Düstere Utopie
Der französische Politologe Dominique Moïsi teilt die Welt in Zonen des emotionalen Erlebens auf
In 20 Jahren wird Götterdämmerung sein. Schluss, Finis, Abpfiff! Die Menschheit, sie wird sich dann "in der Welt von Wagners Spätwerk" wiederfinden und sich an einer "tragisch, barbarischen Schönheit" laben. Ein von Gewalt, Chaos und Wirren geprägtes Zeitalter wird begonnen haben. Was klingt, wie das Endzeit-Szenario einer Weltuntergangssekte, das ist in Wahrheit der Angsttraum von einem der angesehenen Experten für Geopolitik. Dominique Moïsi, stellvertretender Direktor des französischen Instituts für internationale Beziehungen, zeigt sich besorgt: Sollte sich in unserer stetig unsicherer werdenden Welt weiterhin eine angeblich vom Westen forcierte Kultur der Angst breitmachen, dann stünde es nicht gut um die Menschheit.
Moïsis Befürchtungen sind sehr konkret: In seiner düsteren Utopie sieht er das Ende der multilateralen Welt und den Zerfall der Vereinten Nationen heraufziehen. Er befürchtet eine "Balkanisierung Europas", ein atomares Wettrüsten im Nahen Osten sowie die "Israelisierung" des gesamten öffentlichen Lebens. Kurz: Er erwartet eine "emotionale Eskalation". Der sogenannte "Kampf der Kulturen", er könnte in wenigen Jahren schon vom Papiertiger zur alles vernichtenden Bestie geworden sein - "von einer provozierenden Hypothese zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung". Keine schönen Aussichten, die der 63-Jährige für unsere weitere Zukunft parat hat. Aber ss muss nicht so kommen. Denn bei Dominique Moïsi ist alles irgendwie nur "so ein Gefühl". "The Geopolitics of Emotion", hat er denn auch sein Anfang diesen Jahres in den USA erschienenes aktuelles Buch genannt. Unter dem verkaufsfördernden Titel "Kampf der Emotionen" ist es jetzt auch auf Deutsch erschienen. "Es ist", so schreibt der Autor , "ein Versuch, die Globalisierung gewissermaßen in ihrer emotionalen Dimension zu vermessen."
Nun ist es mit Emotionen bekanntlich eine pikante Sache. Meistens lassen sie sich nicht exakt auf den Punkt bringen, und wenn man sie dann doch einmal fixiert hat, dann sind sie auch schnell wieder verpufft. In der Politik ist daher gut beraten, wer sich ums Bauchgefühl nicht wirklich kümmert. Parteien, Staaten, Regierungen - sie sind seit je angehalten, weithin nüchtern und rational zu handeln. Doch Dominique Moïsi, der sich selbst als einen "Idealisten in der Welt der Realisten" bezeichnet, glaubt, dass die Welt nicht immer so sachlich agiert, wie die Politologie das gerne hätte. Gerade die globalisierte Wirklichkeit mit ihren zahlreichen Brüchen und Unsicherheiten liefere den idealen Nährboden, auf dem Emotionen gedeihen und verderben könnten. "Kampf der Emotionen" ist daher der erste Versuch, die Welt nicht mehr nach Kulturen, nach Wohlstand oder nach ideologischen Herrschaftsräumen zu kartieren. Dieses Buch erklärt vielmehr die Gegenden der großen Gefühle.
Sollte Moïsi mit dieser neuartigen Weltbeschreibung recht haben, dann zerfiele unser Globus in drei große Teile: In Regionen der Hoffnung, Sphären der Demütigung und in die weiten Landstriche der Angst. Erstere bilden nach Meinung des Autors die asiatischen Länder mit ihren gigantischen ökonomischen Wachstumsraten, zweitere umfassen weite Gebiete der in Resignation erstarrten islamischen Welt, während sich zu guter letzt die Angstzonen über weite Teile der westlichen Hemisphäre erstrecken.
Zweifelsohne hat eine solche Weltkarte der Leidenschaften ihren Reiz. Sie macht Konflikte besser erklärbar, von denen man schon immer das Gefühl hatte, sie drehten sich um mehr als nur um Land, Sicherheit oder bedrohten Wohlstand.
Folgt man Moïsi, dann geht es beispielsweise in dem seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser nicht so sehr um einen Krieg harter Fakten. Es geht um unterschiedliche emotionale Erlebniswelten. Um einen Zusammenprall einer Kultur der Demütigung mit einer in Erstarrung verharrenden Kultur der Angst. Erst wenn dieser emotionale Knoten zerschlagen sei, meint Moïsi, könnten Therapien tatsächlich greifen.
Doch bei aller gebotenen Einfühlung vermag der franzöische Politologe nicht so recht zu überzeugen. Zuweilen hat es den Anschein, als tappte er mit seinen oft ins Hysterisch abgleitenden Zustandsbeschreibungen in eine selbst gemachte Falle hinein. Seine analysierten Gefühle nämlich, sie klingen nach Projektion und Übertragung. Wenn er etwa den Westen als eine ausgeprägte "Kultur der Angst" beschreibt, dann klingt daraus allzu oft nur die eigene Angst. Und wenn er von den Gefühlswelten der Anderen spricht, dann sind sie oft nur Spiegel eigener Empfindsamkeiten. Moïsi, der sich selbst als einen "leidenschaftlich gemäßigter Mann" versteht, er ist weitgehend getragen von eigenen Gefühlen. Das mag für eine Selbstanalyse ganz interessant sein. Für eine komplexe Weltbeschreibung aber ist das zuwenig. Schon Friedrich der Große riet schließlich einst davon ab, sich auf politischem Parkett als leidenschaftlicher Mann zu bewegen. Ein Rat, den man Dominique Moïsi gern an sein aufgewühltes Herz legen mag.
Kampf der Emotionen.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2009; 240 S., 19,95 ¤