Es gibt magische Momente in der Politik, die Hartmut Koschyks Leidenschaft für seinen Job erklären. Es war in der vergangenen Legislatur, er hatte bei einer Plenarsitzung plötzlich diesen Feldherrenblick. Seine Augen wanderten über das Plenum, sorgenvoll hielten sie bei den Rängen der Großen Koalition inne. Es war früher Abend. Zu wenig los für den Parlamentarischen Geschäftsführer (PGF) aus der CSU - unter den eigenen Leuten, eine wichtige Abstimmung nahte, die Regierungsmehrheit wackelte. Koschyk griff zum Hörer vor sich, er wählte die Nummer des Präsenztelefons in der Unionsfraktion. Einen Augenblick später ging eine SMS an alle Abgeordneten von CDU und CSU. Die Bänke müssen sich füllen, sonst verliert der Feldherr diese Schlacht. Er verlor sie nicht. In der neuen Legislatur kommt nun eine neue Aufgabe auf ihn zu; Koschyk ist als parlamentarischer Staatssekretär ins Finanzministerium gewechselt. Es sind auch die Früchte seiner Arbeit als PGF.
Er lehnt sich in seinem Büro zurück, sein rechter Zeigefinger wandert entlang der hauchdünnen Streifen auf seinem Anzug in Preußisch Blau. Er sagt: "Früher war ein PGF Zuchtmeister, aber das war einmal." Heute habe man mehr Rücksicht zu nehmen auf die Eigenständigkeit der Abgeordneten. Damit kennt sich Koschyk aus. Vor seiner Beförderung zum PGF stimmte auch der Franke aus Forchheim mal entgegen der Fraktionslinie, wie mit Rot-Grün für die Einführung des Dosenpfands. Aber was heißt Franke? Jeder Lebenslauf von Koschyk beginnt mit der Vertreibung seiner Eltern aus Oberschlesien. Wie ein roter Faden durchzieht sie seine politische Biografie. "Ich bin durch den Erfahrungshintergrund meiner Eltern nachhaltig geprägt worden", sagt Koschyk, und wer dann einen Monolog über Leid, Trauma und Verlust von Koschyk erwartet - wird enttäuscht: "im positiven Sinn wurde ich geprägt", setzt er nach.
"Meine Eltern haben ihre schlesische kulturelle Identität an uns Kinder weitergegeben wie einen kleinen Schatz", erinnert er sich. Die Trachten, die Tänze - das sei im neuen Gastland Bayern eh auf fruchtbaren Boden gefallen. Und überhaupt: "Die Franken haben früher Schlesien besiedelt", sagt er und verweist auf den Mädchennamen seiner Mutter: Franke.
Was sich anhört wie ein Kreislauf aus lauter Tradition, hat einen harten politischen Kern. Die Vertreibung seiner Eltern führte zum Engagement des jungen Koschyk im Bundesverband der Vertriebenen (BdV). Das Festhalten an der Ostpolitik der Union und an der Wiedervereinigung brachte ihn zur CSU. Mit 28 Jahren wurde er Generalsekretär des BdV, vorher hatte er als Student einem CDU-Bundestagsabgeordneten wissenschaftlich zugearbeitet. Wovon viele wissenschaftliche Mitarbeiter von Parlamentariern träumen, erfüllte sich für Koschyk: 1990 wurde er jüngster Abgeordneter der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
Koschyks Sekretärin mahnt den nächsten Termin an. Ein Chefre-dakteur einer deutschsprachigen Zeitung in Argentinien wartet. Sein Engagement für kulturelle Identität auch anderswo mutet zuweilen verzweifelt an. Auf seiner privaten Website schreibt Koschyk: "Heute scheinen die unveräußerlichen Rechte des Menschen in Gefahr. Zu nennen sind hier die Entwicklungen in der Biotechnologie, das Klonen, die embryonale Stammzellenforschung, aber auch die Tötung ungeborenen und zu Ende gehenden Lebens." Es klingt, als suchte er nach Halt und Ankern, als regierten vor allem Fliehkräfte die Globalisierung.
Ein Scharfmacher ist Koschyk nicht. Er sucht vermittelnde Worte. Sei es als Briefträger von Botschaften zwischen Nordkorea und Südkorea - Koschyk steht der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe vor.
Oder sei es bei der vergangenen Bundesversammlung, als sich Koschyk zum Abschmettern von Anträgen der rechtsextremen NPD mit Hubert Aiwanger von den Freien Wählern zusammensetzte. Eigenschaften, die er als Parlamentarischer Staatssekretär wird bemühen müssen - als Mittler zwischen Legislative und Exekutive. Koschyks Sekretärin erscheint zum zweiten Mal. Seine stahlblauen Augen funkeln - wie ertappt. Er springt auf. Und eilt hinaus.