FINANZEN
Die Steuersenkungspläne von Union und FDP stoßen auf massiven Widerstand der Opposition
Geringere Einnahmen sagen die Steuerschätzer voraus, ein Zuwachs bei den Staatsschulden ist in der mittelfristigen Finanzplanung nachzulesen. Dennoch glaubt der neue Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), dass er mit der Situation klar kommen wird: "Ich kann ziemlich gut rechnen", rief er den Oppositionsabgeordneten in der Debatte über den Entwurf des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes ( 17/15) am 12. November im Bundestag zu. Die Opposition zog dagegen die Rechenkünste des CDU-Politikers in Zweifel. Am heftigsten die Abgeordnete Gesine Lötzsch (Die Linke), die Schäuble daran erinnerte, dass er vor 20 Jahren zusammen mit dem damaligen Kanzler Helmut Kohl die deutsche Einheit aus der Portokasse bezahlen wollte.
Schäuble schilderte die Lage der Wirtschaft und der Staatskassen ohne Euphorie: "Die beginnende wirtschaftliche Erholung bedeutet noch nicht, dass wir automatisch eine größere finanzpolitische Manövriermasse haben." Vor diesem Hintergrund wolle die Bundesregierung "mittels Wachstumsstärkung durch die Krise kommen und alles für einen selbsttragenden Aufschwung tun", sagte Schäuble. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist für den Minister ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Es sieht neben einer Kindergelderhöhung auch Entlastungen für die Wirtschaft und für Erben (Details siehe Meldungskasten links) vor. Bund, Länder und Gemeinden müssen dafür über acht Milliarden Euro Einnahmeausfälle pro Jahr verkraften.
Zusammen mit bereits von der alten Koalition beschlossenen Maßnahmen im Bürgerentlastungsgesetz würden die Menschen im nächsten Jahr um 20 Milliarden Euro entlastet. Die Erhöhung des Kindergeldes ab Januar bezeichnete Schäuble als "sozial ausgewogene Maßnahme, die im übrigen auch der Stärkung der privaten Nachfrage dient". Die Maßnahmen für die Wirtschaft verteidigte Schäuble mit der Notwendigkeit, auch "den Mittelstand in konjunkturell schwierigen Zeiten zu entlasten und zu stärken"
Auch Carl-Ludwig Thiele (FDP) sprach von dem Ziel, die Rahmenbedingungen für das Wachstum zu verbessern. Es sei wichtig, dass Wachstumsbeschleunigungsgesetz noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen. Den Vorwurf der Klientelpolitik wies er als "unbegreiflich" zurück: "Wenn ein Einsetzen für die Familie als Klientelpolitik bezeichnet wird, bekennen wir uns ausdrücklich zu dieser Art der Klientelpolitik, denn die Familien sind die Wurzeln unserer Gesellschaft." Wenn man die Wurzeln stärke, werde Gutes für unser Land getan. Vorwürfe der SPD, es gebe Steuersenkungen auf Pump, konterte Thiele mit dem Hinweis, SPD-Finanzminister Peer Steinbrück habe "alle Schuldenrekorde gebrochen".
Für die SPD-Opposition kritisierte der Finanzexperte Joachim Poß, die Änderungen bei der Erbschaftsteuer oder die isolierte Herabsetzung der Mehrwertsteuer für Hotels hätten mit Wachstumsbeschleunigung nichts zu tun. Das sei "Etikettenschwindel, wohin man blickt". Die Koalition lasse in ihrer Vereinbarung vieles offen und verweise auf Arbeitskreise. Konkret seien Union und FDP nur bei der Schaffung eines gigantischen Schattenhaushalts geworden. "Dieser offenkundige Betrugsversuch ist Gott sei Dank erst einmal vom Tisch genommen", sagte Poß. Die Koalition schmücke sich zudem mit fremden Federn, weil ein Teil der Maßnahmen bereits von der Vorgängerregierung auf den Weg gebracht worden sei. Poß verlangte Maßnahmen zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes, etwa die Verlängerung der geförderten Altersteilzeit um fünf Jahre. Kommunen und Ländern durch das Gesetz Einnahmen in Milliardenhöhe zu entziehen, sei "Wachstumsverhinderung statt Wachstumsbeschleunigung", kritisierte der SPD-Politiker.
Alexander Bonde (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, die Strategie des Schattenhaushalts zur Auslagerung von Schulden sei "grandios gescheitert". Damit habe die schwierige Situation unter den Teppich gekehrt werden sollen. Im Koalitionsvertrag stehe der Schattenhaushalt noch. "Wir werden aufpassen, dass es ein Comeback der großen Lüge nicht geben wird", sagte Bonde.
Der Grünen-Politiker rechnete der neuen Regierung vor, es müsse bis zum Jahre 2030 ein jährliches Wachstum von 4,2 Prozent geben, um die Steuerpläne mit den europäischen Stabilitätskriterien unter einen Hut zu bringen. Das seien "absurd hohe" Wachstumsannahmen. "Was Sie machen, ist Traumtänzerei", sagte der Haushaltsexperte von Bündnis 90/Die Grünen. Er forderte die schwarz-gelbe Koalition auf, ihr "Wahlgeschenkebeschleunigungsgesetz" einzustampfen.
Gesine Lötzsch (Die Linke) verlangte die sofortige Einführung einer Börsenumsatzsteuer und die Zurücknahme aller Deregulierungsgesetze für den Finanzmarkt. Kleine und mittlere Unternehmen müssten sofort direkte Kredite vom Staat erhalten. Die Hartz IV-Sätze für Kinder seien anzuheben, verlangte sie. Die Koalitionsvereinbarung mache deutlich, welche Schwierigkeiten die Regierung mit der Wahrheit habe. Zwar sei der Versuch, einen Schattenhaushalt zu erreichten, nach massiven öffentlichen Protesten gescheitert, aber jetzt werde der ganze Bundesetat ein einziger Schattenhaushalt.
Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz sei in Wirklichkeit ein Umverteilungsgesetz. Lötzsch sagte, ihr werde Angst und Bange angesichts der Aussage des Finanzministers, er wolle den Haushalt auf Sicht fahren: "Schon der Kapitän der Titanic fuhr auf Sicht, und wir wissen, wie die Sache ausgegangen ist."