EU-Vorschläge zur elektronischen Kommunikation stoßen auf Vorbehalte
Berlin: (hib/VOM) Mehrere Vorschläge der EU-Kommission zur künftigen Ausgestaltung von elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten stoßen im Wirtschaftsausschuss des Bundestages ebenso auf Vorbehalte wie im Industrieausschuss des Europäischen Parlaments. In der Sitzung des Wirtschaftsausschusses gab es am Mittwochvormittag eine Premiere: Erstmals war der Ausschuss live in einer Videokonferenz mit der Vorsitzenden des Industrieausschusses, Angelika Niebler (EVP-ED-Fraktion), sowie mit Rudolf Strohmaier, Kabinettschef der EU-Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien, Viviane Reding, in Brüssel verbunden. Während Niebler die Einschätzung des Industrieausschusses in der gestrigen Sitzung skizzierte und Strohmaier die Position der EU-Kommission vertrat, nahmen auch die Fraktionen im Wirtschaftsausschuss zu den Plänen Stellung.
Nach den Worten von Angelika Niebler geht es darum, das vor sechs Jahren in Kraft getretene EU-Richtlinienpaket zur Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte an neue Entwicklungen anzupassen. Vorgesehen ist unter anderem die Einrichtung einer Europäischen Behörde für die Märkte der elektronischen Kommunikation (ECCMA). Die Behörde soll jene ordnungspolitischen Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden ergänzen, bei denen nach Ansicht der EU-Kommission eine Abstimmung auf europäischer Ebene notwendig ist. Unter anderem soll die ECCMA mit der Verwaltung und Entwicklung des europäischen Telefonnummernraumes beauftragt werden. Dabei geht es um ein System für Nummern mit einer EU-weit einheitlichen Vorwahl (3883).
Nach Angabe Nieblers hat der Industrieausschuss "massive Kritik" an diesem Vorschlag geäußert und als Alternative ein Gremium namens "Body of European regulators of Telecom" vorgeschlagen, das Empfehlungen aussprechen, aber keine bindenden Stellungnahmen abgeben soll. Die Unionsfraktion im Wirtschaftsausschuss lehnte das Vorhaben ebenfalls ab. Es sei falsch, wenn in national geprägten Telekommunikationsmärkten eine EU-Agentur alles regeln solle. Die Nationalstaaten könnten dies besser. Auch die SPD wies den Vorschlag zurück, weil dadurch die nationalen Regulierungsbehörden bedeutungslos gemacht würden. "Schädlich und überflüssig" nannte die FDP die ECCMA. Eine bessere Koordination der nationalen Regulierer sei der bessere Weg. Rudolf Strohmaier wies zurück, dass diese Agentur mit 135 Mitarbeitern alles regeln solle. Die nationalen Regulierer wollten eine Intensivierung der Zusammenarbeit, sagte der Kommissionsvertreter.
Die EU-Pläne sehen laut Angelika Niebler auch ein Vetorecht der EU-Kommission vor, wenn ein nationaler Regulierer von Vorgaben aus Brüssel abweicht. Nach heftiger Kritik im Industrieausschuss sei ein abgestuftes Verfahren vorgeschlagen worden, wonach die Kommission nicht allein entscheiden solle, sondern im Zusammenspiel mit nationalen Regulierungsbehörden. Die Unionsfraktion im Wirtschaftsausschuss hielt ein Vetorecht der Kommission für nicht zweckmäßig und falsch. Ablehnung signalisierte auch die SPD. Die FDP unterstrich, die Unabhängigkeit der nationalen Regulierer müsse gewährleistet bleiben. Ein weiterer Streitpunkt ist das geplante Regulierungsinstrument der "funktionalen Trennung". Danach sollen Unternehmen künftig von nationalen Regulierungsbehörden verpflichtet werden können, zwischen Netzbetrieben und Telekommunikationsdiensten zu trennen. Auch dies wird nach Angaben Angelika Nieblers im Industrieausschuss von einigen eher kritisch gesehen. Für die Unionsfraktion im Wirtschaftsausschuss bedeutet dies einen Eingriff in das jeweilige Unternehmen. Auch die FDP lehnt eine solche Regulierung auf EU-Ebene ab.
Ein zentraler Punkt der EU-Vorschläge ist darüber hinaus die Liberalisierung der Frequenzpolitik. So sei geplant, einheitliche Mechanismen bei der Vergabe der Funkfrequenzen zu schaffen, sagte Angelika Niebler. Im Mittelpunkt stünden jene Frequenzen, die durch die Digitalisierung frei werden. Hier habe es im Industrieausschuss eine Tendenz zu einer stärkeren Koordinierung gegeben, um sich im internationalen Wettbewerb besser aufzustellen. Die Unionsfraktion im Wirtschaftsausschuss unterstrich, die Belange des Rundfunks, die in jedem Mitgliedstaat andere seien, müssten berücksichtigt werden, sodass sich die Fraktion auch hier gegen eine gesamteuropäische Regelung aussprach. Die SPD vermisste Mechanismen, die Innovationen und Investitionen erleichtern. Es werde zu wenig klar, wie Breitbanddienste für alle ermöglicht werden können. Die FDP plädierte für Flexibilität der nationalen Regulierer. Auch für Bündnis 90/Die Grünen stand die Frage im Vordergrund, wie der Rundfunk und meinungsbildende Dienste behandelt werden sollen. Die Linksfraktion meinte, die Breitbandversorgung müsse in den Katalog der Universaldienstleistungen aufgenommen werden, die flächendeckend bereitgestellt werden müssen. Darüber hinaus vermisste die Fraktion die "soziale Dimension" in den Vorschlägen.
Angelika Niebler nannte den Zeitplan "ambitioniert", um das Paket noch vor Ende der Legislaturperiode des Europaparlaments 2009 in Kraft zu setzen. Bereits am 3. Juni wolle der Industrieausschuss seine Beratungen dazu abschließen. Der Wirtschaftsausschuss will die Vorschläge der EU-Kommission (Ratsdokumente Nr. 14872/07, 15365/07, 15371/07, 15379/07, 15387/07 und 15408/07) in seiner nächsten Sitzung abschließend beraten.
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