COMPUTERSPIELE
Die Bundesregierung will die Kriterien der Indizierung verschärfen
Der Amokläufer vom Erfurter Gutenberg-Gymnasium hat angeblich seine Freizeit vor dem Computer verbracht und besonders gern das so genannte Ego-Shooter Spiel "Counterstrike" gespielt. Als vier Jahre später ein 18-jähriger Schüler mit Rohrbomben und vier Gewehren bewaffnet die Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten überfallen und wahllos um sich geschossen hat, wurde erneut ein Zusammenhang mit "Killerspielen" hergestellt. Doch ob es den auch tatsächlich gibt, ist nach wie vor umstritten.
So behauptet etwa der Psychologe Jürgen Hilse, der als ständiger Vertreter der Obersten Landesjugendbehörde bei der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) für die Kennzeichnung der für unter 18-Jährige geeigneten Computerspiele zuständig ist: "Computerspiele steigern nicht die Gewaltbereitschaft." Es gebe keine Studien, die einen ursächlichen oder monokausalen Zusammenhang herstellen, sagt Hilse. Für Manfred Spitzer, Hirnforscher an der Universität Ulm ist wiederum völlig klar: es gibt einen Zusammenhang zwischen Computerspielen und einer gesteigerten Gewaltbereitschaft - insbesondere bei Jugendlichen. Das sei "wissenschaftlich nachgewiesen", betont Spitzer.
Aus Sicht der Hirnforschung seien derartige Spiele sehr gefährlich - gerade für Heranwachsende. "Das Gehirn passt sich an Erlebtes an", sagt Spitzer, "wer Gewalt in Computerspielen tagtäglich erlebt, gewöhnt sich an diese Gewalt." Der Wissenschaftler kann auch den immer wieder gern angeführten Lerneffekt nicht erkennen: "Was soll ein ballernder Jugendlicher dabei lernen?" Stattdessen steige die Gefahr von Aufmerksamkeitsdefiziten (ADS) und Hyperaktivitätssteigerungen (AHDS). "Beides wird durch die intensive Nutzung von Bildschirmmedien verstärkt", so Spitzer. Was also kann dagegen getan werden? Manfred Spitzer schlägt eine Radikallösung vor: gewaltdominierte Computerspiele müssten verboten werden. Doch damit steht er ziemlich allein.
Ein Verbot so genannter Killerspiele greife viel zu kurz, glaubt beispielsweise der Vorsitzende des Bundestags-Unterausschusses Neue Medien, Christoph Pries (SPD). Zum einen sei der Begriff "Killerspiele" nicht fassbar und führe in die Irre. Gewaltverherrlichende Spiele seien bereits heute verboten. Zum anderen gelte der Jugendmedienschutz in Deutschland auch international als vorbildlich. Pries sieht dennoch angesichts rasanter technologischer Entwicklungen einen Weiterentwicklungsbedarf. Der von der Bundesregierung dazu vorgelegte Gesetzentwurf ( 16/8546) komme dem nach, urteilt der SPD-Politiker.
Dieser Entwurf, erläuterte Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) am 10. April vor dem Bundestag, verschärfe und fokussiere die Definition von Gewalt. "Wir wollen künftig Spiele und Filme indizieren, bei denen besonders realistische, grausame und reißerische Darstellungen von Gewalt Selbstzweck sind und das Geschehen beherrschen." Außerdem solle die Alterskennzeichnung sichtbarer gemacht werden. "Ich würde derzeit ohne Lesebrille nicht identifizieren können, für welches Alter ein Produkt zugelassen ist oder nicht", sagte die Ministerin. Von einem "Gesetzesplacebo" sprach hingegen Christoph Waitz (FDP). Jeder wisse, dass beispielsweise über Tauschbörsen im Internet Jugendliche relativ einfach an indizierte Computerspiele gelangen könnten. "Das ist zwar illegal, aber anscheinend ein weit verbreiteter Weg", so Waitz. Auch ein sehr gutes Jugendschutzgesetz nutze nichts, wenn es an der Wirklichkeit vorbei gehe.
Gegen eine reine Verbotspolitik bei Computerspielen wandte sich auch Jürgen Kucharczyk (SPD): "Ein Totalverbot von Killerspielen bringt uns angesichts der Onlineproblematik nicht weiter." Grünen-Politiker Kai Gehring vermisst in dem Gesetz "wirklich durchgreifende und wirksame Maßnahmen". Gehring forderte die Verschärfung des Bußgeldkataloges. Wenn die durchschnittlichen Strafen unter 100 Euro lägen, blieben sie ein "zahnloser Tiger".
Bei allen Unterschieden in der Bewertung der Novelle sind sich die Politiker in einer Einschätzung einig: Den Eltern komme eine entscheidenden Rolle beim Umgang mit Computerspielen zu. "Unser Nachwuchs", so Jörn Wunderlich (Die Linke), "braucht Medienkompetenz und elterliche Kontrolle in dieser immer komplexer werdenden Medienwelt." Kinder müssten lernen, mit virtuellen Welten umzugehen und Risiken abzuschätzen. Dabei sei moderne Medienpädagogik gefragt, so Wunderlich. FDP-Politiker Waitz forderte, Eltern müssten sich mit Umfang und Inhalten des Medienkonsums ihrer Kinder auseinandersetzen. Das sieht auch die Ministerin so. Um Eltern in die Lage zu versetzen, ihren Kindern Medienkompetenz zu vermitteln, habe man mit Partnern aus den Medien die Kampagne "Schau hin - was Deine Kinder tun!" gestartet.
Für Hirnforscher Manfred Spitzer ist der Weg über die Eltern auch ein richtiger Ansatz. Seiner Ansicht nach lasse jedoch die Politik die Eltern auf diesem Weg allein. Einem 13-Jährigen könne man den Haschkonsum mit Verweis auf die Gesetzeslage untersagen. Bei Computerspielen müsse man hingegen mit der Reaktion: "Wieso? Die sind doch nicht verboten." rechnen. Dem kann sich Heiko Klinge vom PC-Spielemagazin Gamestar nicht anschließen. Für ihn ist das Ganze eher ein "Generationenproblem". Viele Eltern wüssten nichts über die Spiele, mit denen ihre Kinder sich beschäftigten. Aber nicht nur das. "Wichtig wäre im Umgang mit Computerspielen Erziehung und Aufklärung", sagt Klinge. Er befürchte jedoch, dass manche Eltern die Kinder vor den Computer oder die Konsole setzen um "einfach mal Ruhe zu haben".
Auf die Verantwortung der Eltern verweist auch Spieleprüfer Jürgen Hilse. Es sei immer wieder die Rede von der "Medienkompetenz der Kinder". Das sei sicher richtig, aber: "Zuerst brauchen wir einmal die Medienkompetenz bei den Eltern!" Er habe erlebt, wie ein erkennbar unter 16-jähriger Junge den Ego-Shooter "Counterstrike" kaufen wollte. Nachdem die Verkäuferin ihm dies verwehrt hatte, sei der Vater gekommen und habe gesagt: Dann kaufe ich es. Das, so Hilse, sei durch kein Jugendschutzgesetz zu verhindern.