DEUTSCHER ETHIKRAT
Fragen, die den Grenzbereich menschlicher Existenz berühren, werden in diesem Gremium diskutiert. Der Bundestag hat künftig das Recht auf Mitsprache und Entscheidung
Sterbehilfe, Verpflanzung menschlicher Organe in einen anderen Körper, Fortschritte in der Fortpflanzungsmedizin oder die Patentierung biotechnologischer Erfindungen, die auf menschlichem Material basieren. Das alles berührt ethische Grenzen. Darf alles, was technisch möglich ist, auch wirklich gemacht werden? Wo ist die Grenze?
Um diese Fragen zu beantworten - und sei es auch nur ansatzweise - hat sich am 11. April ein "Deutscher Ethikrat" unter Vorsitz von Edzard Schmidt-Jortzig gegründet. Der 66-jährige Kieler Jura-Professor war von 1996 bis 1998 Bundesminister der Justiz. Der FDP-Politiker gehörte dem Bundestag 18 Jahre an und schied 2002 aus. Zu seinen Stellvertretern wählte das Gremium den Freiburger Theologen Eberhard Schockenhoff und die Kölner Medizinerin Christiane Woopen.
26 Mitglieder gehören dem Ethikrat an, davon 13 Mitglieder auf Vorschlag des Bundestages. Im Rat sollen unterschiedliche "ethische Ansätze" und ein "plurales Meinungsspektrum" vertreten sein, so der Auftrag an das Gremium. Die Mitglieder sollen naturwissenschaftliche, medizinische, theologische, philosophische, ethische, soziale, ökonomische und rechtliche Belange in besonderer Weise repräsentieren, heißt es im Ethikrat-Gesetz.
Unter den Mitgliedern des "Deutschen Ethikrates", der die Nachfolge des "Nationalen Ethikrates" antritt, sind folglich Vertreter aller genannten Fachrichtungen. Politiker, wie der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) und die bisherige Vorsitzende des "Nationalen Ethikrates", Hessens frühere Justiz-Staatssekretärin Kristiane Weber-Hassemer (SPD) sind in seinen Reihen vertreten. Ebenso Mediziner, wie die Frankfurter Herzspezialistin Stefanie Dimmeler, Juristen, wie Jochen Taupitz von der Universität Mannheim Die Mitglieder sind bis Anfang 2012 benannt.
Im Gegensatz zu seinem Vorgängergremium, das nur der Bundesregierung verantwortlich war, ist der Ethikrat auch parlamentarisch legitimiert. Dies sei - vor dem Hintergrund der "schwierigen und hoch umstrittenen Grundsatzfragen", die zur Diskussion stünden - auch notwendig, findet Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Nicht zuletzt von der öffentlichen Akzeptanz sei es abhängig, welchen Beitrag der Ethikrat zu einem "angemessenen und sachlich ausgewogenen Entscheidungsverfahren" leisten kann.
Der Bundestag geht dabei noch einen Schritt weiter. Ein Parlamentarischer Beirat wurde ins Leben gerufen. Dessen Vorsitzender ist der 43-jährige Hagener SPD-Abgeordnete René Röspel. Der Beirat ist unter anderem mit der Begleitung und Unterstützung der Debatten des Ethikrates betraut. Er soll einschlägige Gesetzgebungsprozesse auf nationaler und europäischer Ebene in Zusammenarbeit mit den parlamentarischen Gremien begleiten und die Berichte des Ethikrates zur Diskussion im Bundestag vorbereiten.
Ein Ethikrat, der gleichermaßen Parlament wie Bundesregierung verantwortlich ist und dem ein eigenes Bundestagsgremium zu- oder vorgeschaltet ist - das ist eine völlig andere Situation als im Juni 2001, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den Nationalen Ethikrat berief. Er sollte der Bundesregierung Ratschläge, insbesondere zu Fragen der Bioethik, geben. Er formulierte zum Beispiel eine Stellungnahme zum Stammzellgesetz. Darin sprach sich der Nationale Ethikrat dafür aus, Importe so genannter embryonaler Stammzellen künftig von Fall zu Fall zu prüfen und das derzeitige Verbot der Einfuhr von Stammzellen, die nach 2002 gewonnen wurden, zu kippen. Ferner wollte der "Nationale Ethikrat" die Bürger zur Organspende motivieren. Die Vorsitzende Weber-Hassemer sagte seinerzeit im Interview mit "Das Parlament", sie würde sich wünschen, dass die Gesellschaft "weder aus Angst heraus bestimmte Tabus festzurrt, noch eine Laissez-faire-Haltung einnimmt" (Nr. 1, 2. Januar 2007).
Zeitgleich amtierte eine Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin", die von 2000 bis 2005 den Auftrag hatte, Fragen ähnlichen Charakters zu debattieren und einen Bericht vorzulegen. Böse Zungen behaupteten seinerzeit, es gebe zwei Gremien zu dem gleichen Thema.
Deswegen dürfte es auch mit ein Grund sein, dass das - mutmaßliche Konkurrenzverhältnis - nunmehr aufgehoben scheint. Man möchte sich zu Fragestellung äußern, die uns "auf den Nägeln brennen", so Schmidt-Jortzig nach seiner Wahl. Welche Themen das sind, das wollte oder konnte der frischgewählte Vorsitzende noch nicht verraten. Auf der nächsten Sitzung, die am 24. April stattfindet, werde man die Themen festlegen.
Eine Vorgabe gab Lammert dem Deutschen Ethikrat bei dessen Konstituierung mit auf den Weg: Er erinnerte daran, dass das Gremium den gesellschaftlichen und den politischen Diskurs unterstütze, gerade weil der Rat Meinungsverschiedenheiten Raum gebe. Seine Vielstimmigkeit entspreche dem demokratischen Politikverständnis, in dem moralische Ansprüche unverzichtbar seien. Der Bundestagspräsident stellte aber auch klar, dass "der Anspruch auf Wahrheit keine Grundlage für verbindliches politisches Handeln sein kann".