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Bundeskanzlerin präsentiert Fahrplan - Opposition: »Spaltung des Landes«
Gewohnter Ort, neue Rollen: Die Aussprache zur Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 10. November im Bundestag war eine Debatte der Premieren. Frank-Walter Steinmeier (SPD) attackierte die Regierung erstmals als Oppositionsführer, Birgit Homburger trat erstmals als Fraktionsvorsitzende der FDP vor das Plenum, Jürgen Trittin als Vorsitzender der Grünenfraktion, Hans-Peter Friedrich als Chef der CSU-Landesgruppe, und die 32-jährige Agnes Krumwiede (Bündnis 90/Die Grünen) hielt nach nur gut sechs Wochen im Bundestag ihre erste Rede überhaupt in der Volksvertretung.
Selbst für die Bundeskanzlerin hielt der Tag zu Beginn der 17. Legislaturperiode eine Neuerung bereit - obwohl es bereits ihre 17 Regierungserklärung war: Sie konnte Frank-Walter Steinmeier, dem Neu-Abgeordneten in der ersten Reihe der dezimierten SPD-Fraktion, erstmals während einer Regierungserklärung in die Augen schauen. Von Steinmeiers bisher angestammtem Platz auf der Regierungsbank verfolgte nun Guido Westerwelle (FDP) als Außenminister und Vizekanzlers die gut 60 Minuten lange Rede der Kanzlerin in der sie sich durch fast alle Politikfelder hangelte und ihre Pläne für die kommenden Jahre skizzierte.
Die Kanzlerin verteidigte die Verkürzung der Wehrpflicht und den Umgang der Bundesregierung mit dem amerikanischen Automobilkonzern General Motors, lobte die Schuldenbremse für öffentliche Haushalte im Grundgesetz und das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz, mit dem Bürger und Unternehmen vom 1. Januar 2010 an entlastet werden sollen. Insgesamt plane die schwarz-gelbe Regierung, die Merkel mehrfach als die "christlich-liberale Koaliton der Mitte" bezeichnete, Entlastungen von 22 Milliarden Euro. Ziel der Bundesregierung sei es, Unternehmen wie Bürger gleichsam zuverlässig zu entlasten und den Bürgern "mehr Netto vom Brutto" zu lassen. "Deshalb werden wir noch in dieser Legislaturperiode zu einem einfacheren und gerechteren Steuersystem kommen", sagte Merkel, was ihr bei der FDP ebensolche lautstarke Zustimmung einbrachte wie die Aussage, "Leistung muss sich wieder lohnen".
Merkel sprach sich außerdem erneut für die Verlängerung der Laufzeiten sicherer Atomkraftwerke aus. Sie betonte, dass es flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne mit Union und FDP nicht geben werde, befristete Beschäftigungsverhältnisse dagegen erleichtert werden sollen und kündigte an, die Entkopplung von "Arbeitskosten und Kosten der sozialen Sicherheit" voranzutreiben. Als Grundlage der Regierungsarbeit präsentierte die Kanzlerin einen Fünf-Punkte-Plan: die Folgen der Wirtschaftskrise überwinden, das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern verbessern, Antworten auf die Veränderungen des Altersaufbaus der Gesellschaft finden, den globalen Umweltschutz vorantreiben und das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit ausbalancieren. "Freiheit in Verantwortung", sagte Merkel, sei das Credo dieser schwarz-gelben Koalition.
Erwartungsgemäß deutlich kritisierten die Redner aller Oppositionsfraktionen Rede und Pläne der Kanzlerin - allen voran der neue SPD-Fraktionsvorsitzende Steinmeier. Direkt nach Merkel trat er ans Rednerpult und warf der Bundesregierung vor, mit ihrer Politik die Spaltung des Landes zu betreiben. "Katastrophaler hätte der Start nicht sein können", wetterte er. Merkel habe keine Regierungserklärung vorgetragen, sondern ein Regierungsrätsel dessen Lösung sie selber nicht kenne. "Rätselhaft ist, wann, wo und wie die versprochenen Steuersenkungen umgesetzt werden sollen. Rätselhaft ist, wie Sie diese Steuersenkungen finanzieren wollen, was Sie den Menschen dann zumuten wollen, was Sie ihnen aufbürden wollen", kritisierte Steinmeier. "Wir brauchen eine Idee, wie wir die sozialen Gräben dieses Landes überwinden, wie wir wirkliche Chancengleichheit schaffen und wie wir im Bereich der Integration nachholen, was wir jahrzehntelang möglicherweise versäumt haben", forderte Steinmeier.
Auch wenn er sich jüngst vom Amt des Fraktionsvorsitzenden zurückgezogen hatte, attackierte Oskar Lafontaine (Die Linke) die Koalition gewohnt bissig. Die Bundeskanzlerin haben in ihrer Regierungserklärung "wesentliche Aufgaben nicht erkannt, geschweige denn Lösungsvorschläge gemacht", rügte Lafontaine und nannte die schwarz-gelbe Koalition die "falsche Regierung zur falschen Zeit". Dem Aufgabenkatalog der Kanzlerin stellte er den umfangreichen Katalog bekannter Forderungen der Linken gegenüber: Verbot von Leiharbeit sowie Hedgfonds und sogenannten Schrottpapieren, Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, Abzug aus Afghanistan, Rekommunalisierung der Energieversorgung, Rücknahme der Rente mit 67.
Bildstark ging Jürgen Trittin die Kanzlerin an und kritisierte "die soziale Kälte", die von Schwarz-Gelb ausgehe. In Anspielung auf Merkels Wahlkampfreise im historischen Rheingold-Express sagte Trittin, Merkel habe es geschafft, im Schlafwagen an die Macht zu kommen - jetzt zeige sie ihr wahres Gesicht: "Ihre Lok fährt mit Kohle- und Atomstrom, die hinteren Waggons werden abgekoppelt, in der zweiten Klasse fällt die Heizung aus, im Bistrowaggon steigen die Preise, aber dafür werden in der ersten Klasse Gratiscocktails serviert. Das ist Schwarz-Gelb auf einen Satz gebracht", rief er den Abgeordneten zu. Die angekündigte Steuerreform und -entlastung bezeichnete Trittin als verantwortungs- und wirkungslos und forderte: "Wir brauchen nicht leere Wachstumsversprechen, wir brauchen Investitionen in Klima, Bildung und Gerechtigkeit."
Birgit Homburger, die wie Merkel den Steuer-Stufentarif ankündigte, Volker Kauder (CDU) und Hans-Peter Friedrich (CSU) verteidigten die Politik der Koaltion und griffen ihrerseits die Opposition an. Friedrich nannte die Oppositionsfraktionen "Volksbeglücker, Volksbevormunder und Umverteiler". Kauder machte sich für bessere Aufstiegschancen in der Gesellschaft und für die Förderung des Mittelstands stark und kündigte den Ausbau erneuerbarer Energien an. Homburger stellte mehr Investitionen in Energieforschung in Aussicht, verteidigte den Umbau des Gesundheitssystems und die Einführung einer teilweisen Kapitaldeckung in der Pflegeversicherung.