"Nicht in die Krise hineinsparen"
Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Wend, plädiert für Mehrausgaben des Staates, um der aktuellen Rezession zu begegnen. Im Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" vom 1. Dezember 2008 kritisert er zugleich die Finanzpolitik der rot-grünen Vorgängerregierung: "Unter SPD-Finanzminister Hans Eichel zum Beispiel haben wir die Erfahrung gemacht, dass ein In-die Krise-Hineinsparen dem Haushalt am Ende nicht hilft."
Zur Wirksamkeit des jüngst von der Bundesregierung
beschlossenen Konjunkturpakets äußert er sich
zurückhaltend. "Ich stelle keine hohen Ansprüche an die
Einflusschancen dieses Pakets", sagte Wend. "Die Wirtschaft ist
global derart verflochten, dass nationale Konjunkturprogramme
begrenzt wirken. Solch ein Paket kann keine Firmen retten."
Das Staatsziel, von 2011 an keine neuen Schulden mehr zu machen,
ist für Wend unrealistisch geworden. "Es geht um eine
zeitliche Verschiebung, die nicht zu verhindern ist", sagte er.
"Vor zwei Jahren konnte niemand diese Finanzkrise voraussagen. Das
Ziel wäre wahrscheinlich gefährdeter, wenn wir nichts tun
würden."
Die deutschen Landesbanken stehen nach Ansicht Wends im kommenden
Jahr vor einer Zäsur. "Der Druck zur Fusion wird auf einzelne
zunehmen", sagt er im Interview. "Sie haben derzeit kein eigenes
Geschäftsmodell, und werden sich ähnlich entwickeln wie
die Genossenschaftsbanken: dezentrales Operieren und dann
bundesweit die Genossenschaftszentralbank."
Das Interview im Wortlaut:
Herr Wend, sehen Sie in der aktuellen Finanzkrise auch etwas Gutes?
Vielleicht die Einsicht bei Politikern vor allem im angelsächsischen Raum, dass unkontrollierte Finanzmärkte auf Dauer nicht tragbar sind. Dass der Staat in einer sozialen Marktwirtschaft eine ordnende Funktion hat - dagegen stänkert mittlerweile kaum noch jemand.
Ist das alles? Experten sehen zum Beispiel die Chance für eine Flurbereinigung im Bankenwesen.
Für die Landesbanken in Deutschland trifft das gewiss zu. Sie haben derzeit kein eigenes Geschäftsmodell und werden sich ähnlich entwickeln wie die Genossenschaftsbanken: dezentrales Operieren und dann bundesweit die Genossenschaftszentralbank. Aber ansonsten hat sich unser dreigliedriges System aus privaten Geschäftsbanken, den Genossenschaftsbanken und den Sparkassen bewährt. Es stellt sich heute besser dar, als es noch vor einem Jahr diskutiert wurde.
Sie rechnen also im nächsten Jahr mit dem Verschwinden der einen oder anderen Sparkasse.
Ich würde es anders ausdrücken: Der Druck zur Fusion wird auf einzelne zunehmen.
Nach der Verabschiedung des Pakets zur Rettung gefährdeter Banken hat der Bundestag kaum Einfluss auf die Umsetzung - ist die parlamentarische Kontrolle zu lasch?
Nein. Wir Parlamentarier sind nicht fachlich qualifiziert genug, um operativ im Rettungsfonds mitzuarbeiten. Und ein Bundestagsausschuss wird über die Arbeiten informiert.
Also vielleicht auch zu spät informiert, wenn Fehler bereits gemacht worden sind?
Wir haben eben nur eine beaufsichtigende Funktion. Alles Weitere würde einen Schritt zu weit gehen. Die Fonds-Verwalter haben ja auch ein Interesse daran, dass wir sie stützen. Deshalb vertraue ich ihnen.
Hätte man das Konjunkturpaket mit seinen Investitionen nicht schneller auf die Beine bringen sollen?
Sicherlich, man hätte es schneller machen können. Aber ich stelle keine hohen Ansprüche an die Einflusschancen dieses Pakets. Die Wirtschaft ist global derart verflochten, dass nationale Konjunkturprogramme begrenzt wirken. Solch ein Paket kann keine Firmen retten. Aber es geht in die richtige Richtung: Die wahren Schwerpunkte des Pakets decken sich übrigens nicht mit dem, was in der Öffentlichkeit diskutiert wird...
...die Kfz-Steuer?
Zum Beispiel. Die ist nun wirklich im Vergleich zu anderen Punkten im Paket ein absolutes Leichtgewicht. Das Wichtigste am Konjunkturpaket ist die Einführung der degressiven Abschreibung. Das reizt zu Investitionen und unterstützt eine Kernbranche, nämlich den Maschinenbau. Auch das Vorziehen von Projekten in der Verkehrsinfrastruktur und ihre Förderung mit zwei Milliarden Euro mehr, wird der Wirtschaft einen Schub verleihen.
Hätte es da nicht mehr geben können? So werden doch Jobs geschaffen.
So haben es auch die Sachverständigen vorgeschlagen - und ich war von ihnen überrascht. Plötzlich sagen die: Macht mehr Schulden. Seit ich Sachverständigengutachten lese, wurde bisher das Gegenteil gefordert. Diese Neuorientierung über die Möglichkeiten der Haushaltspolitik gibt Stoff zum Nachdenken. Ich bin auch offen für mehr Ausgaben an dieser Stelle. Aber: Die zwei Milliarden Euro hat man nicht ausgewählt, weil das so schöne runde Zahlen sind, sondern weil sie den realen Hintergrund genehmigter Infrastrukturprojekte abbilden.
Sind das verrückte Zeiten? Haushälter fordern mehr Ausgaben und Wirtschaftspolitiker haben das Sparen im Blick?
Ich habe nie zu den Wirtschaftspolitikern gehört, die immer fordern und fordern. Im Interesse der Nachhaltigkeit ist Haushaltskonsolidierung auch ein Wert für die Wirtschaft. Ich sehe beides: Haushalt und Investitionen. Unter SPD-Finanzminister Hans Eichel zum Beispiel haben wir die Erfahrung gemacht, dass ein In-die-Krise-Hineinsparen dem Haushalt am Ende nicht hilft. Heute machen wir mehr als damals.
Was bedeutet das für das Ziel, ab 2011 keine neuen Schulden mehr zu machen?
Das war schon seit der Verabschiedung des Finanzpakets unrealistisch und wird nun mit den neuen Konjunkturimpulsen nicht realistischer. Aber wir müssen jetzt behutsam gegensteuern.
Aber das Ziel eines neuverschuldungsfreien Haushalts bleibt?
Selbstverständlich. Es geht um eine zeitliche Verschiebung, die nicht zu verhindern ist. Vor zwei Jahren konnte niemand diese Finanzkrise voraussagen. Das Ziel wäre wahrscheinlich gefährdeter, wenn wir nichts tun würden.
War es nicht schwammig vom Kabinett, kein Zeitfenster zu nennen? Nun heißt es, "so schnell wie möglich" wolle man die Neuverschuldung stoppen.
Ich glaube, das war schlau. Niemand kann eine Prognose wagen, das wäre Kaffeesatzleserei. Wir wissen ja allein nicht, wie sich die Steuereinnahmen unter rezessiven Bedingungen entwickeln werden. Festlegen wäre Glücksspiel.
Das Konjunkturprogramm soll den Konsum beflügeln. Halten Sie am Soli-Zuschlag fest?
Dann würde uns Geld für Infrastrukturinvestitionen im Osten fehlen. Und die helfen der Konjunktur. Somit wäre das nur eine Verschiebung, aber kein neuer Impuls. Es sei denn, wir gehen in die Verschuldung. Es gibt eben keine Patentlösung. Die haben nur Scharlatane und Populisten.
In den achtziger Jahren gab es das Zauberwort "Deregulierung" - ein Irrtum damals?
Ich glaube nicht, dass das ein Irrtum war. Es ist nur etwas passiert, das in der Menschheit bisher sehr häufig geschehen ist: Wer eine Situation als falsch analysiert und Fehler beheben will, neigt zu Überreaktionen. Ich glaube, wir waren in Deutschland während der achtziger Jahre überreguliert. Da mussten Wachstumskräfte freigesetzt werden. Zu spät aber wurde darauf geachtet, dass man Regeln braucht, denn völlig freie Marktwirtschaft führt nicht zu rationalen Ergebnissen. Nur eine gestaltete Marktwirtschaft bringt das Beste für die Menschen. Nun sind wir auf einem guten Weg.
Das klingt wie ein Plädoyer für einen Mittelweg.
Union und FDP neigen tendenziell dazu, der Marktwirtschaft möglichst viel Raum zu geben, während die SPD dazu neigt, den Einfluss des Staates auf die Marktwirtschaft so groß wie möglich zu machen. Dieser Konflikt tut gut. Denn es muss ein Weg gefunden werden, der die Gestaltung des Staates auf das Erforderliche reduziert. Aber das Erforderliche muss auch gemacht werden.
Zurzeit macht der Staat sehr viel. Zuviel?
Ich sehe dieses Risiko. Wir pumpen jetzt Unmengen Geld in den Markt hinein, und damit ist schon die nächste Krise vorgezeichnet. Denn dieses Geld wird sich einen Weg für Investitionen suchen; damit steigt das Risiko, dass eine neue Blase produziert wird. Und keiner weiß heute, wo die Blase morgen sein könnte. Zu Anfang des Jahrhunderts war es das Internet, jetzt ist es gerade der Finanzmarkt, und morgen?
Sie werden 2009 aus dem Bundestag ausscheiden. Haben Sie das Parlamentarierdasein satt?
Ich hatte mir schon 1998 gesagt, dass ich nicht bis zur Rente Parlamentarier bleiben will, sondern dass ich mir auf Grund meiner Ausbildung und meiner Erfahrung zutraue, mich auf noch einmal zehn Jahre Arbeit ganz woanders zu freuen. Es sollte doch auch für Parlamentarier normal sein, dass zwischen Berufstätigkeit und Berufspolitik mehr Durchlässigkeit herrscht.