Provokation aus Fett und Filz
Ein Tisch, eine Batterie, zwei Kabel, zwei Kugeln: "Tisch mit Aggregat", nannte Joseph Beuys seine Installation aus den Jahren 1958/85, die heute im Wandelgang auf der Plenarsaalebene des Reichstagsgebäudes ihren Platz gefunden hat. Auf einem flachen Podest steht die Skulptur: schlicht, schnörkellos, frei zugänglich. Kaum zu glauben, dass dieses Kunstwerk einst so viel Aufregung im Bundestag auslöste, ebenso wie der Künstler selbst bis zu seinem Tod 1986 immer wieder für Diskussionen in der alten Bundesrepublik sorgte. Seine Kritiker sahen in dem 1921 in Kleve geborenen Beuys einen Spinner, einen Dilettanten und Provokateur, in seiner Kunst aus Materialien wie Filz, Fett, Holz und Honig alles - nur keine Kunst. Die Aktion einer Putzfrau, die 1988 in der Düsseldorfer Kunstakademie eine Fettecke des Künstlers entsorgte, ruft bisweilen noch heute in der Öffentlichkeit hämische Zustimmung hervor. Doch für seine Anhänger war Beuys einer der bedeutendsten und schillerndsten Künstler der Moderne.
Andreas Kaernbach gehört zu letzteren. Der Kurator der parlamentarischen Kunstsammlung sieht in Beuys "wenn nicht sogar die zentrale Künstlerpersönlichkeit des 20. Jahrhunderts". Ein "Bahnbrecher", sei er gewesen, so Kaernbach, der die Kunst und das bis dato gängige Kunstverständnis nachhaltig verändert habe. "Seit Beuys ist Kunst nicht mehr nur das sorgfältig gemalte Bild", erklärt er, "Kunst kann nun ein Werk aus Materialien sein, die vorher niemals als kunst- oder museumswürdig gegolten haben: Filz, Fett, Asche, oder Erde."
Beuys hatte die Vision einer Synthese aus Kunst und Leben. Über Studium und Praxis der Bildhauerei entwickelte er seine Idee der "Sozialen Plastik". Diese meinte einen Kunstbegriff, der alle Lebensbereiche des Menschen umfasst. Im Gegensatz zum traditionellen Kunstverständnis, das den Künstler als Schöpfer von Kunstwerken sieht, dehnte Beuys seine Kunstdefinition auf jede menschliche Tätigkeit aus. Jeder einzelne, der Gesellschaft, Kultur, Politik und Ökologie mitgestaltet, formt sie auch in einem kunsthandwerklichen Sinne, davon war Beuys überzeugt. Sein Ziel: die Energie, die kreativen Kräfte der Menschen freisetzen, so dass diese mündig und verantwortlich mit ihrer Umwelt und Geschichte umgehen. "Jeder Mensch ist ein Künstler", das war seine Maxime. Ein Satz, der ebenso bekannt wie missverstanden und belächelt wurde. Doch entsprechend dieses Kunstverständnisses engagierte sich Beuys auch politisch: 1976 kandidierte er als Spitzenkandidat der von ihm gegründeten "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" für den Bundestag.
Dem Kunstbeirat des Bundestages war es deshalb auch sehr wichtig, Beuys mit einer Arbeit in der parlamentarischen Kunstsammlung vertreten zu wissen. In der Bronzeskulptur "Tisch mit Aggregat" lassen sich zudem die Hauptlinien des Beuys-Werkes ablesen: Tisch, Batterie und die Kugeln - ursprünglich aus Erde geformt - sind Dinge des alltäglichen Lebens, "arme" Materialien. Ihre Aussagekraft nutzte Beuys, um seine Idee von Energiefluss und -speicherung zu verdeutlichen. Die Installation symbolisiert natürlich und technisch erzeugte Energie, also jenes Spannungsreservoir, aus der sich Leben speist und Zivilisation überhaupt erst möglich wurde.
Doch viele Menschen tun sich schwer, Beuys' Ideen zu verstehen, und auch im Bundestag hatte der Künstler bei weitem nicht nur Anhänger: Bereits im Konzept des Kunstbeirates für den Plenarbereich in Bonn war seine Arbeit "Tisch mit Aggregat" vorgesehen. Doch der geplante Kauf der Installation stieß in der Öffentlichkeit auf Widerstände: Rund 400.000 Mark für "Sperrmüll", so der Tenor der Boulevardpresse damals, das sei zuviel. Auch im Bundestag kam es daraufhin zu heftigen Diskussionen. Das Vorhaben scheiterte schließlich, der Haushaltsausschuss stellte keine Sondermittel für den Erwerb zur Verfügung.
Erst mit dem Umzug des Parlaments nach Berlin ergab sich die Chance, die Bronzeskulptur dennoch in die Kunstsammlung zu integrieren - als Dauerleihgabe des Instituts für Auslandsbeziehungen. "So hat Beuys trotz erfolgloser Kandidatur für ein Bundestagsmandat doch noch einen Weg ins Parlament gefunden", scherzt Kaernbach. Den passenden Platz hat er jedenfalls bekommen: "Tisch mit Aggregat" wurde direkt am Bogenfenster zum nördlichen Innenhof aufgestellt. "Dort ergeben sich interessante gedankliche Bezüge zu Hans Haackes Installation im Innenhof", findet der Kurator. Zumindest scheinen hier zwei Provokateure zusammengefunden zu haben: Wie Beuys hat auch Haackes Kunstwerk "Der Bevölkerung" zu einer Kontroverse im Parlament geführt. Streitpunkt war die Frage, ob der aus Neonbuchstaben geformte Titel "Der Bevölkerung" als eine Korrektur der Giebelinschrift des Ostportals "Dem Deutschen Volke" zu verstehen sei. Die Debatte wurde schließlich zugunsten des Haacke-Entwurfs entschieden. Und seine Installation hat - ebenso wie die von Beuys -schließlich doch noch ihren festen Platz im Bundestag bekommen.