 10 Milliarden Euro. Nach seiner Einschätzung wird es vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen zu höheren Kosten führen, es könne auch in Einzelfällen zu Insolvenzen kommen. Fuest kritisiert außerdem die geplante Vorverlegung der Fälligkeit auf den drittletzten Werktag des Monats. Sie sei nicht sachgerecht, weil zu diesem Zeitpunkt die tatsächliche Höhe der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsentgelte in vielen Unternehmen noch nicht festliegt. Durch die später fälligen Nachzahlungen oder Rückforderungen entstehe unnötige Bürokratie. Angemessen wäre ein Zeitpunkt von drei Werktagen nach Monatsende.
Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände lehnt in ihrer Stellungnahme die Pläne der Koalition ab. Die Beitragsbelastung der Arbeitgeber würde drastisch steigen, heißt es dazu. Als ein falsches Mittel zur Beitragssatzstabilisierung bezeichnet der Zentralverband des Deutschen Handwerks den Gesetzentwurf. Auch seine Argumente lauten: Liquiditätsentzug für die Wirtschaft, mehr Bürokratie und höhere Kosten. Nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer gefährdet der befürchtete Liquiditätsentzug Unternehmen und Arbeitsplätze gleichermaßen. Der Gesetzentwurf sei ein "Offenbarungseid" in der Rentenversicherung.
Die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen begrüßt zwar die Änderungen inhaltlich, da sie die Liquidität der Sozialversicherungen "in Zeiten angespannter Finanzlage einmalig" verbessern und helfen würde, den Rentenbeitragssatz zu stabilisieren. Dennoch bedeute dies in der Praxis "keineswegs eine Vereinfachung der mit dem Beitragseinzug verbundenen Verwaltungsverfahren". Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte sieht "erhebliche technische Risiken, die auch nicht durch die Einrichtung eines veränderten Abrufverfahrens beseitigt werden können. Die Neuregelung bedeute für die Arbeitgeber und den Prüfdienst der Rentenversicherungsträger eine "nicht unerhebliche Erhöhung des Verwaltungsaufwandes und damit verbundene Mehrkosten".
Volle Unterstützung findet die Vorlage beim Sozialverband VdK Deutschland: Angesichts der schwierigen Finanzlage der gesetzlichen Sozialversicherung sei es nicht gerechtfertigt, Arbeitgebern, die Entgelte zum Monatsende zahlen, bis zum 15. des Folgemonats ein "zinsloses Darlehen" zu gewähren. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßt den Gesetzentwurf. Die Liquidität der Rentenversicherung werde dadurch im kommenden Jahr und darüber hinaus deutlich verbessert. Dem stünden maximale Vorfinanzierungskosten für die Arbeitgeber in Höhe von 400 Millionen Euro gegenüber. Dies sei zumutbar.
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