"Deutschland ist ein begehrter Partner"
Nach Ansicht des Präsidenten des polnischen Parlaments, Sejm-Marschall Bronislaw Komorowski, ist die Zeit "reif für eine grundsätzliche Vertiefung der Zusammenarbeit“ zwischen Bundestag und Sejm. Das sagte er in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 21. April). Komorowski kommt am Montag zu Arbeitsgesprächen mit Bundestagspräsident Norbert Lammert nach Berlin.
Einfluss der Parlamente stärken
Komorowski betonte, auf der Ebene Sejm-Bundestag solle man darüber reden, "wie sich insbesondere die Parlamente des Weimarer Dreiecks auf die neuen Spielregeln in der EU vorbereiten können und was sie tun sollten, um ihre Schlagkraft zu vergrößern". Außerdem sprach er sich für eine engere europäische Integration vor allem auf dem Gebiet der Energiesicherheit aus.
Zur Reform des EU-Haushalts meinte Komorowski: „Eine größere EU für weniger Geld – das geht nicht.“ Polen kämpfe auch für mehr Mittel für die östliche Nachbarschaftspolitik der EU und wolle ein „leader der Integration“ in dem Teil Europas werden, „mit dem Polen eine Schicksalsgemeinschaft teilt“.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Sejm-Marschall, in jüngster Zeit spricht man vom
Tauwetter zwischen Polen und Deutschland. Wie würden Sie den
Zustand der Beziehungen beschreiben?
Ich hoffe, dass der Begriff nicht ganz stimmt, weil sich die polnisch-deutschen Beziehungen nach 1989 von Grund auf und dauerhaft geändert haben. Dies belegen Meinungsumfragen, wonach Deutschland nicht mehr als schlecht angesehener und mit vielen negativen Stereotypen behafteter Nachbar wahrgenommen wird, sondern als ein begehrter Partner und als ein Land, mit dem auch polnische Hoffnungen verbunden sind. Das ist einer der größten Erfolge der Solidarnosc. Die jeweiligen Regierungen in beiden Ländern haben dies mehr oder weniger in ihrer Politik berücksichtigt und haben sich mit mehr oder weniger Eleganz auf dem polnisch-deutschen Parkett bewegt. Die Rückkehr negativer Assoziationen in Polen wurde aber auch durch manche sehr deutliche Signale verursacht, dass Deutschland wieder von einem Sonderweg in der Außenpolitik träumt.
Wen meinen Sie?
Den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder, der den Eindruck erweckte, dass der deutsche Sonderweg außerhalb der europäischen Integration nach Osten führt.
Denken Sie an die Ostseepipeline?
Unter anderem vielleicht auch daran, aber nicht nur. Dies oder auch die Aktivität von Frau Steinbach spiegelten sich natürlich in manchen Reaktionen einiger politischer Milieus in Polen und waren ein ausgezeichneter Nährboden für verschiedene negative Stereotype, aber ich sage mit Nachdruck, dass dies aus meiner Sicht Dinge sind, die den dauerhaften Prozess und Umbruch in den polnisch-deutschen Beziehungen nach 1989 absolut nicht stören können.
Was sind die deutsch-polnischen Gemeinsamkeiten?
Das breiteste politische Projekt der polnisch-deutschen Interessengemeinschaft ist die europäische Integration und das transatlantische Bündnis. Wir wurzeln auch in einer Wertegemeinschaft und haben eine Menge gemeinsamer Interessen, etwa auf dem Feld der europäischen Außen- und Energiepolitik. Deutschland ist das Land in der EU, das am leichtesten die Vision einer gemeinsamen Ostpolitik mittragen kann - allein aufgrund der geopolitischen Lage. Im polnisch-deutschen Interesse liegt auch eine partnerschaftliche Ausrichtung der Beziehungen der EU zu Russland und eine gemeinsame Politik gegenüber der Ukraine, damit sie sich in den Westen integrieren kann und will. Auch die Demokratisierung Weißrusslands liegt im gemeinsamen Interesse.
Welche Rolle spielen die Kontakte zwischen dem Sejm und dem Bundestag?
Bestimmt nicht die, die sie aus meiner Sicht spielen sollten. Die Zeit ist reif für eine grundsätzliche Vertiefung der Zusammenarbeit - abgesehen von Sympathiebekundungen und gemeinsamen Erklärungen. Die Basis dafür liefert der Vertrag von Lissabon, der nicht nur die Stellung des Europäischen Parlaments stärkt, sondern eine Zusammenarbeit der nationalen Parlamente verlangt. Auf der Ebene Sejm-Bundestag sollten wir nun darüber reden, wie sich insbesondere die Parlamente des Weimarer Dreiecks auf die neuen Spielregeln in der EU vorbereiten können und was sie tun sollten, um ihre Schlagkraft zu vergrößern. Dafür brauchen wir dauerhafte Strukturen im Weimarer Dreieck und eine Zusammenarbeit, die über die Parlamentspräsidenten und Präsidien hinausgeht und die Ausschüsse umfasst.
Polen hat eine Ostpolitik-Initiative in der EU angekündigt. War Ihr jüngster Besuch in der Ukraine derer Vorbote?
Dieser Besuch bestätigt unser unermüdliches Engagement im Prozess der Modernisierung und Demokratisierung der Ukraine nach westlichem Vorbild. Es geht um die Möglichkeit der Einbindung des Landes in die Nato und in die EU. Polen hat in dieser Hinsicht viel zu bieten - nicht nur der Ukraine, auch der EU, weil auch wir jahrzehntelang im Kommunismus lebten und uns davon erholen mussten. Ähnlich wie die Ukraine wollten wir uns aus der Abhängigkeit der Nach-Jalta-Strukturen lösen, die uns auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs platzierten. Dabei geht es nicht unbedingt um große Politik, sondern zum Beispiel um Hilfe bei der Reform der kommunalen Selbstverwaltung.
Wird Polen auf einen harten Kurs pochen in der Frage der Unterzeichnung des Partnerschaftsabkommens der EU mit Russland nur unter der Bedingung, dass Russland die Energiecharta ratifiziert?
Man soll keine Bedingungen stellen, man soll es zumindest nicht offiziell verkünden. Entscheidend für die europäische und polnische Russlandpolitik ist nicht der Grad der Härte, sondern seine Wirksamkeit. Wir dürfen dabei nicht die Augen verschließen vor Menschenrechts- und Demokratieverletzungen oder der Leugnung des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Wir müssen diese Beziehungen also effektiv und pragmatischer als bisher gestalten - auf der Grundlage von Geben und Nehmen.
In diesem Kontext spricht Polen oft die Energiesicherheit an und verlangt eine Art Energiesolidarität. Was bedeutet das?
Die EU muss aus ihrer Osterweiterung Schlüsse ziehen. Das betrifft auch die Finanzierung der Energiesicherheit. Wir reden von der Wirtschaftsintegration - wie kann es dann zwei getrennte, sehr schwach miteinander verbundene Energietransportsysteme für Strom, Gas und Öl geben? Es geht also um eine gemeinsame Vision einer europäischen Energiepolitik aus einem Guss - sowohl, was die Perspektiven neuer Energiequellen angeht, als auch die Nutzung traditioneller Quellen auf neue Art und Weise. Damit meine ich den Bau von Gas- und Ölpipelines sowie eines Stromnetzes unter Berücksichtigung der bestehenden Strukturen in den ehemaligen Ostblockstaaten. Es geht uns um die Liberalisierung des Marktes und den Einfluss der Energiekonzerne auf die Politik der EU-Staaten und die Diversifizierung der Energiequellen. Wichtig ist außerdem, ob EU-Entscheidungen wirtschaftlich oder politisch motiviert sein sollen. Wenn sie politisch motiviert sind, dann sollte es eine gemeinsame Politik sein. Die Tatsache, dass die Ostseepipeline gebaut werden soll, obwohl das Projekt viel teurer ist als eine Landlösung, zeigt, dass dies eine politische Entscheidung ist.
Polen könnte sich daran beteiligen.
Wir halten das Projekt für wirtschaftlich nicht begründet, sondern politisch motiviert. Der Landweg wäre wesentlich billiger - daher sehen wir die Möglichkeit der Beteiligung an der Ostseepipeline nicht. Polen arbeitet an der Vertiefung der europäischen Integration im Enerbiebereich und führt Gespräche über eine polnisch-litauische Energiebrücke, die den Energietransport über Polen in den Westen ermöglichen soll. Sie ist geplant und wird realisiert.
Wie ist die polnische Position bei der Reform des EU-Haushalts?
Auch hier müssen Konsequenzen aus der EU-Erweiterung und der Vertiefung der Integration folgen. Eine größere EU für weniger Geld - das geht nicht. Wenn man die Angleichung der Entwicklungschancen in der EU ernst nimmt, dann muss es zur Verschiebung im EU-Haushalt kommen. Es kann kein Europa mit zwei Geschwindigkeiten geben! Die Proportionen in der Finanzierung der Nachbarschaftspolitik der EU stimmen aus unserer Sicht nicht. Es kann nicht sein, dass 70 Prozent dieser Gelder vor allem für die südlichen Nachbarn der EU verwendet werden. Wir kämpfen um mehr Mittel etwa für die Nachbarschaftspolitik mit der Ukraine und anderen Ländern östlich der EU. Polen ist außerdem keinesfalls am Abbau der Subventionen für die Landwirtschaft interessiert.
Wie sehen Sie das US-Raketenabwehrsystem in Polen?
Im Interesse Polens sollte es - aus meiner Sicht - Teil eines allgemeinen Nato-Projekts sein, das gleichzeitig London, Paris, Berlin und Warschau schützen würde. Polen ist ja von zwischenkontinentalen Raketen nicht bedroht, sondern theoretisch von Kurz- oder Mittelstreckenraketen. Daher gibt es für Polen auch keine ausreichende Begründung, die negativen Konsequenzen der Errichtung eines Raketenschildes zu tragen. Das Projekt würde nur Sinn machen, wenn es auch die Sicherheit Polens gegen die theoretische Bedrohung mit Kurz- und Mittelstreckenraketen erhöhen würde.
In Polen wird über Entschädigungen für polnische Bürger diskutiert, die durch kommunistische Behörden enteignet wurden. Bürger deutscher Herkunft sollen davon ausgenommen werden. Vize-Wirtschaftsminister Hubert Laszkiewicz zweifelt, ob Deutschland dies verstehen wird. Wird es?
Aber natürlich! Wenn es anders wäre, würde Deutschland schleunigst ein Gesetz verabschieden, um die Ansprüche eigener Bürger zu übernehmen, die im Osten ihr Vermögen verloren hatten, so wie Polen die Ansprüche solcher Familien wie meiner übernommen hatte. Die Deutschen, die nach dem Krieg die ehemals deutschen Gebiete verlassen mussten, hatten dies aufgrund internationaler Beschlüsse getan.
"Unser Ziel ist das Herz Europas, nicht sein Eckwinkel", haben Sie nach den gewonnenen Wahlen im Herbst gesagt...
Das bedeutet, dass Polen wieder einer der zentralen Orte werden sollte, wo man über den Fortschritt der europäischen Integration nachdenkt. In diesem Teil Europas, mit dem Polen eine Schicksalsgemeinschaft teilt - mit gemeinsamen Erfahrungen im Kommunismus und der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges - sollte Polen eine führende Rolle als ein "leader der Integration" übernehmen - wie bereits in den 90er-Jahren.
Das Interview führte Bernadette Schweda