Striktes Rauchverbot
Im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ spricht sich der Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, Professor Werner Hohenberger, für ein striktes Rauchverbot aus, um das Lungenkrebs-Risiko zu senken. Das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Gefahr des Rauchens müsse weiter geschärft werden. Auch beklagt Hohenberger „strukturelle Schwierigkeiten“ bei deutschen Studien zur Krebsforschung. Es habe zu viel Bürokratie Einzug gehalten.
Professor Hohenberger, am 18. Februar 1900 wurde in Berlin das „Komitee für Krebsforschung“ gegründet und damit der Grundstein für diesen Forschungszweig gelegt. Was wurde seither erreicht?
108 Jahre sind eine lange Spanne, entsprechend groß ist natürlich der Wissenszugewinn. Damals lag die Operationssterblichkeit bei 30 bis 40 Prozent, ungefähr 1884 hatte Theodor Billroth zum ersten Mal überhaupt einen Magenkrebs entfernt. Über Heilungschancen sprach man damals überhaupt noch nicht, weil kaum jemand geheilt wurde. Betrachten wir den Dickdarm- und Mastdarmkrebs: Damals wurde in so einem Fall immer der Schließmuskel entfernt, inzwischen kann er in 85 Prozent der Fälle erhalten werden, die Langzeitüberlebensquote liegt bei etwa 80 Prozent.
Dennoch erkranken jährlich mehr als 400.000 Menschen in Deutschland an Krebs, mehr als 200.000 sterben an der Krankheit und in einigen Jahren werden Krebserkrankungen die Herz-Kreislauferkrankungen als Todesursache Nummer eins abgelöst haben. Warum?
Das ist schwer zu beantworten. In den vergangenen 20 Jahren ist die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen tatsächlich um etwa ein Viertel zurückgegangen. Auch die Krebssterblichkeit nimmt zwar ab, aber die Neuerkrankungen nehmen zu. Die Inzidenz, also die Häufigkeit von Neuerkrankungen, steigt bei Krebs ab dem 55. Lebensjahr rapide, in allen Ländern der Welt. Es gibt zwar Tumore selbst bei Neugeborenen und Kleinkindern, aber mit fortschreitendem Alter steigt die Krebsgefahr, weil die Selbstreparaturmechanismen der Menschen und ihrer Zellen den Belastungen der Umwelt nicht mehr standhalten. Etwa beim Gebärmutterhalskrebs weiß man, dass es von der ersten Stufe bis zum großen Tumor 15 Jahre dauert, bei Dickdarmtumoren ist es ähnlich. Krebs entsteht nicht von heute auf morgen – und je älter die Menschen werden, desto mehr erleben sie die lange Spanne von der ersten malignen Zelle bis zum Tod durch Krebs. Dennoch hat die Mortalität von Krebserkrankungen in den vergangenen 15 bis 20 Jahren um 15 bis 20 Prozent abgenommen.
Vor einigen Jahren war die Entdeckung eines bösartigen Brusttumors für eine Frau ein ziemlich sicheres Todesurteil. Was bedeutet eine solche Diagnose heute?
Die Heilungschancen sind relativ hoch, weil man einen beträchtlichen Aufwand bei der Behandlung betreibt: Operation, Brustbestrahlung, Chemotherapie. In den 70er-Jahren hat man die Patientinnen meist radikal operiert, das heißt, die Brust entfernt. Dann hat man allmählich begonnen, die Chemotherapie einzusetzen, was vor allem den Frauen hilft, die Metastasen hatten. Später wurde bekannt, dass der Hormonstatus des Brustkrebses Einfluss auf die Prognose hat und dass man bei bestimmten Patientinnen in Abhängigkeit von Alter und Hormonstatus mit Anti-Östrogenen behandeln kann. Dann kam die Bestrahlung, und man konnte weit weniger radikal operieren. Heute ist der Anteil der brusterhaltenden Operationen auf etwa 80 Prozent gestiegen.
Wie kann die Patientin sichergehen, dass sie die beste Behandlung erhält?
In den 70er-Jahren ging eine Frau mit einem Knoten in der Brust zum Frauenarzt oder zum nächsten Chirurgen. Damals gab es keine Leitlinien, die für komplexe Fälle die Behandlung vorgegeben hätten, auch deshalb, weil es außer der chirurgischen Behandlung im Grunde nicht viel gab. Inzwischen ist das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten so groß, dass ein einzelner Arzt das nicht mehr überblickt. Es gibt deshalb Brustzentren, in denen Leitlinien der Fach- und Krebsgesellschaften umgesetzt werden und die festlegen, welche Behandlung in welchen Fällen erfolgt. Natürlich müssen immer wieder Einzelfallentscheiden getroffen werden, aber für die Mehrzahl der Patienten kann man vorgeben, was getan werden muss. Diese Zentrenbildung hat die Deutsche Krebsgesellschaft forciert und sich dabei auf die „großen Killer“ konzentriert: Darmkrebs, Brustkrebs, Prostatakrebs, Lungenkrebs und Hauttumore. Diese Krankheiten sollen in Zentren behandelt werden, wo ein Fall nicht mehr nur in den Händen eines Arztes liegt, sondern der Sachverstand aller Fachrichtungen zusammenfließt.
In einer jüngst veröffentlichten Studie schneidet Deutschland in der 5-Jahres-Überlebensrate nur mittelmäßig ab. Ist unsere Versorgung im internationalen Vergleich so schlecht?
Nein. Das ist eine britische Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift „Lancet Oncology“ erschienen ist. Das Problem dabei ist, dass sich die Zahlen für Deutschland auf das Saarland beziehen, das nur etwa ein Prozent der Population spiegelt. Tatsache ist, dass die Daten unserer Tumorzentren in Sachen Überlebensrate keinesfalls schlechter sind als die anderer Länder. Wir haben vielmehr Zentren, die mit ihren Ergebnissen weltweit als Maßstab gelten.
Bei vielen der insgesamt etwa 230 Krebserkrankungen ist beinahe im Wochenrhythmus von neuen Durchbrüchen in der Forschung zu lesen – aber meist in den USA.
Die USA haben in Sachen Forschung immense Ressourcen, aber 80 Prozent ihrer Ergebnisse werden von Ausländern erarbeitet. Dort wird schlicht mehr Geld für Krebsforschung zur Verfügung gestellt. Deshalb gehen viele junge Forscher in die USA. Es wird aber auch in Deutschland nicht schlecht geforscht. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg hat führende Beiträge geleistet, etwa im Bereich der Apoptose. Das ist der programmierte Zelltod, der bei der Krebszelle eben nicht eintritt, sodass sie immer weiter wächst. Auch am wesentlichen Fortschritt in der Grundlagenforschung, nämlich der Sequenzierung des menschlichen Genoms, waren deutsche Forscher beteiligt. In Deutschland wird noch ein weiteres wichtiges Feld bearbeitet: die zellulären Signaltransduktionen. Das sind Prozesse, mit denen Zellen auf äußere Reize reagieren. Aus dieser Forschung können Medikamente resultieren.
Haben solche Entdeckungen schon Einzug in den Klinikalltag gehalten?
Ja. Es gibt zum Beispiel eine ganze Gruppe verschiedener Tyrosinkinase-Rezeptorenhemmer, die mit relativ wenigen Nebenwirkungen etwa bei Nierenzellkarzinomen oder bestimmten Weichteilgewebstumoren eingesetzt werden. Die Karzinome schrumpfen, weil man genau den Signalweg kennt, an dem man sie angreifen muss. Früher hat man mit Chemotherapeutika gearbeitet, die den Stoffwechsel blockiert haben, aber mit mehr Nebenwirkungen.
Wie teuer ist eigentlich der medizinische Fortschritt?
Auch wenn die Behandlung eines Krebspatienten bis zu 100.000 Euro pro Jahr kosten kann, ist das wirklich Teure die Arzneimittelentwicklung. Die Industrie rechnet mit bis zu 800 Millionen Euro für ein Krebsmittel, von der Idee bis zur fabrikmäßigen Herstellung. Weil sie Medikamente zur Zulassung bringen will, ist sie natürlich an der Forschungsförderung beteiligt, schießt aber auch offenen Studien sehr viel Geld zu. Der zweite große Förderer ist die Deutsche Krebshilfe, die jährlich insgesamt mindestens 60 Millionen Euro in Krebsforschung und Krebsbekämpfung gibt, davon etwa 20 Millionen Euro in die reine Grundlagenforschung. Dann kommt erst der Staat mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Erst im April 2008 hat eine von der EU finanzierte Studie beklagt, dass die Krebsforschungsaktivitäten in Europa zu wenig gebündelt würden. Warum?
In Großbritannien, Skandinavien und den Niederlanden werden viel mehr Studien als bei uns durchgeführt. Dort ist die Behandlung viel stärker regional gebündelt und die Patienten sind dadurch leichter zu rekrutieren. Da haben wir Defizite. Grundsätzlich gibt es aber international einen starken Austausch. Aber Forschung braucht Studien, und da haben wir strukturelle Schwierigkeiten. Beim Aufbau von Krebszentren gibt es die Auflage, dass mindestens zehn Prozent der Patienten an randomisierten Studien teilnehmen müssen, also Studien, in denen eine zweite Gruppe Patienten das zu testende Mittel nicht einnimmt. Aber mit dem Arzneimittelgesetz sind die Auflagen immer höher geworden. Wir glauben, dass da zu viel Bürokratie Einzug gehalten hat.
Sind grundsätzlich genug Patienten bereit, an Studien teilzunehmen?
Es gibt wenige, die prinzipiell Studien ablehnen. Im Gegenteil, viele Patienten gehen dorthin, wo Studien gemacht werden, weil gilt: Wer Studien durchführt, der ist besonders qualifiziert. Patienten, die in Studien behandelt werden, haben immer eine etwas bessere Prognose.
In den vergangenen Jahren hat es einen Perspektivenwechsel von der reinen Behandlung hin zur Prävention gegeben. Kann man sich tatsächlich vor Krebs schützen?
Etwa beim Gebärmutterhalskrebs hat sich die Sterblichkeit in den vergangenen 20 Jahren vor allem deshalb halbiert, weil es Vorsorgeuntersuchungen gibt. Inzwischen hat man auch entdeckt, dass Papilloma-Viren bei der Entstehung dieses Krebses eine Rolle spielen. Daher wurde eine Impfung entwickelt, die seit dem vergangenen Jahr verfügbar ist und mit der man das Zervix-Karzinom mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindern kann, sofern man geimpft wurde, bevor man erstmals in Kontakt mit diesen Viren kommt. Die zweite Möglichkeit sind Vorsorgeuntersuchungen. Regelmäßige Darmspiegelungen können einen Großteil der Tumore verhindern und so die Sterblichkeit verringern. Deshalb bezahlen die Kassen diese Untersuchung mittlerweile ab dem 55. Lebensjahr. Man kann weiterdenken: Ein Teil der Tumore ist vererbt und das Risiko der Nachkommen, daran zu erkranken, liegt bei etwa 50 Prozent. Sie könnten herausgefiltert werden und intensivere Vorsorguntersuchungen bekommen. Leider wird das Angebot der Darmspiegelung noch zu wenig angenommen.
Haben wir mehr medizinischen Fortschritt, aber zu wenig Eigenverantwortung?
Ja. Durch die vielen Kampagnen etwa der Felix-Burda-Stiftung wird zwar das Bewusstsein der Bevölkerung geschärft, aber noch nicht genug. Mittlerweile kann jeder wissen, dass Rauchen, Alkoholkonsum und Gewichtszunahme Faktoren sind, die die Häufigkeit von Krebs beeinflussen. Spricht man ein Rauchverbot aus, ist das für Einzelne zwar misslich, aber es ist der Ansatz, um Lungenkrebs zu vermindern. 1875 beschrieb der Pathologe Rudolf Virchow den Lungenkrebs als Rarität. Dann stieg der Tabakkonsum, und Lungenkrebs war lange Zeit der Killer Nummer eins. Würde man das Rauchen verbieten, könnte man den Lungenkrebs wieder weitgehend zum Verschwinden bringen.