Größte Grundgesetzreform seit 1949 mit Koalitionsmehrheit beschlossen
Berlin: (hib/BOB) Der Rechtsausschuss hat am Mittwochnachmittag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD gegen die Voten der parlamentarischen Opposition und zwei Stimmen aus den Reihen der SPD die größte Grundgesetzänderung seit 1949, die so genannte Föderalismus-Reform ( 16/813, 16/814), angenommen. Änderungsanträge der FDP, der Linksfraktion und von Bündnis 90/Die Grünen am Entwurf der Koalition fanden keine Mehrheit. Kommenden Freitag, 30. Juni, soll die Reform im Bundestag verabschiedet werden. Anträge der Oppositionsfraktionen zur Grundgesetzänderung (FDP: 16/674, 16/851, 16/954; Linkspartei: 16/647, 16/927; Grüne: 16/648, 16/653, 16/654) wurden nach der Zustimmung zu dem Vorhaben einvernehmlich für erledigt erklärt.
Neun Änderungen, die zwischen den Koalitionsfraktionen ausgehandelt waren, fanden dagegen eine Mehrheit im federführenden Ausschuss. So können beispielsweise Bund und Länder auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung bei der Förderung von Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen zusammenwirken. Sie bedürfen dazu allerdings der Zustimmung aller Bundesländer. Dadurch werde auch - neben den Investitionen - die gemeinsame Förderung der Leistungs- und Ausbildungsfähigkeit der Hochschulen und der Ausbildungschancen der Studenten ermöglicht. Die Zulassungszahlen an Hochschulen würden gesteigert. Auch das Notariat bleibt nach dem Willen des Rechtsausschusses in der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Es wandert somit nicht in die Kompetenz der Länder. Ferner soll die Handlungsfähigkeit des Bundes im Umweltbereich dadurch gestärkt werden, dass er mehr Rechte in der Abfallwirtschaft bekommt.
Die CDU/CSU bezeichnete die heutige Sitzung als "historisch". Der erzielte Kompromiss zwischen den Koalitionsfraktionen sei verantwortungsbewusst. Es gebe nunmehr eine "Frischzellenkur für den Föderalismus in Deutschland". Die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze in der Bundesrepublik sinke. Die Union äußerte weiter, sie habe kein Verständnis für die "Hybris" auf Seiten der Opposition, vor allem bei den Grünen, gegenüber den Ländern. Wenn man einerseits das "hohe Lied der Föderalismus singe", könne man andererseits den Länderparlamenten nicht das Recht nehmen, zu entscheiden, was in deren Zuständigkeit falle.
Für die SPD bedeutete die Tatsache, dass die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze sinkt, ebenfalls einen Erfolg. Es sei durchaus eine Entflechtung zwischen den Kompetenzen des Bundes und der Länder gelungen. Die Änderungen an der Reform bezeichneten die Sozialdemokraten als "das "Nötige und das Mögliche". Die Vereinbarungen für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich der Hochschulen seien zu begrüßen. Nun gelte es, in einem weiteren Schritt die Finanzverfassung Deutschlands in Angriff zu nehmen.
Die FDP hielt Änderungen bei der föderalen Struktur in Deutschland für dringlich, dafür sei der vorgelegte Gesetzentwurf eine "falsche Weichenstellung". Sie monierten vor allem, dass die Änderungen bei der Finanzverfassung noch nicht absehbar seien. Es sei jetzt schon zu befürchten, dass die Länderchefs Themen tabuisieren wollten, aus Angst um ihre finanzielle Stärke. Die Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Ministerpräsidenten bleibe "weit hinter den Erwartungen zurück". Sie kritisierten weiterhin vor allem die Verlagerung der Kompetenzen für den Strafvollzug in die Hand der Länder. Abgesehen davon, dass der Vollzug dann völlig unterschiedlich gehandhabt würde, bestehe die Gefahr, das Ziel der Resozialisierung aus den Augen zu verlieren. Zu kritisieren sei auch die geplante Regelung beim öffentlichen Dienstrecht. Benachteiligt seien hier vor allem die finanzschwachen Länder.
Die Regierungskoalition nehme endlos Anlauf und laufe dann unter der Latte durch, kritisierten die Grünen den Koalitionsentwurf. Die in allerletzter Minute gefundenen Änderungen bei den Hochschulen seien ein Schritt in die richtige Richtung. Doch wenn ein Land "Nein" sage, könne das Ganze nicht stattfinden. Auch bei den Schulen ließe die Koalition jegliche Änderungsbereitschaft vermissen. "Gegen jede Vernunft" ginge auch der Strafvollzug in die Hand der Länder. Auch beim Umweltrecht reiche die Herausnahme der Abfallwirtschaft nicht aus, es drohe nach wie vor eine "Zerfledderung". Beim Besoldungsrecht drohe ein "Wettlauf nach unten".
Die Sozialdemokraten wiederum hatten keinerlei Verständnis für die geäußerten Positionen der Opposition. Den Grünen warfen sie vor, vor drei Jahren sei man gemeinsam mit Reformansätzen gestartet. Heute würde die Fraktion den dringenden Erfordernissen der Reform des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern "nicht gerecht". Die Liberalen ernteten die Kritik, sie verfolgten keinen "seriösen Ansatz". Es helfe nicht weiter, wenn die FDP jede Interessengruppe im Lande "wie aus dem Pralinenkasten" bedienen wolle.
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