Hanning: Entlastende Kurnaz-Beurteilung war "grob fehlerhaft"
Berlin: (hib/KOS) Aufgrund des Gesamtbilds der seinerzeit vorliegenden Indizien und Verdachtsmomente wurde nach Angaben des heutigen Innen-Staatssekretärs und früheren BND-Präsidenten August Hanning der in Bremen aufgewachsene Türke Murat Kurnaz vor fünf Jahren als Sicherheitsrisiko eingestuft. Aus diesem Grund hätten die Geheimdienstspitzen und mehrere Staatssekretäre unter der Leitung des damaligen Kanzleramtschefs Frank-Walter Steinmeier Ende Oktober 2002 eine Einreisesperre gegen den Guantanamo-Häftling für den Fall seiner Freilassung durch die USA einhellig befürwortet. Hanning bezeichnete am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss das von BND-Beamten nach einem im September 2002 in dem US-Gefangenenlager anberaumten Verhör des jungen Mannes in einem Vermerk festgehaltene Urteil, von Kurnaz gehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Gefährdung aus, als "unprofessionell", "grob fehlerhaft" und durch die Fakten nicht gedeckt. Der offenkundig fälschlicherweise unter Terrorverdacht geratene Bremer Türke war Ende 2001 in Pakistan festgenommen und dann über Afghanistan nach Guantanamo gebracht worden, wo er bis zu seiner aufgrund einer Intervention von Kanzlerin Angela Merkel erwirkten Entlassung im August 2006 einsaß. Nach Hanning wollte der Untersuchungsausschuss den heutigen BND-Chef Ernst Uhrlau befragen, der unter der alten Regierung Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt war.
Während der Vernehmung Hannings machten die Abgeordneten von FDP, Linkspartei und Grünen wiederholt deutlich, dass sie in dem für Kurnaz entlastenden Ergebnis des Verhörs auf Guantanamo einen wesentlichen Beleg für ihre These sehen, dass die Ende 2002 gegen den Bremer Türken verhängte Einreisesperre auf der Basis einer nur "dünnen Verdachtslage" (FDP-Obmann Max Stadler) erfolgt sei. Hanning hingegen sagte, die von einem Vertreter des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) nach Guantanamo begleiteten beiden BND-Vernehmer hätten lediglich Näheres über die seinerzeitige Pakistanreise von Kurnaz herausfinden sollen. Dabei habe sich auch Entlastendes für den Betroffenen ergeben, so habe er sich nicht an Kämpfen beteiligt und auch keine Kontakte zu terroristischen Netzwerken unterhalten. Allerdings sei es nicht Aufgabe der BND-Mitarbeiter gewesen, so Hanning, eine Bewertung der Gefährlichkeit des Türken vorzunehmen. Bei den beiden Vernehmern habe es sich im Übrigen "um operative Kräfte, nicht um Analytiker" gehandelt.
Das Gesamturteil über das von dem Türken ausgehende Sicherheitsrisiko sei ohnehin nicht Sache des BND, sondern des BfV und des Bundeskriminalamts (BKA) gewesen. Dabei hätten neben den entlastenden Erkenntnissen des BND zum Pakistanaufenthalt von Kurnaz auch die in Bremen von der Polizei und vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) ermittelten und damals nicht ausgeräumten anderen Verdachtsmomente eine Rolle gespielt. So habe, wie Hanning erläuterte, das Verhalten von Kurnaz einem Muster entsprochen, wie man es häufiger bei potentiell gefährlichen Islamisten vorfinde. Oppositionsabgeordnete konfrontierten den ehemaligen BND-Chef mit der Aussage des Bremer Innensenators Thomas Röwekamp, dass die seinerzeitigen Informationen des LfV über Kurnaz sehr vage gewesen seien und dass diese unbestätigten Erkenntnisse nicht abschließend hätten bewertet werden können. Hanning entgegnete, er habe sich 2002 auf das Gesamturteil des BfV und des BKA verlassen.
Ob sich denn zwischen 2002 und 2006 die Einschätzung der von dem Bremer Türken ausgehenden Gefährdung geändert habe, wollten mehrere Parlamentarier wissen. Auch heute habe er noch kein "belastbares, klares" Urteil über Kurnaz, so der Innen-Staatssekretär. Mittlerweile sehe man einiges sicher in einem "milderen Licht". Doch seien manche Verdachtsmomente immer noch nicht ausgeräumt. Sei denn angesichts ungeklärter Sicherheitsprobleme im Fall Kurnaz Merkels Einsatz für dessen Freilassung falsch gewesen, fragte Max Stadler. Vor dem Hintergrund der mehrjährigen Inhaftierung unter den Bedingungen von Guantanamo sei dies vor allem als "humanitäre Geste" einzustufen, so Hanning. Diese Entscheidung der Kanzlerin habe er "nicht zu kritisieren".
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