Bundestag nimmt Abschied von Annemarie Renger
Berlin: (hib/VOM) Als "bedeutende Parlamentarierin" mit einer "außergewöhnlichen politischen Laufbahn" hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die frühere Bundestagspräsidentin Annemarie Renger gewürdigt. In einem Staatsakt gedachte der Deutsche Bundestag am Donnerstagvormittag der SPD-Politikerin, die am 3. März im Alter von 88 Jahren in Oberwinter bei Bonn gestorben war. Annemarie Renger gehörte dem Deutschen Bundestag von 1953 bis 1990 an, war von 1972 bis 1976 Bundestagspräsidentin und im Anschluss daran bis zu ihrem Ausscheiden 14 Jahre lang Vizepräsidentin des Parlaments. Sie war die erste Frau der Welt an der Spitze eines frei gewählten Parlamentes, wie Lammert betonte.
Nach seinen Worten gehörte Annemarie Renger zu jenen Abgeordneten, "die noch die Weimarer Republik erlebt haben und auf diese Weise eine Brücke zwischen der ersten parlamentarischen Demokratie und dem demokratischen Neubeginn in Deutschland herstellen konnten". Ihre natürliche Autorität sei ihr bis ins hohe Alter erhalten geblieben. Sie habe aber nicht nur Freunde und Bewunderer gehabt. "Auch ihre Partei hatte es nicht immer leicht mit ihr - und sie nicht immer nur Freude an ihrer Partei", sagte der Bundestagspräsident. "Die sozialdemokratische Idee vertrat sie mit Überzeugung und Loyalität." In Fragen, die ihr wichtig gewesen seien, habe sie sich auch schon mal gegen ihre Fraktion gestellt. Dabei habe sie den Artikel 38 des Grundgesetzes - danach sind Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen - auf ihrer Seite gewusst. "Eine Verfassungslage, die bis heute weder an rechtlicher Verbindlichkeit noch an aktueller politischer Relevanz eingebüßt hat", so Lammert.
Besonders habe Annemarie Renger die Verbundenheit mit Israel am Herzen gelegen. "Vierzehn Jahre lang war sie Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe. Ihr Engagement um die Aussöhnung mit Israel, um den christlich-jüdischen Dialog wurde mit hohen Auszeichnungen gewürdigt, darunter die Ehrendoktorwürde der Ben Gurion Universität, die Buber-Rosenzweig-Medaille und der Heinz-Galinski-Preis der jüdischen Gemeinde Berlin", sagte der Bundestagspräsident.
Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ging in seiner Ansprache auf die starke politische Prägung Annemarie Rengers durch ihr sozialdemokratisches Elternhaus ein. Ihr Vater, der Berliner Tischlermeister Fritz Wildung, war Mitbegründer der Arbeitersportbewegung gewesen. Die SPD sei für sie nicht nur eine politische Interessenvertretung gewesen, sondern eine "Gemeinschaft von Gleichgesinnten", die nicht nur den Verstand, sondern auch "Herz und Gefühl" angesprochen habe. Fasziniert sei sie von der "moralischen Kraft" Kurt Schumachers gewesen, dessen engste Mitarbeiterin sie nach dem Krieg wurde. Schröder rief das Bild der jungen Frau vor Augen, die den einarmigen, beinamputierten SPD-Vorsitzenden stützt. "Eines der bewegendsten Zeugnisse der frühen Bundesrepublik", sagte der ehemalige Bundeskanzler. "Die beiden stützten sich im Grunde gegenseitig."
Schröder hob ferner das frauenpolitische Engagement Annemarie Rengers hervor. Für sie sei es erschreckend gewesen, wie viele Frauen sich für Hitler begeisterten, "verfallen einem Scharlatan". Dazu dürfe es nie wieder kommen. Renger stehe in einer Reihe mit großen Kämpferinnen für die Gleichberechtigung der Frau, in der Tradition von Marie Juchacz, der Sozialreformerin, Frauenrechtlerin und Gründerin der Arbeiterwohlfahrt. Eine große Würde und große Unbeugsamkeit habe Annemarie Renger ausgestrahlt. "Dies hat ihr Charisma ausgemacht", sagte Schröder.
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