TELEFONÜBERWACHUNG
Mehrheit für eine Änderung
Am Morgen des 9. November schlugen Berlinerinnen und Berliner bei Kaffee und Brötchen ihre Morgenzeitungen auf - und prompt blieb nicht wenigen von ihnen der Bissen im Halse stecken. Wie dort zu lesen war, hatte das Bundeskriminalamt Postsendungen an vier in Berlin erscheinende Tageszeitungen durchsucht - auf der Suche nach einer linksextremistischen Gruppe. Am selben Tag verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das die Überwachung der Telekommunikation neu regelt. In ihm sind Abgeordnete, Strafverteidiger und Geistliche von der Telefonüberwachung ausgenommen, Rechtsanwälte, Journalisten und Ärzte aber nicht. Dass jene Ereignisse just am selben Tag passierten, ist Zufall. Die erbitterte Diskussion um Sinn und Unsinn staatlicher Überwachung zur Abwehr von Gefahren aber nicht.
In dem Gesetz wird unter anderem geregelt, dass diese Überwachung auch ohne Wissen des Betroffenen geschehen kann. Als Voraussetzung gelte, dass die Behörden den Verdacht haben, dass jemand einer schweren Straftat - wie Mord oder Vergewaltigung - verdächtig ist und die Erforschung der Tat auf andere Weise nur sehr schwer oder gar nicht möglich ist. Das Abhören soll unzulässig sein, wenn es dem "Kernbereich der privaten Lebensführung" zuzuordnen ist. Erkenntnisse hieraus sind unverzüglich zu löschen. Die Regierung war damit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2005 nachgekommen. Ferner regelt das Gesetz die so genannte Vorratsdatenspeicherung: Die Daten von Telefongesprächen und E-mails werden ab dem nächsten Jahr sechs Monate lang gespeichert. Bei Gesprächen aus dem Festnetz werden Rufnummer, Datum und Uhrzeit registriert, beim Handy zudem der Standort des Gespräches. 366 Abgeordnete stimmten für eine entsprechende Beschlussvorlage ( 16/6979 ) zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung ( 16/5846 ), 156 dagegen, zwei enthielten sich. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) und der CDU-Rechtsexperte Siegfried Kauder verteidigten die Regierungsvorlage. Die Bürgerrechte würden nicht verschlechtert. "Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies zur Kenntnis nehmen würden", erklärte Zypries an die Adresse der Opposition. Auch Kauder wandte sich gegen ein "Schreckgespenst eines Orwellschen Überwachungsstaates", das Gegner des Gesetzes an die Wand malten. Die Maßnahmen seien unter dem Gesichtspunkt der inneren Sicherheit unverzichtbar. Jörg van Essen (FDP) wandte hingegen ein, die Bürger würden unter Generalverdacht gestellt. Auch Jan Korte (Linke) sprach von einer "Totalregistrierung menschlichen Kommunikationsverhaltens". Jerzy Montag (Grüne) kündigte an, man werde all diejenigen unterstützen, die sich gegen dieses Gesetz zur Wehr setzen.