"Wir müssen eine politische Entscheidung treffen"
Der Vorsitzende des Bundestags-Finanzausschusses, Eduard Oswald, hält die Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale für eine einfache Form, die Menschen zu entlasten. "Die Menschen stöhnen unter der Last der Energiepreise, und wir müssen ihnen wieder etwas zurückgeben", sagte der CSU-Politiker in einem Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" (Erscheinungstermin 7. Juli 2008).
Mit Wirkung vom 1. Januar 2007 war die steuerliche Entlastung für Fahrten von der Wohnung zum Arbeitsplatz stark eingeschränkt worden. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet noch in diesem Jahr, ob die damalige Kürzung der Pauschale verfassungsgemäß war.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Oswald, vor zwei Jahren wurde die Kürzung der Pendlerpauschale beschlossen. Kommt jetzt eine Rolle rückwärts?
Genau das fragt sich der Bürger: Zuerst habt ihr es uns
genommen, jetzt wollt ihr es uns wieder geben? Die Ausgangslage war
damals eine derart hohe Neuverschuldung, dass wir von der
Europäischen Kommission wegen der Schuldenmacherei mit einem
Defizitverfahren überzogen waren und alles tun mussten, um den
gesamtstaatlichen Haushalt wieder ins Lot zu bringen. Ich habe
einen großen Wahlkreis und darunter gelitten, dass wir den
Menschen, die täglich zur Arbeit fahren, etwas wegnehmen
müssen. Es war ein Konsolidierungsbeitrag von zweieinhalb
Milliarden Euro.
Warum der Meinungsumschwung?
Heute haben wir eine völlig veränderte Situation. Ein
Blick an die Tankstelle genügt, die Menschen stöhnen
unter der Last der Energiepreise, und wir müssen ihnen wieder
etwas zurückgeben. Es ist etwas anderes, ob ich zum
Golfspielen oder zur Arbeit fahre, und deswegen geht es mir um die
Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale. In der Koalition
ist das natürlich noch kräftig umstritten. Aber es
wäre eine einfache Form, die Menschen zu entlasten. Wir
sollten eine politische Entscheidung treffen und nicht warten, bis
das Bundesverfassungsgericht entschieden hat.
Steuerliche Entlastung, Senkung der Sozialversicherungsbeiträge, Haushaltskonsolidierung – was hat für Sie Priorität?
Die Haushaltskonsolidierung bis 2011 hat ganz hohe
Priorität, denn wir leben heute auf Kosten der nächsten
Generation und nehmen immer noch Schulden auf und zahlen Zinsen.
Den Haushalt zu sanieren ist das eine, aber gleichzeitig muss
Deutschland mit Reformen für die Zukunft fit gemacht werden.
Ich möchte, dass junge Menschen nicht als Gastarbeiter ins
Ausland gehen müssen, sondern dass sie einen Arbeitsplatz in
Deutschland haben, dass die Unternehmen hier sind. Es soll nicht so
gespart werden, dass keine Mittel für Investitionen mehr da
sind. Die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, halte ich
für richtig. Das entlastet den Einzelnen, aber auch den
Betrieb. Das ist auch für unsere Volkswirtschaft im
internationalen Wettbewerb wichtig. Das Ziel der Steuersenkung ist,
den Menschen mehr Netto vom Brutto zu lassen. Wir müssen die
Mehreinnahmen, die wir haben, für die Konsolidierung
verwenden, aber auch dem Bürger etwas zurückgeben, damit
er teilhaben kann. Die beste Steuer ist eine, die man nicht erheben
muss, weil sie beim Bürger verbleibt.
Steuersenkungen wären leichter möglich, wenn alle ihre Steuern bezahlen würden.
Wer sagt, ich will Steuern nicht zahlen, kann die legitimen
Möglichkeiten der Steuerersparnis nutzen, obwohl wir auch hier
Einschränkungen vorgenommen haben. Manche Fonds, die es zum
Steuersparen gab, gibt es nicht mehr, da haben wir
Schlupflöcher geschlossen. Aber bewusst sein Geld an den
Gesetzen vorbei aus Deutschland hinauszutragen und sich nicht an
der Solidarität der Gemeinschaft zu beteiligen, muss
geächtet werden.
Sollte die Bundesrepublik gegen ausländische Steueroasen, die nicht kooperieren wollen, vorgehen?
Bevor wir jetzt andere Länder kritisieren, weil es
Steueroasen gibt, müssen wir fragen, wie das Geld dort
hingekommen ist. Was läuft bei uns falsch, dass Menschen ihr
Geld woanders hintragen? Denn wenn in einer globalisierten, freien
Welt heute die eine Steueroase schließt, öffnet gleich
die nächste. Wir brauchen in dieser Frage
gesamteuropäische Lösungen, wir können uns als
Deutsche nicht übernehmen, indem wir meinen, wir könnten
alle Probleme lösen.
Finanzminister Peer Steinbrück hält nicht viel von Steuervereinfachungsmodellen, wie sie Professor Paul Kirchhof vorgeschlagen hat. Stimmen Sie ihm zu?
Die Menschen, und auch ich, wollen ein einfaches Steuersystem,
das gerecht ist. Sobald man sich aber mit Einzelheiten
beschäftigt, sieht man, dass alles kompliziert ist. Die
Kompliziertheit unserer gesamten Gesellschaft und
Wirtschaftsordnung spiegelt sich im Steuerrecht wider. Wir leben
nicht in einer einfachen Welt, aber die Sehnsucht der Menschen ist,
dass alles einfach wird. Darum sage ich: Das Ziel muss man im Auge
behalten. Wir wollten ja mit der Abgeltungsteuer etwas einfacher
machen, und trotzdem sind sofort alle möglichen Einwände
gekommen. Die Leute, die uns täglich sagen, wir müssten
Subventionen abschaffen, sagen auch: Aber doch nicht
meine.
Die Erbschaftsteuerreform ist schon ein paar Monate in der parlamentarischen Beratung. Warum geht es nicht weiter?
Die Erbschaftsteuer ist eine der kompliziertesten Steuern
überhaupt, eines der schwierigsten Felder der Großen
Koalition. Kaum eine Steuer ist so emotionalisiert. Da gibt es
einmal das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Grundstücke
und Geldvermögen gleich zu bewerten, aber auch das Vorhaben,
die Betriebe in die nächste Generation gehen lassen, ohne dass
wir ihre Existenz gefährden. Für mich ist das Grundrecht,
Eigentum zu bilden, zu vererben, ein ganz wesentlicher Teil unserer
freiheitlichen Gesellschaft und Vermögensbildung. Etwas zu
vererben auf Kinder und Verwandte, das ist ein ganz wichtiger
Punkt.
Ist eine Einigung in Sicht?
Wir werden in der Koalition Anfang Oktober in der Lage sein,
einen Vorschlag zu machen. Es gibt den Regierungsentwurf, der aber
nicht die Mehrheit im Parlament findet, auch nicht in der
Großen Koalition, obwohl dort führende Vertreter der
Union die Grundlagen gelegt haben. Der Regierungsvorschlag wird
sicher so nicht kommen. Wir müssen hier ein Bundesgesetz
machen, die Erträge gehen aber an die Länder. Wir
Bundesparlamentarier werden kritisiert, und die Länder
bekommen die Einnahmen. Wir machen keine Erbschaftsteuer für
die Ewigkeit, denn wir können uns nicht von der
internationalen Entwicklung abkoppeln. Um uns herum schaffen immer
mehr Länder die Erbschaftsteuer ab. Steuergerechtigkeit und
Leistungsfähigkeitsprinzip sind vom ganzen Steuersystem zu
gewährleisten und nicht von einzelnen Steuerarten. Wenn die
Positionen, die gerade von meiner Partei gekommen sind und die ich
mittrage, von der Großen Koalition übernommen werden,
können wir im Oktober im Bundestag und im November im
Bundesrat zur Entscheidung kommen.
Die FDP sagt: Gebt den Ländern auch die Gesetzgebungskompetenz.
Ja, auch ich bin für eine Öffnungsklausel, nach der
die Länder dann sagen können, wir machen das so oder so
oder wir verzichten ganz auf die Erbschaftsteuer. Grundstücke
im Süden Bayerns sind zum Beispiel anders zu bewerten als in
Brandenburg.
Ein Jahr Finanzkrise: War es richtig, die angeschlagene Mittelstandsbank IKB auch mit Steuermitteln zu retten?
Hier hat die Bundesregierung richtig gehandelt. Hier gab es
keine Alternative. Weil die Alternativen im Ergebnis um vieles
schlechter gewesen wären und eine Lawine ins Rollen gebracht
hätten.
Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an der Arbeit des Finanzausschusses?
Im Finanzausschuss wird etwas deutlich, was viele Menschen draußen nicht wissen. Jeder Paragraf, jede filigrane Einzelheit wird im Finanzausschuss besprochen, und die Abgeordneten leisten eine ungeheure Detailarbeit. Der Parlamentarier ist ein Generalist. Sobald er aber im Ausschuss ist, ist er ein Spezialist. Und ihm gegenüber steht die geballte Macht der deutschen Ministerialbürokratie, die, ich sag’s mal humorvoll, für jeden Paragrafen einen Beamten hat. Die Assistenz, die der einzelne Abgeordnete hat, wiegt diese Dominanz in keinem Fall auf. Gesetze werden draußen schon auf dem Markt diskutiert, wenn die Parlamentarier sie offiziell erst zugeleitet bekommen. Das sind Probleme im System, die ich beschreiben muss, damit die Öffentlichkeit das weiß. In kaum einem Bereich wird das so sichtbar wie in der Finanzwelt.
Das Interview führte Volker Müller.