"Politik der Allianz ohne Parlamentarier nicht durchsetzbar"
Herr Dr. Lamers, anfangs waren die Regierungen der NATO-Staaten alles andere als begeistert von der Initiative ihrer Parlamente, die Arbeit des Bündnisses im Rahmen einer NATO-Parlamentarierkonferenz zu begleiten. Wie ist das Verhältnis zwischen NATO und NATO-PV heute?
Ganz hervorragend. Es gibt einen regen Austausch zwischen beiden Organisationen. Der Generalsekretär der NATO, Jaap de Hoop Scheffer, kommt zu jeder Tagung der Parlamentarischen Versammlung, um eine Grußbotschaft an sie zu richten und sich der Diskussion zu stellen – ein Zeichen auch des Respekts für die Arbeit, die wir leisten. Denn sowohl Nordatlantikrat als auch NATO-Generalsekretär wissen, wie wichtig das NATO-Parlament für die Allianz ist.
Worin besteht denn die besondere
Bedeutung des NATO-Parlaments?
Die Parlamentarier können entscheidend dazu beitragen, transatlantisches Verständnis in den Mitgliedstaaten der Allianz zu fördern. Die Parlamente haben in den NATO-Mitgliedstaaten eine sehr starke Stellung. Politik der Allianz ist ohne sie nicht um- und durchsetzbar. In Deutschland etwa muss jeder Einsatz der Bundeswehr – wie zuletzt die Verlängerung des ISAF-Mandats in Afghanistan – vom Bundestag genehmigt werden. Im Vorfeld solcher Entscheidungen ist es hilfreich, dass die deutsche Delegation sich in der NATO-PV mit Parlamentariern anderer Staaten über diese Einsätze austauscht und ihre Informationen in den Bundestag einbringt.
Gerade beim Afghanistan-Einsatz wurde aus
Kreisen der Allianz Kritik geäußert an Art und Umfang
des deutschen Beitrags. Hat dieses Thema auch in der NATO-PV eine
Rolle gespielt?
Ja, und das war auch gut so. Denn dadurch konnte die deutsche Delegation dieser unberechtigten Kritik auf internationaler Ebene entgegentreten. Dabei haben wir festgestellt, dass viele Kritiker einfach schlecht über das deutsche Engagement in Afghanistan informiert waren. Seit wir dieses Informationsdefizit behoben haben, ist die Kritik weitgehend verstummt. Insofern ist der Afghanistan-Einsatz ein exzellentes Beispiel dafür, wie der intensive Austausch mit den Kollegen aus anderen Parlamenten zu einer wieder solidarischeren Aktion im Bündnis beitragen kann.
Ein wichtiges Thema auf der Tagung in Valencia wird der
Kaukasus-Konflikt sein sowie Russlands ablehnende Haltung
gegenüber einer Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die
NATO. Kann und will die NATO-PV hier eine vermittelnde Rolle
spielen?
An der Tagung in Valencia nimmt als assoziiertes Mitglied der Versammlung auch dieses Jahr wieder eine russische Delegation teil. Insofern werden wir natürlich die Chance nutzen, deutlich zu machen, worum es bei einer NATO-Erweiterung geht: Dass die NATO ein Gremium ist, das keinen angreift, keinen bedroht. Wir setzen auf Partnerschaft. Daher sind alle Bedrohungsängste, die momentan von Russland geäußert werden, fern der Realität.
Der Ständige Parlamentarische
NATO-Russland-Ausschuss der NATO-PV ist allerdings für die
Tagung in Valencia ausgesetzt worden. Warum?
Weil wir uns zunächst einmal untereinander abstimmen möchten, wie wir nach den dramatischen Ereignissen im Kaukasus unser Verhältnis zu Russland und zu Russlands Beitrag in der NATO definieren. Wir werden uns auch Gedanken darüber machen, wie wir Russlands Mitarbeit in den Gremien künftig gestalten wollen. Ich trete dafür ein, dass wir im Dialog bleiben. Andererseits kann es nach dem Einmarsch russischer Truppen in Georgien kein „business as usual“ geben.
Welche Themen stehen noch auf der Agenda
der NATO-PV?
Natürlich Afghanistan und das Rüstungsprogramm des Iran, dann das Thema Energiesicherheit. Außerdem wird es um das neue Strategiekonzept für die NATO gehen und um die Frage, wie die NATO neuen Bedrohungen wie dem internationalen Terrorismus, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen etc. begegnen kann. Dabei suchen wir auch die Zusammenarbeit mit Ländern, die nicht der NATO angehören. Vorletzte Woche habe ich anlässlich des Besuchs einer von mir geführten Delegation der NATO-PV in Seoul das südkoreanische Parlament eingeladen, eine Beobachter-Delegation nach Valencia zu entsenden. Es hat diese Einladung noch am gleichen Tag angenommen. Das zeigt, wie groß auch das Interesse anderer Staaten daran ist, sich gemeinsam mit der NATO den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen.