"DAS PARLAMENT" Interview mit Ruprecht Polenz:
"Wenig kontruktive Rolle Russlands"
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 25. Februar 2008)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, kritisiert Russland für die Kosovo-Politik und rät den Serben, nach vorne zu schauen
Nach Ansicht des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, hat Russland bislang eine „wenig konstruktive Rolle“ in der Kosovo-Frage gespielt und „der Sache keinen guten Dienst erwiesen“. Die Bedenken Russlands halte er „für zumindest nicht zu Ende gedacht“, sagte Polenz in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 25. Februar). Trotzdem befürchtet Polenz keine Belastung der Beziehungen zu Russland wegen der Anerkennung des Kosovos durch die EU-Staaten: „Gute Beziehungen zwischen der EU und Russland liegen objektiv im beiderseitigen Interesse. Ich glaube nicht, dass sich Russland jetzt auf eine Verschlechterung des Verhältnisses zur EU insgesamt einlassen will“, so Polenz. Den Serben riet der CDU-Politiker, nach vorne zu schauen und nüchtern zu analysieren, was in ihrem Interesse liege. Er selbst sehe „die eigentliche Perspektive“ für das Kosovo und für Serbien in Europa, das die Kraft besitze, „alte Frontstellungen auf dem Balkan“ zu überwinden. Allerdings zwinge niemand Serbien, den Weg in die EU zu gehen. Die jüngsten Wahlen zeigten aber, dass dies der Wille der serbischen Mehrheit sei.
Polenz wandte sich gegen Bedenken, das Kosovo könnte anderen Volksgruppen als Präzedenzfall dienen. Diese Besorgnis „geht in die Irre“, so Polenz. Als Beispiel nannte er die „so genannte“ Türkische Republik Zypern, die bis heute von der Staatengemeinschaft nicht anerkannt wurde.
Diese Vorabmeldung sowie Zitate aus der folgenden Wortlautfassung des Interviews mit Ruprecht Polenz stehen den Medien bei Nennung der Quelle zur sofortigen Veröffentlichung frei.
Quelle: „Das Parlament“ Nr. 09/2008 vom 25. Februar 2008
Herr Polenz, haben Sie sich mitgefreut angesichts des Jubels in Pristina nach der Geburt des neuen Staates Kosovo?
Ich kann den Jubel verstehen, aber eine unbefangene Freude war die Stimmung bei mir nicht, denn für mich ist das erst der erste Schritt auf einem sehr anstrengenden Weg, das Kosovo voranzubringen. Die Arbeit fängt jetzt erst an.
So lässt sich die eher verhaltene Freude in der EU erklären. Das Geburtstagskind könnte aber etwas enttäuscht sein…
Nun, die Europäische Union sollte möglichst geschlossen agieren. Bekanntlich haben aber einige EU-Länder große Probleme, das Kosovo völkerrechtlich anzuerkennen. Und natürlich weiß die EU, dass die Eulex-Mission eine große Aufgabe für die Gemeinschaft ist. Die Albaner im Kosovo und das Kosovo insgesamt sollten das nicht als Zögerlichkeit verstehen, sondern auch als Zeichen dafür, dass die einseitige Unabhängigkeitserklärung von allen Möglichkeiten die zweitbeste Lösung ist.
Was wäre die beste Lösung gewesen?
Die beste wäre gewesen, wenn sich Albaner und Serben hätten einigen können.
Um auf die Stimmung zurückzukommen: Verstehen Sie die Wut der Serben?
Nur bedingt. Im Grunde wird das Kosovo seit 1999 nicht mehr von Serben verwaltet. Die Apartheidpolitik und das gewaltsame Vorgehen von Milosevic und der serbischen Seite haben zu so tiefer Entfremdung mit der albanischen Bevölkerungsmehrheit geführt, dass es für die Albaner praktisch unzumutbar wurde, in dem gemeinsamen Staat zu bleiben. Dass der Verlust von Territorium, das eigentlich Milosevic schon verloren hatte, jetzt zu Enttäuschung und auch zu Ärger führt, kann man nachvollziehen. Ich kann den Serben nur wünschen, dass sie möglichst schnell über diese Stimmung wegkommen, nach vorne schauen und nüchtern analysieren, was in ihrem Interesse liegt.
Die Befürworter des unabhängigen Kosovos weltweit unterstreichen, es sei kein Präzedenzfall. Stimmt das wirklich?
Ja, denn es ist von der ganzen Entstehungsgeschichte her ein einmaliger Prozess gewesen. Das wäre sicherlich noch deutlicher geworden, wenn dieser Prozess auf der Basis einer UN-Resolution des Sicherheitsrates seinen Abschluss gefunden hätte. Das hat Russland verhindert. Aber die Besorgnis, es könnten sich nun alle möglichen Volksgruppen für unabhängig erklären und damit Völkerrechtssubjekte werden, geht in die Irre.
Sind Befürchtungen separatistischer Tendenzen so abwegig?
Wir haben ja das Beispiel der so genannten Türkischen Republik Zypern. Sie hat sich für unabhängig erklärt. Bis heute ist sie nur von der Türkei völkerrechtlich anerkannt. Das reicht bekanntlich nicht. Ähnlich wäre das, wenn die Gebiete, die immer genannt werden, Abchasien, Ossetien, Transnistrien oder Westsahara auf eine solche Idee kämen. Das würde keine völkerrechtliche Resonanz finden.
Trotzdem sind einige EU-Länder gegen die einseitige Unabhängigkeitserklärung. Nach spanischer Lesart ist sie mit internationalem Recht nicht vereinbar.
Im Falle Spaniens gibt es die Sorge, dass die Basken dadurch in ihren Unabhängigkeitsbestrebungen ermutigt werden. Ich glaube, die Lösung da liegt eher in dem Grad innerstaatlicher Autonomie, die die Basken innerhalb Spaniens genießen, jedenfalls nicht in einer Sezession.
Und was ist mit der UN-Resolution über die Kosovo-Autonomie unter Wahrung der territorialen Integrität Serbiens?
Die Resolution 1244 bleibt weiterhin die Rechtsgrundlage für den KFOR-Einsatz. Sie enthält keinerlei Befristung oder Bedingungen und ordnet sogar unter Ziffer 19 ausdrücklich an, dass die Mandate der internationalen zivilen und der Sicherheitspräsenz so lange bestehen, bis der Sicherheitsrat selbst etwas anderes beschließt. Das hat er bislang nicht getan. Hinzu kommt, dass das Kosovo durch eigene Beschlüsse die internationale Präsenz ins Land einlädt.
Ist ein Ministaat wie das Kosovo überhaupt imstande wirtschaftlich und infrastrukturell eigenständig zu existieren?
Oh, es gibt nicht wenige Staaten, die zeigen, dass Prosperität nicht unbedingt von der Größe abhängig ist.
Ja, wir reden hier aber vom „Armenhaus Europas“…
Das ist richtig und wenn man die Zukunft allein im nationalen Rahmen suchen würde, würde man sich sehr schwer tun. Aber dort liegt sie ja nicht, sondern sie soll in Europa liegen. Das ist nicht nur für das Kosovo, sondern auch für Serbien die eigentliche Perspektive. Wenn man dieses Ziel erreicht hätte, würde dies auch die Bedeutung der Grenzfragen abschwächen.
Wie soll diese Perspektive aussehen?
Sie ist in dem Stabilitätspakt für den Balkan zunächst allen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens versprochen worden. Unter bestimmten Voraussetzungen natürlich. Und bei diesem Prozess hilft die EU durch Abkommen, die mit den jeweiligen Ländern geschlossen werden.
Und jetzt im Falle Serbiens auf Eis gelegt wurden…
Serbien hat man unterhalb des Assoziierungsabkommens ein Interimsabkommen angeboten, was im Augenblick auf Eis liegt, weil Premierminister Kostunica sich weigert, es im Kabinett zu behandeln.
Das zeigt ja auch, dass es ein Spagat für die EU ist, gleichzeitig auf der Seite Serbiens und des Kosovos zu stehen.
Das ist so lange ein Spagat, wie man auf dem Balkan in den alten Frontstellungen verharrt. Die Idee der EU ist, diese Fronstellungen zu überwinden. Die EU hat diese Transformationskraft oft unter Beweis gestellt, auch in Ländern, wo Minderheiten eine Rolle spielen, etwa im Verhältnis zwischen der Slowakei und Ungarn.
Und wenn sich Serbien abwendet?
Das ist eine souveräne serbische Entscheidung. Niemand zwingt Serbien, den Weg in die EU zu gehen. Die Präsidentschaftswahl hat aber gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung diesen Weg gehen will, denn Boris Tadic hat sich sehr eindeutig für diesen Kurs ausgesprochen und ist gewählt worden. Und wenn Sie fragen, wohin wollen die serbischen Jugendlichen, wenn sie überlegen, welches Visum sie möchten, bin ich nicht so sicher, dass sie alle nach Moskau wollen.
Moskau spielt eine wichtige Rolle in der Kosovo-Frage...
Leider hat sich Russland auf eine kommentierende, zuschauende und wenig konstruktive Rolle beschränkt und der Sache keinen guten Dienst erwiesen. Die Russen haben eigentlich, nachdem sie am Anfang eher offen waren, sich immer mehr verhärtet, letztlich quer gelegt und sich auf das Vortragen von Bedenken beschränkt.
Sind die Bedenken nur vorgeschoben?
Ich halte sie zumindest für nicht zu Ende gedacht, wenn man das russische Interesse denkt. Ich habe das auch immer so verstanden, dass Russland ähnlich wie Spanien die Sorge hätte haben können, dass in dem eigenen Vielvölkerstaat etwa auch im Kaukasus jemand auf die Idee kommen könnte, das Kosovo-Beispiel für eigene nationalistische Argumente zu nutzen. Um das zu vermeiden, wäre sicherlich eine Resolution des Weltsicherheitsrates noch besser gewesen als der jetzige Prozess. Diese hätte Russland mit gestalten können.
Kann die Anerkennung des Kosovos die Beziehungen zu Russland belasten?
Ich gehe davon aus, dass die weit überwiegende Mehrheit der EU jetzt rasch handeln wird, um nicht einen neuen Schwebezustand entstehen zu lassen und dass mehr als 20 Länder der EU das Kosovo sehr zügig anerkennen werden. Gute Beziehungen zwischen der EU und Russland liegen objektiv im beiderseitigen Interesse. Ich glaube nicht, dass sich Russland jetzt auf eine Verschlechterung des Verhältnisses zur EU insgesamt einlassen will.
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