MANAGER
Dagmar Deckstein über Mittelmaß und Wunschdenken in der deutschen Wirtschaft
Was geht in ihren Köpfen vor, wenn gescheiterten Bankmanagern angesichts der Finanzkrise bis heute kein öffentliches Wort der Reue und des Bedauerns über die Lippen gekommen ist? Was denken Investment-Banker, die über sechsstellige Abfindungssummen vor Gericht streiten, während ihre Bank bereits so gut wie verstaatlicht ist und der Steuerzahler für ihre faulen Kredite aufkommen muss? Und wie tickt ein früherer Postchef, der sich beleidigt auf seine Burg in Italien flüchtet und eine millionenschwere Alterssicherung einstreicht, nachdem er gerade wegen eines Steuervergehens verurteilt wurde. Und schläft der Chef einer Kaufhauskette und eines Gemischtwarenkonzerns wie Arcandor eigentlich gut, wenn er am Ende seiner Amtszeit freimütig gesteht: Die Fehler waren hausgemacht - also von ihm verschuldet - und etliche Tausend Karstadt-Angestellte um ihren Arbeitsplatz fürchten lässt?
Es ist diese "wundersame Welt der Manager", die die Wirtschaftskorrespondentin der "Süddeutschen Zeitung", Dagmar Deckstein, beschreibt und von der sie sagt, dass die letzten Königshäuser dieser Welt mehr intimere Einblicke in ihr Innenleben bieten als die Wirtschaftsdynasten, die weitaus mehr zu entscheiden haben. Gegenüber Deckstein haben sie sich aber geöffnet - vom Unternehmenslenker über Unternehmensberater, vom privaten Vermögensberater bis zum Headhunter und Personal Coach, unter Zusicherung der Anonymität. Und so darf man trefflich darüber rätseln, welcher Dax-30-Chef Thomas Middelhoff und Jürgen Zetsche für eitle Industrieschauspieler hält und Manfred Essers millionenschweren Handschlag bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafon als ein wahres Gaunerstück bezeichnet. "Man hätte auch den Pförtner auf den Chefsessel setzen können, die Kurse von Mannesmann wären in jedem Fall in die Höhe geschnellt."
Überhaupt das liebe Geld und die Boni - ein auch unter Managern gern diskutiertes Thema. Mit einem Unterschied: Was anderswo Neid hervorruft, sehen sie selbst als eine Art Kompensation. Frei nach dem Motto: Wenn ich schon Tag und Nacht arbeite und meine Kinder nicht mehr sehe, dann muss mich zumindest die Firma dafür fürstlich entschädigen. Denn natürlich kommen auch bei Deckstein die beredten Klagen, dass unsere "universal soldiers" der Weltwirtschaft von frühmorgens bis spätabends durchgetaktet sind, unter der Knute von Vorstandsassistenten und Sekretärinnen stehen und am allerwenigsten Herr der eigenen Zeit sind.
Trotzdem blitzt auch an manchen Stellen bei ihnen Selbstkritik auf: "Wenn ich anschaue, wie die hochqualifizierten Fachleute in unseren Unternehmen ranklotzen, dann machen die vom Einsatz her nichts anderes als ich. Ich kriege aber mehr als eine Million dafür, und die weniger als ein Zehntel. Na gut, mich kann's jederzeit erwischen und ich fliege raus, aber den Angestellten kann das heutzutage genauso schnell passieren." Es sind genau diese offenen Eingeständnisse, die das Buch so interessant machen. Möchte man einem Headhunter nicht aus vollem Herzen zustimmen, der meint: Wenn ein Manager eine Million verdient, dann soll er gefälligst 16 bis 18 Stunden arbeiten, aber zu meinen, er würde dann mit vier oder sechs Millionen noch besser, ist schieres Wunschdenken.
In vielen Konzernen, so Deckstein, regiere heute das Mittelmaß, der Durchschnitt, das Anpasser- und Duckmäusertum. Opportunismus, wohin man guckt. Mit dem Erfolg, dass nicht eine Leistungs- sondern eine Verhaltenselite, ein Old-Boys Network, regelmäßig den Weg an die Unternehmensspitze findet. Auf der Strecke bleibt bei all dem das, was Deckstein als die Ethik des "ehrbaren Kaufmanns" in Erinnerung ruft. "Sei mit Lust an den Geschäften des Tages, aber mach nur solche, dass wir bei Nacht ruhig schlafen können", zitiert sie Johann Buddenbroook. Ein Satz, der heute aktueller denn je ist.
Klasse! Die wundersame Welt der Manager.
Murmann Verlag, Hamburg 2009; 216 S., 19,90 ¤