Auch der Bundestag nutzt für
seine Versorgung regenerative Energien: Bärbel Höhn und
Sven Becker bei den Fotovoltaikanlagen auf dem
Jakob-Kaiser-Haus
© Thomas Köhler/photothek.net
Streitgespräch: Sven Becker und
Bärbel Höhn
Wie produzieren wir in Zukunft Energie?
Mit Kohlekraftwerken und Atommeilern? Mit Windkraft und Biomasse?
Und was wird das kosten? BLICKPUNKT BUNDESTAG hat die
stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die
Grünen, Bärbel Höhn, zum Streitgespräch
gebeten. Mit ihr diskutiert Sven Becker, der als Sprecher der
Geschäftsführung von Trianel — einem Verbund von
mehr als 80 regionalen Energieversorgern — ein Mann der
Praxis ist. Trianel ist 1999 aus der Liberalisierung der
Energiemärkte mit dem Ziel entstanden, Stadtwerke in ihrer
Eigenständigkeit zu unterstützen.
Blickpunkt Bundestag: Frau
Höhn, sind Sie eine Traumtänzerin?
Bärbel Höhn: Nein. Ich bin
eine Realistin.
Blickpunkt: Die Union und die
Atomindustrie sehen das anders, werfen Ihnen und den Grünen
vor, mit dem doppelten Nein zum Atomstrom und langfristig auch zur
Kohle unrealistisch zu sein.
Höhn: Das grüne Ziel, im
Jahr 2050 zu hundert Prozent erneuerbare Energien zu haben, ist
erreichbar. Für die Übergangszeit brauchen wir auch Strom
aus Kohle und Gas. Wichtig ist aber, dass es schon aus
Risikogründen beim Ausstieg aus der Atomkraft bleiben muss und
dass Deutschland aus Klimagründen nicht von Kohlekraftwerken
zugebaut wird.
Blickpunkt: Herr Becker, Sie
sind Praktiker vor Ort. Ist Frau Höhn eine ideologische
Spinnerin oder eine mutige Realistin? Ist der grüne Kurs
sinnvoll? Müssen wir radikal umsteuern?
„Das grüne Ziel, im Jahr 2050 zu hundert Prozent
erneuerbare Energien zu haben, ist
erreichbar.”
Bärbel Höhn
Sven Becker: Grundsätzlich
halte ich den grünen Ansatz für richtig. Was die
Grünen im Klimaschutz erreicht haben, hat ja auch schon
positiv zu einer Veränderung unseres Bewusstseins
geführt. Manchmal bedarf es dabei wohl auch einer
Überziehung von Forderungen, um einen Teil dessen zu
erreichen. Dennoch: Den Ausstieg sowohl aus der Kernenergie wie der
Kohlekraft halte ich schon aus Gründen der
Versorgungssicherheit für nicht realisierbar. Dazu sind wir
einfach mit den erneuerbaren Energien noch nicht weit genug.
Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass der
Industriestandort Deutschland wettbewerbsfähig bleibt. Da
spielen die Energiepreise eine wichtige Rolle.
Blickpunkt: Zwingen
Ressourcenerschöpfung bei Öl und Kohle, aber auch die
horrende Kostenexplosion vor allem beim Öl zur Eile?
Höhn: Der hohe Ölpreis
führt zu Einsparungen. Hier liegen noch gewaltige Potenziale.
Außerdem brauchen wir Veränderungen beim Energiemix. Je
mehr erneuerbare Energie, desto unabhängiger sind wir vom
Ausland. Um auch bei großer Nachfrage immer Strom zu haben,
müssen wir Ökoenergie speichern. Auf diesem Feld gibt es
große Fortschritte. Wir Grüne wollen bis 2020 beim Strom
bei 40 Prozent erneuerbaren Energien sein. Um das Ziel zu
erreichen, brauchen wir weniger als die Steigerungsraten der
letzten Jahre. Die Bundesregierung will 30 Prozent.
Becker: Wann wir eine
CO
2-freie, also eine Energiewirtschaft ohne fossile
Energien haben werden, ist schwer zu prognostizieren. Ich denke,
dies ist frühestens 2050 realisierbar. Das nähere Ziel,
bis 2020 den Anteil der erneuerbaren Energien auf 30 Prozent
mindestens zu verdoppeln, erscheint mir ambitioniert, aber machbar
zu sein. Auch unser Unternehmen hilft dabei, denn wir entwickeln
gerade einen Offshore-Windpark mit 400 Megawatt vor Borkum, der
2011 ans Netz gehen soll.
Blickpunkt: Die großen
Energiekonzerne sprechen von einer drohenden Stromlücke, falls
am Fahrplan des Atomausstiegs festgehalten und einseitig auf
erneuerbare Energien gesetzt wird. Herr Becker, haben die von Ihnen
betreuten Stadtwerke bald keinen Saft mehr?
Becker: Derzeit wird in Deutschland
die „Stromlückenlüge-Debatte” sehr kontrovers
geführt. Fest steht, dass letztlich Angebot und Nachfrage
immer über den Preis in Einklang gebracht werden. Das
heißt, wenn der Ausstieg aus der Kernenergie nicht durch
adäquate Erzeugungstechnologien ersetzt wird, werden wir
signifikant steigende Preise erleben. Deshalb brauchen wir einen
ausgewogenen Energiemix, um diese Lücke aufzufangen. Umso
wichtiger ist es daher, dass Investitionspläne rechtzeitig
realisiert werden können.
Bärbel Höhn
© Thomas Köhler/photothek.net
Höhn: Auch das Energiekonzept
der Grünen enthält einen Kohleanteil. Wir wollen keine
bestehenden Kohlekraftwerke abschalten. Aber neue wollen wir nicht,
denn die laufen 40 bis 50 Jahre. Der CO
2-Anteil ist
doppelt bis dreimal so hoch, als wenn wir mit Gas Strom erzeugen.
Und das ist nicht mit den Klimazielen der Bundesregierung
vereinbar. Kohlestrom wird in Zukunft teurer: durch die steigenden
Kosten für CO
2-Zertifikate.
Becker: Wir planen zurzeit ein neues
Kohlekraftwerk in Lünen, und — so paradox es klingen mag
— wir leisten damit einen Beitrag zum Umweltschutz. Denn
dieses Werk halbiert mit seiner modernsten Technologie den
CO
2-Ausstoß gegenüber alten Kohlekraftwerken.
Natürlich kann man auch das noch bemängeln. Aber dann
kann man auch fragen: Ist jemand, der ein Dreiliterauto fährt
statt eines Benzinsäufers, ein Umweltsünder?
Höhn: Na ja, Herr Becker, was
Sie da bauen, ist kein Dreiliterauto, sondern ein Achtliterauto!
Denn auch Ihr hochmodernes Werk hat nur einen Effizienzgrad von
etwa 46 Prozent; mehr als die Hälfte der Energie geht in die
Luft, weil Wärme über lange Strecken nicht zu
transportieren ist. Deshalb plädieren wir Grüne für
dezentrale, kleine Blockheizkraftwerke, in denen man Wärme und
Strom gleichzeitig erzeugt. Die haben eine Effizienz von rund 90
Prozent.
Becker: Ich bleibe dabei: Moderne
Kohlekraftwerke sind eine wichtige Brückentechnologie, ohne
die wir nicht bestehen werden. Würden wir auf sie verzichten,
würden wir noch abhängiger werden von Energieimporten aus
zum Teil politisch instabilen Regionen der Welt.
Höhn: Ich mache eine andere
Rechnung auf: Würden die geplanten 30 Kohlekraftwerke gebaut,
würden sie mehr als 180 Millionen Tonnen CO
2
ausstoßen. Deutschland dürfte aber aus
Gerechtigkeitsgründen — auch die Kanzlerin Merkel
gesteht jedem Menschen auf der Welt den gleichen Ausstoß zu
— im Jahr 2050 nur zwei Tonnen CO
2 pro Person
ausstoßen. Bei 80 Millionen Einwohnern wären das 160
Millionen Tonnen. Das heißt, allein die Kohlekraftwerke
würden mehr emittieren als Deutschland zustünde. Verkehr,
Landwirtschaft, Wirtschaft und Haushalte dürften also
überhaupt kein CO
2 erzeugen! Das passt doch hinten
und vorne nicht zusammen.
Blickpunkt: Wie stark setzen
Sie als regionale Versorger auf erneuerbare Energien?
Sven Becker
© Thomas Köhler/photothek.net
Becker: Wir setzen durchaus auch auf
dezentrale regenerative Erzeugung — etwa durch Biomasse,
Windenergie und Fotovoltaik. Außerdem investieren wir in
Offshore- und in größere Geothermieanlagen, also in
Erdwärme. Erneuerbare Energien haben ohne Zweifel ein
großes Zukunftspotenzial. Aber wir dürfen keine
Traumtänzer sein und die Augen vor den Problemen dieser
Energien schließen. Das sind vor allem ihre
Wettbewerbsfähigkeit und ihre Grundlastfähigkeit, also
die Fähigkeit, die erzeugte Energie zu speichern und jederzeit
abzurufen. Die Speicherbarkeit erneuerbarer Energien ist die
zentrale Grundaufgabe, um die Ökoenergie voranzubringen.
Höhn: Das ist richtig, aber
hier gibt es erhebliche Fortschritte. Außerdem kann man Strom
aus Biomasse schon heute speichern.
Becker: Ohne Zweifel hat Biomasse
Potenzial. Aber es wird begrenzt durch die Nutzung als Treibstoff
und auf dem Wärmemarkt. Außerdem haben wir nur begrenzte
Flächen, um Biomasse einzusetzen. Das größere
Potenzial sehe ich deshalb im Windbereich.
Blickpunkt: Wie lautet Ihre
Hitliste bei den regenerativen Energien, Frau Höhn?
„Moderne Kohlekraftwerke sind eine wichtige
Brückentechnologie, ohne die wir nicht bestehen
werden.”
Sven Becker
Höhn: Windkraft an erster
Stelle, dann Biomasse. Auch die Geothermie wird eine große
Zukunft haben. Fotovoltaik wird sich eher langsam entwickeln.
Wasser bleibt eine beschränkte Energiequelle.
Blickpunkt: Kommen wir zu den
Preisen, die zurzeit in schwindelerregende Höhen steigen. Den
Verbraucher interessiert nicht nur eine sichere, sondern vor allem
auch eine kostengünstige Energie. Müssen wir bei Energie
aus Wind, Sonne, Biomasse und Geothermie mit höheren Kosten
rechnen?
Höhn: Auch Atomstrom und
heimische Steinkohle wurden beziehungsweise werden mit Milliarden
unterstützt. Die Windkraft an Land trägt zunehmend zur
Preissenkung bei. Dieser Prozess wird sich verstärken. Bei
Fotovoltaik ist es noch nicht so weit. Aber etwa 2015 wird der
Strom vom Dach genauso teuer sein wie der aus der Steckdose. Das
ist eine spannende Perspektive. Insgesamt kann man sagen: Je
stärker die erneuerbaren Energien eingesetzt werden, umso
günstiger werden sie.
Becker: Es stimmt: Windenergie ist
mit der zunehmenden Standardisierung der Technologie
marktfähiger geworden. Wegen der begrenzten
Grundlastfähigkeiten von Ökostrom müssen aber die
Kosten für die parallel vorzuhaltende Reserveenergie
zugerechnet werden. Bei Flaute und Regen müssen
Kohlekraftwerke einspringen. Das verschlechtert natürlich die
Bilanz. Dennoch: Der Weg in den Ökostrom bleibt als Ziel
richtig.
Bärbel Höhn und Sven Becker
mit dem Moderator Sönke Petersen
© Thomas Köhler/photothek.net
Blickpunkt: Die Atomindustrie
lockt damit, dass sie bei längeren Laufzeiten von
Atomkraftwerken Sozialtarife anbieten und die regenerative Energie
stärker fördern könnte. Sind das glaubhafte
Sirenengesänge?
Höhn: Dass Atomstrom nicht zu
günstigeren Preisen führt, kann man gut in
Baden-Württemberg erkennen: Dort ist der Atomstromanteil am
höchsten, die Energiepreise sind es aber auch.
Tatsächlich hat der Atomstrom dazu geführt, dass sich die
großen Energiekonzerne prächtig die Taschen
gefüllt, ihre Monopolstellung ausgebaut und kaum Wettbewerb
zugelassen haben. Deshalb begrüße ich es auch, dass es
regionale Stadtwerkeverbünde wie Trianel gibt, die zumindest
einen kleinen Pflock dagegen einschlagen.
Becker: Danke für das
Kompliment. Tatsächlich führen die großen Gewinne,
die in der Kernenergie realisiert werden, dazu, dass die profitable
Position dieser Konzerne immer weiter ausgebaut und eine
Kriegskasse angelegt wird, um sich später an Stadtwerken und
neuen Energien zu beteiligen. Diesen Konzentrationsprozess in der
Energiewirtschaft sehe ich mit großer Sorge. Wir brauchen
einfach mehr Wettbewerb, dann hätten wir auch günstigere
Preise.
Blickpunkt: Jeder Bürger
muss heizen, kochen, von A nach B fahren — all das sind
Grundbedürfnisse, die Energie kosten. In welchem Maße
ist Energiepolitik nicht nur Wirtschafts-, sondern auch
Sozialpolitik?
Höhn: Gerade angesichts der
galoppierenden Energiepreise in extrem kurzer Zeit wird der soziale
Aspekt immer wichtiger. Viele Menschen können mit der neuen
Situation gar nicht fertig werden. Allein die Heizkosten haben sich
in einem Jahr fast verdoppelt, viele Haushalte werden im
nächsten Winter große Probleme bekommen. Deshalb
brauchen wir eine Doppelstrategie: weg vom Öl und soziale
Unterstützung für Hilfsbedürftige.
Becker: Natürlich muss man sich
um soziale Härtefälle kümmern. Dies ist aber die
Aufgabe von sozialen Instrumenten und nicht so sehr von der
Energiepolitik. Besser als Sozialtarife sind attraktive energie-
und klimapolitische Rahmenbedingungen für einen
funktionierenden Wettbewerb in der Energiewirtschaft und damit
wettbewerbsfähige Energiepreise.
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Das Gespräch führte
Sönke Petersen.
Erschienen am 24. September 2008
Zur Person:
Bärbel Höhn, Jahrgang
1952, ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 2005
ist die Diplom-Mathematikerin stellvertretende Fraktionsvorsitzende
von Bündnis 90/Die Grünen. Davor war sie zehn Jahre lang
Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen.
E-Mail:
baerbel.hoehn@bundestag.de
Website:
www.baerbel-hoehn.de
Sven Becker, Jahrgang 1968, ist Sprecher der
Geschäftsführung der Trianel European Energy Trading
GmbH, eines Kooperationsunternehmens konzernunabhängiger,
kommunaler Energieversorger. Vorher war er unter anderem bei der
Ruhrgas AG und bei Enron Europe tätig.
www.trianel.com