UNTERHALT
Der Bundestag stimmt dem neuen Recht zu. Jahrelange Konflikte haben damit ein Ende gefunden.
Monatelang ging gar nichts. Nachdem der Bundestag schon einmal Ende Mai dieses Jahres die Reform des Unterhaltsrechts auf die Tagesordnung gesetzt hatte, verhagelte ihm das Bundesverfassungsgericht die Suppe. Es hatte zwei Tage zuvor entschieden, dass Mütter beim Erziehen von Kindern völlig gleich zu behandeln seien, egal ob verheiratet oder nicht. Diese Unterscheidung hatte aber der Bundestag sehr wohl vor. Mehr als fünf Monate verschwand das Thema hinter den Kulissen.
Dann aber ging es äußerst schnell. Am Abend des 4. November saß Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) bei der Talkrunde von Anne Will, um Einzelheiten des neues Gesetzes zu erläutern. Um 12.25 Uhr am nächsten Tag schickte die dpa eine Eilmeldung über den Ticker: "Koalition einigt sich auf neues Unterhaltsrecht". Am 7. November hatte der Rechtsausschuss das Gesetz ( 16/1830 ) auf der Tagesordnung. Zwei Tage später erfolgte im Plenum des Bundestages die Schlussabstimmung ( 16/6980 ). Beide Male hatte die Regierung auch die Unterstützung von Liberalen und Grünen. Die Linksfraktion stimmte gegen den Gesetzentwurf. Jetzt muss nur noch die Länderkammer zustimmen, dann haben ab 1. Januar nächsten Jahres zehntausende Mütter und Väter - so scheint es - endlich Klarheit.
Das neue Gesetz will, zugespitzt gesagt, vor allem zwei Dinge erreichen. Der Unterhalt von Kindern soll immer Vorrang haben - egal ob der Sprössling nun ehelich oder unehelich geboren wurde oder aus erster oder aus zweiter Ehe stammt. Betreuungsunterhalt ist während der ersten drei Lebensjahre des Kindes zu zahlen. Eine Verlängerung ist möglich. Die Regierung verspricht sich davon nicht zuletzt, dass die an Minderjährige zu zahlende Sozialhilfe gesenkt werden kann. Das bisherige Recht sah vor, dass der geschiedene Ehegatte immer den gleichen Rang wie die Kinder genoss. Damit ist es ab dem kommenden Jahr vorbei.
Die relativ kurz verheiratete Arzt- oder Unternehmersgattin, deren Ehe ohne Kinder blieb, kann dann nicht mehr darauf vertrauen, dass sie durch das Geld ihres geschiedenen Mannes ihren Lebensstandard aufrecht erhalten kann. Die Gerichte werden künftig mehr Möglichkeiten haben, den Unterhalt nach der Ehe zu befristen oder der Höhe nach zu begrenzen. Die Gattin, die ein Leben im Luxus gewöhnt war, wird demzufolge relativ bald lernen müssen, auf eigenen Füßen zu stehen.
Anders sieht es aus, wenn die Ehe nicht nach kurzer Zeit am Ende, sondern von langer Dauer (nach der Rechtssprechung ist von acht bis zehn Jahren die Rede) war. Frauen, die beispielsweise freiwillig auf ihren Job verzichteten, um die Kinder großzuziehen, trifft die Scheidung besonders hart. Jahrelang, oft jahrzehntelang hat die Ehe gedauert, und nun muss die "Sitzengelassene" nicht nur feststellen, dass ihr Mann eine Jüngere vorzieht, sondern auch, dass sie den beruflichen Anschluss nur schwer oder gar nicht mehr schafft.
Für diese Fälle hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff der "nachehelichen Solidarität" geprägt. Dem Gesetzgeber sei es unbenommen, einen längeren Anspruch auf Betreuungsunterhalt einzuräumen als einem Ehegatten, der von vornherein alsbald wieder in den Beruf zurückkehren wolle.
Die CDU-Rechtspolitikerin Ute Granold begrüßte den beschlossenen Kompromiss zur Reform des Unterhaltsrechts. Sie sieht darin eine ausgewogene Lösung, die die Interessen der Kinder stärkt und die besondere Stellung der Ehe wahrt. "Seit 2000 hat sich der Bundestag mit dem Thema auseinandergesetzt und die Reform jetzt endlich so verabschiedet, dass sie Anfang 2008 in Kraft treten kann", so Granold. Damit habe man drei Ziele verfolgt: die Förderung des Kindeswohls, die Stärkung der nachehelichen Eigenverantwortung und die Vereinfachung des Unterhaltsrechts. "Entgegen eines weit verbreiteten Irrtums wird durch das neue Unterhaltsrecht keineswegs einer Gleichstellung von Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft Vorschub geleistet", ist sich Granold sicher. Vielmehr werde in Bezug auf das Verfassungsgebot der Gleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder die Zahlung von Betreuungsunterhalt in Dauer, Höhe und im Fall der mangelnden Zahlungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten nunmehr gleich geregelt. "Dies war auch eine ausdrückliche Forderung des Bundesverfassungsgerichtes", so die CDU-Abgeordnete.
Von dem neuen Unterhaltsrecht profitieren in erster Linie die Kinder, so war sich neben Bundesjustizministeriun Brigitte Zypries auch Christine Lambrecht (SPD) sicher. Die Kinder seien bei einer Trennung ihrer Eltern besonders schutzbedürftig. Sie hätten keinen Einfluss darauf, ob ihre Eltern verheiratet seien oder nicht, getrennt lebten oder als Familie. Deshalb sollten sie auch im Falle einer Trennung keine Nachteile wegen der Entscheidungen der Eltern haben.
"Mit dieser Reform haben wir einen rechts- und familienpolitischen Durchbruch geschafft, der mit überkommenen Klischees und Privilegien bricht und denen die notwendige Unterstützung zukommen lässt, die sie am meisten benötigen", so Lambrecht weiter. Sie sei sich sicher, dass diese Reform im Interesse der Kinder mehr Verteilungsgerechtigkeit bringe. Sie führe zu mehr Eigenverantwortung der Ehegatten nach der Ehe.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wies besonders darauf hin, getrennt lebende Eltern, die Kinder betreuen, hätten in Zukunft für mindestens drei Jahre einen Anspruch, von ihrem ehemaligen Partner finanziell unterstützt zu werden. Ob sie einmal verheiratet waren oder nicht, das solle künftig im Interesse einer finanziell gesicherten Kinderbetreuung keine Rolle mehr spielen. Diese Vorgabe habe das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber in einem Urteil vom Frühjahr 2007 gemacht, so die Abgeordnete. Die FDP-Fraktion hatte eine Besserstellung der unverheirateten Partner bereits ein Jahr zuvor gefordert. Der überarbeitete Gesetzentwurf der großen Koalition nimmt endlich diesen Grundsatz ernst.
Der "Verband alleinerziehender Mütter und Väter" (VAMV) hat sich mittlerweile befriedigt gezeigt, dass es die Absenkung des Kindesunterhalts um bis zu 33 Euro nicht geben und nun auch eine Angleichung zwischen den Unterhaltsbeträgen West und Ost vorgenommen wird. Die Bundesvorsitzende des Verbandes, Edith Schwab, kommentierte, die Übergangsregelung zum Mindestunterhalt sei ein Sieg der Vernunft. Die Proteste des VAMV gegen ein Absenken des Kindesunterhalts durch die Unterhaltsrechtsreform hätten Wirkung gezeigt. Schwab: "Wir sind froh, dass die Politik endlich eingelenkt hat und erkennt, dass Kinder im Mittelpunkt des Unterhaltsrechts stehen müssen, sowohl ideell als auch finanziell."
Nach dem Willen des Bundestages soll der Mindestunterhalt minderjähriger Kinder bis zu sechs Jahren 279 Euro betragen. Für die Zeit zwischen dem 7. und dem 12. Lebensjahr soll er 322 Euro, und danach 365 Euro betragen.
Auch Jörn Wunderlich (Linke) nannte das neue Unterhaltsrecht vom Ansatz her begrüßenswert. Zu prüfen bleibe die Auswirkung im Steuerrecht. Die Gefahr bestehe, dass aufgrund der geänderten Rangfolge der Unterhaltspflichtigen im Ergebnis weniger Geld zur Verfügung stehe; mithin weniger Geld bei Müttern und Kindern ankomme. Das Steuerrecht müsse in diesen Fällen flankierend begleiten.
Auch Irmingard Schewe-Gerigk (Grüne) war zufrieden: Das Familienbild ihrer Partei stelle das Wohl der Kinder in den Mittelpunkt - nicht die Lebensform der Eltern. Die Reform sei zu Zeiten von Rot-Grün bereits Konsens gewesen. "Hätte die Union sich durchgesetzt, wäre es dabei geblieben, dass es zwei Klassen von Müttern gibt, hätten wir weiterhin die Ehe privilegiert - vor allem die Hausfrauenehe", so die Abgeordnete. Das Gesetz gelte nicht nur für neu geschlossene, sondern für alle Ehen. Es werde sicherlich eine "Beratungsflut" bei den Rechtsanwälten geben, die alte Urteile auf den Prüfstand stellten, so das Justizministerium. Ob daraus dann eine Klageflut würde, das bleibe abzuwarten. Auch der Anwaltverein hat vor einer Prozessflut gewarnt. Der Bundestag verabschiedete am 9. November auch eine bundesweit einheitliche Regelung beim Unterhaltsvorschussrecht.