ISRAEL
Rachel Shabis persönliches Buch über die Diskriminierung arabischer Juden
Die innenpolitischen Probleme Israels geraten angesichts des israelisch-palästinensischen Konfliktes leicht in Vergessenheit. Dabei stellen die Gegensätze zwischen jüdischen und arabischen Israelis das kleine Land vor ebenso große Herausforderungen wie der sich verschärfende Streit zwischen säkularen und nationalreligiösen Juden. Doch diese tiefgreifenden Zerwürfnisse überschatten leicht ein weiteres Problem, dass für zusätzliches Konfliktpotenzial in dieser vielfältigen Einwanderungsgesellschaft sorgt. Die britische Journalistin Rachel Shabi hat über die verbreitete Diskriminierung der nicht-europäischen jüdischen Einwanderer aus Marokko, Irak oder dem Jemen ein kluges Buch geschrieben. Der Titel verrät bereits, wo das Problem liegt: "Wir sehen aus wie der Feind. Arabische Juden in Israel".
Rachel Shabi wurde selbst in Israel in eine Familie irakischer Juden geboren, die aber das Land enttäuscht wieder verließ und sich in Großbritannien niederließ. Dort wuchs Shabi auf, aber die enge Verbindung nach Israel brach keineswegs ab. Auch so ist zu erklären, dass dieses sehr persönlich gehaltene Buch nicht nur durch seine gute Recherche besticht, sondern auch durch die interkulturelle Feinfühligkeit der Autorin.
Wer als westlicher Besucher nach Israel kommt, lässt sich leicht von der europäischen Fassade dieses Landes im Nahen Osten täuschen und übersieht vieles, was die Autorin schonungslos offen legt. "Symbol der Ängste Israels vor der Region, zu der es gehört, aber nicht gehören wollte, waren die Juden aus den arabischen Ländern", schreibt Shabi und belegt diese Grundthese eindrucksvoll. Sie widerspricht der verbreiteten ethnischen Unterscheidung in "aschkenasische" und "sephardische" Juden mit dem Hinweis, dass irakische Juden keinesfalls spanische Wurzeln haben. Stattdessen unterscheidet die Journalistin zwischen "Misrachim" und "Aschkenasim", das heißt zwischen Juden, die entweder durch die orientalische oder die westliche Kultur geprägt wurden. Shabi weist sehr richtig darauf hin, dass auch die "Schwarzweißzeichner auf der arabischen Seite" dazu neigen, die misrachische Bevölkerung Israels ignorieren zu wollen.
Eindrucksvoll schildert die Journalistin die Entstehung der 27 Entwicklungsstädte, die zwischen 1952 und 1964 gegründet wurden, um Neueinwanderer aufzunehmen, die damals vor allem aus Marokko kamen, und sich zunächst in elenden Übergangslagern wiederfanden. Shabi beschreibt weiter, wie später der Siedlungsbau im palästinensischen Westjordanland auf Kosten dieser Entwicklungsstädte finanziert wurde und sich die Diskriminierung der orientalischen Juden immer stärker ausprägte. Auch ihre eigene Familiengeschichte wurde durch das Elend dieser Lager geprägt, aus denen nach Shabis Deutung die Aschkenasim schneller wieder herauskamen.
"Die misrachische Kultur galt als minderwertig", heißt es in dem Buch über diese jüdische Klassentrennung entlang ethnischer Grenzen, die bis heute die israelische Gesellschaft prägt. Ob nun in der Aussprache des Hebräischen, in der Besetzung von Theaterrollen oder gängigen Klischees im Film, die Autorin schildert eine Vielzahl von Begegnungen, Erlebnissen und politischen Ereignissen, die dieses Grundmuster der Missachtung wiedergeben. Dabei ist der Westen in Israel längst eine Minderheit, wenn man zu den misrachischen Juden auch die wachsende Zahl israelischer Araber hinzuzählt. Anders als in manchen anderen kritischen Israel-Büchern, verzichtet die Autorin auf laute Polemik. Sie konzentriert sich auf eine leise, zurückhaltende Analyse bestehender Missstände.
Bei der Lektüre wird schnell deutlich, dass ihr Thema keineswegs "Schnee von vorgestern" ist, wie viele Israelis gerne behaupten. "Die Wunde", so formuliert es Shabi, "ist dick verschorft und verschwindet hinter größeren Kriegsverletzungen - aber kratzen Sie nur ganz leicht am Schorf - schon fließt wieder Blut."
Wir sehen aus wie der Feind. Arabische Juden in Israel.
Berlin Verlag, Berlin 2009; 281 S., 22,70 ¤