STROMPREISE
Bundeskartellamt bestätigt Hinweise auf verbotene Absprachen
Es sind zum Teil starke Indizien, aber Beweise im streng juristischen Sinne, so weit würde ich jetzt noch nicht gehen." Mit diesen Worten beantwortete der Präsident des Bundeskartellamtes, Bernhard Heitzer, die Frage des SPD-Bundestagsabgeordneten Rainer Wend, ob das Kartellamt Hinweise auf Preisabsprachen unter den großen Energiekonzernen habe. Wend hatte sich auf einen Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" bezogen, das aus einem 30-seitigen Papier des Kartellamtes zitiert hatte. Nach Angaben Heitzers sind die Auswertungen aber noch nicht abgeschlossen.
Der Behördenchef sagte dies als geladener Sachverständiger in einer öffentlichen Anhörung des Bundestags-Wirtschaftsausschusses am 5. November. Gegenstand war der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels ( 16/5847 ), kurz GWB-Novelle (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Sie zielt darauf ab, die Missbrauchsaufsicht im GWB durch die Kartellwächter zu verschärfen.
So sollen Energieversorger mit marktbeherrschender Stellung befristet bis Ende 2012 keine Entgelte oder Geschäftsbedingungen fordern können, die ungünstiger sind als die anderer Versorger auf vergleichbaren Märkten - es sei denn, das Unternehmen weist nach, dass die Abweichung unvermeidlich ist. Diese "Beweislastumkehr", dass also nicht mehr das Kartellamt den Machtmissbrauch nachweisen muss, steht im Mittelpunkt der Novelle. Ergänzt wird sie durch den Sofortvollzug, der besagt, dass Anordnungen des Kartellamtes sofort befolgt werden müssen, eine Klage dagegen also keine aufschiebende Wirkung hat.
Die Linksfraktion nahm die Aussage Heitzers zum Anlass, die Haltung der Bundesregierung zu den "durch die Bundeskartellbehörde festgestellten Preis- und Marktabsprachen der vier großen deutschen Stromkonzerne" am 7. November in einer Aktuellen Stunde im Bundestag zu erörtern. Hans-Kurt Hill von der Linken sagte, die Bundesregierung habe bisher das "Energiekartell" aus RWE, Eon, Vattenfall und EnBW nur unterstützt. "Vielleicht sollte zukünftig auf der Stromrechnung die Nähe einzelner Bundestagskollegen zum Energiekartell ausgewiesen werden oder die Konzernnähe auf dem Stimmzettel zur Wahl", sagte Hill. "Peinlich" nannte Julia Klöckner (CDU/CSU) diese Aussage. Das Rezept der Linken: Zerschlagung des Kartells, staatliche Preisaufsicht, Sozialtarife für Geringverdiener, Offenlegung der Stromhandelspreise und Überführung der Strom- und Gasnetze in die öffentliche Hand.
Was die eigentumsrechtliche Entflechtung von Netzbetrieb und Energieerzeugung ("ownership unbundling") angeht, stimmten die Bündnisgrünen der Linksfraktion zu und verwiesen auf einen CDU-Kronzeugen, den hessischen Wirtschaftsminister Alois Rhiel. Auch EU-Kommissarin Neelie Kroes betreibt massiv die Entflechtung der Konzerne. "Über kurz oder lang werden wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass die EU-Kommission eine Entflechtung bei den Übertragungsnetzen vorschreibt", sagte Kerstin Andreae (Grüne) in der Debatte.
Gudrun Kopp (FDP) stellte klar, dass es sich um "vermutete" und nicht um "festgestellte" Preisabsprachen handele. Sie konstatierte ein "riesengroßes Wettbewerbsproblem", wenn es auch Fortschritte gebe, da der Anteil der Netzgebühren am Strompreis aufgrund der staatlichen Regulierung von 38 auf 31 Prozent gesunken sei. Mit ihrer GWB-Novelle mache sich die Regierung zu große Hoffnungen: für eine Branche eine befristete Wettbewerbsnorm einzuführen, sei Theorie und habe mit der Praxis nichts zu tun.
Das sahen Michael Fuchs (CDU/CSU) und Rolf Hempelmann (SPD) anders. Während die Linke zurück zum "VEB Strom und Gas" wolle, sei die GWB-Novelle der richtige Weg. Eine europaweite Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte sei eine der Voraussetzungen, um die Monopole zu knacken, sagte Fuchs. Die Leipziger Strombörse werde von vier Oligopolisten gefüttert, da müsse man überlegen, ob das Angebot ausreichend ist.
Rolf Hempelmann verwies auf ein neues Gutachten der Monopolkommission, wonach es zwar noch keinen zufriedenstellenden Wettbewerb gebe, die Situation sich aber in den letzten Jahren deutlich verbessert habe. Eine eigentumsrechtliche Entflechtung werde von der Monopolkommission gerade nicht vorgeschlagen. Nur von der GWB-Novelle dürfe man sich eine kurzfristige Wirkung versprechen.
Im Ausschuss hatten die Sachverständigen gleichwohl die Euphorie gebremst. Kartellamtspräsident Heitzer sagte: "Wunderdinge darf man nicht erwarten." Eine grundlegende Abkehr vom jetzigen Instrumentarium stelle die Novelle nicht dar, aber: "Ich glaube, dass wir damit umgehen können." Die Befürchtung, die verschärfte Missbrauchsaufsicht könnte den Markteintritt neuer Anbieter verhindern, hielt Heitzer für eine "ziemliche Mär".
Klaus-Dieter Maubach von der Eon Energie AG wies den Vorwurf der Preisabsprachen zurück. Im Übrigen bezweifelte er, dass die Energieversorger den Nachweis erbringen könnten, dass die eigenen Kosten "angemessen" sind. Der Tübinger Rechtsprofessor Wernhard Möschel nannte Preiskontrollen kontraproduktiv, weil dadurch die Anreize vermindert würden, in diesen Markt zu gehen. Robert Busch vom Bundesverband Neuer Energieanbieter forderte eine "strikte Preisregulierung" auf der Ebene der Netznutzung. Professor Claudia Kemfert von der Humboldt-Universität Berlin trat für eine europäische Regulierungsbehörde ein, die den Wettbewerb überwacht.
Einen europäischen Strommarkt befürwortete Professor Carl Christian von Weizsäcker vom Max-Planck-Institut. Je intensiver der Stromaustausch sei, desto mehr näherten sich die Preise einander an. Eberhard Meller vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft führte die steigenden Preise auf das knappere Angebot zurück: "Erleichtern Sie den Ausbau neuer Kraftwerke und erschweren Sie ihn nicht." Holger Krawinkel vom Verbraucherzentrale Bundesverband plädierte für eine Entflechtung der Konzerne. Die Alternative dazu sei eine staatliche Preisaufsicht.