Eine Mehrheit von zehn Sitzen
Der Kampf um die Wählerzuneigung wird 1976 hart geführt. Im Jahr der achten Bundestagswahl leidet die Bundesrepublik unter hoher Arbeitslosigkeit, Konjunkturflaute nach der Ölkrise und Terrorismus. In Stammheim läuft der erste große Prozess gegen die Baader-Meinhof-Gruppe. Mit markanten Parolen, vier Stunden TV-Elefantenrunde und dem neuen Kanzlerkandidaten Dr. Helmut Kohl (CDU) werden die Deutschen zur Entscheidung an den Wahlurnen mobilisiert.
Im Mittelpunkt des Wahlkampfes stehen die beiden Kanzlerkandidaten:
Amtsinhaber Helmut Schmidt (SPD), der 1974 Willy Brandt
abgelöst hatte, und Kohl, der Ministerpräsident von
Rheinland-Pfalz. Die SPD setzt auf Schmidts Image als
Krisenmanager. Kohl, seit 1973 CDU-Bundesvorsitzender, tritt
erstmals als Kanzlerkandidat an. In der K-Frage hat er sich gegen
den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß
(CSU) behauptet.
„Zu wenig fürs Gemüt“
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtet nach der Wahl, dass Sozial- und Freidemokraten rückblickend den eigenen Wahlkampf kritisierten, weil er zu wenig fürs Gemüt geboten hätte. Schmidts Auftreten sei „unterkühlt“ gewesen, Kohl habe mehr die Gefühle angesprochen, auch mal patriotische Parolen gewagt.
Wahlkampf zu inneren Problemen
Neben der inneren Sicherheit bestimmen auch Renten-, Steuer- und Finanzpolitik den Wahlkampf. Die öffentlichen Kassen sind durch die Rezession löchrig, der Sozialstaat lässt sich nur schwer finanzieren. Wirklich zündende Ideen und Themen, die die Menschen bewegen wie die Ostpolitik in den Wahlen zuvor, fehlen in diesem Wahlkampf.
Die CDU arbeitet an einem neuen Profil. Aus der alten Honoratiorenpartei soll eine Mitgliederpartei werden, neue Wählergruppen wie Jungwähler, die sonst vor allem der SPD ihre Stimme geben, werden angesprochen.
Umstrittener Wahlslogan
So gibt die CDU die Parole „Komm aus Deiner linken Ecke – CDU“ aus und wirbt mit „Helmut Kohl, der Mann, dem man vertrauen kann“. Aber vor allem mit „Freiheit statt Sozialismus“ sagt die CDU der regierenden sozialliberalen Regierung den Kampf an, aber selbst in den eigenen Reihen ist der Slogan umstritten. Die SPD setzt dem „Von Freiheit verstehen wir mehr“ und „Der bessere Mann muss Kanzler bleiben“ auf dem Foto von Schmidt entgegen. Die FDP plakatiert „Freiheit, Fortschritt, Leistung“.
Elefantenrunde
Seit 1969 gibt das Fernsehen den Spitzenkandidaten Gelegenheit, sich den Wählern zu präsentieren. Inzwischen ist es aufgrund der weiteren Verbreitung zu einem bedeutenden Wahlkampfmedium geworden. Auch 1976 kommen in der Sendung „Drei Tage vor der Wahl“ die vier Parteivorsitzenden im Fernsehstudio zusammen. Ein Duell zwischen ihrem Kandidaten Kohl mit dem Amtsinhaber hatte die Union vergeblich gefordert.
Die so genannte Elefantenrunde mit Schmidt, Kohl, Hans-Dietrich
Genscher und Franz Josef Strauß dauert mehr als vier Stunden.
ARD und ZDF übertragen die Runde gleichzeitig live. Als
Verlierer der Debatte gilt wie schon 1972 Strauß, weil er nur
aggressiv gegen die Regierung redet. Das kommt bei den Zuschauern
nicht gut an.
Stimmenmehrheit für den
Verlierer
Am 3. Oktober 1976 machen schließlich 90,7 Prozent der Wahlberechtigten ihr Kreuzchen, das ist die zweithöchste Wahlbeteiligung überhaupt. Die meisten stimmen für die CDU/CSU-Fraktion. Das bis dahin zweitbeste Ergebnis in der Geschichte der Union reicht aber nicht für einen Regierungswechsel. FDP und SPD kommen auf eine knappe Mehrheit und führen ihr Regierungsbündnis fort. Schmidt bleibt Bundeskanzler.
Eine Stimme mehr als notwendig
CDU und CSU legen 3,7 Prozent zu und werden mit 48,6 Prozent der Wählerstimmen stärkste Fraktion. Die SPD verliert 3,2 Prozent und kommt auf 42,6 Prozent. Die FDP erreicht 7,9 Prozent. Die wieder aufgelegte sozialliberale Koalition beruht auf der knappen Mehrheit von zehn Sitzen gegenüber der Union. Bei der Kanzlerwahl am 15. Dezember 1976 erhält Schmidt nur eine Stimme mehr als unbedingt notwendig. Neuer Oppositionsführer im Bundestag wird Helmut Kohl.