MILCHKRISE
Mit flexibler Mengensteuerung wollen Grüne und der Verband der Milchviehhalter den Preissturz aufhalten
Wenn sich nichts ändert, ist in einem halben Jahr Schluss. Dann ist der Familienbetrieb von Sabine Holzmann mit den 47 Milchkühen am Ende. Schuld daran sind die Milchpreise, die sich seit Monaten schon im Sinkflug befinden. "Wenn ich bei jedem Liter Milch, den ich der Molkerei verkaufe, 15 Cent zulegen muss, kann das auf die Dauer nicht gut gehen", sagt die Milchbäuerin aus Gutthät im Landkreis Landshut. Klingt logisch: Wer für etwa 35 Cent den Liter produziert, kann ihn eigentlich nicht für 20 Cent verkaufen. Warum sie es dennoch tut? "Was soll ich machen? Die Kühe verkaufen und auf bessere Zeiten hoffen?" Von den Molkereien bekomme sie auf die Frage nach den geringen Auszahlungspreisen die Antwort, der Einzelhandel zahle nun mal nicht mehr für Milchprodukte. Ist also der Einzelhandel Schuld an dem Dilemma? Eindeutig ja, sagt der Präsident des Bauernverbandes Gerd Sonnleitner. Von "Raubrittertum" spricht er in diesem Zusammenhang und von "Schandpreisen der Discounter". Milchbäuerin Holzmann ist da skeptisch. Es sei doch klar, dass ein Handelskonzern keine "karitative Einrichtung" ist. Das eigentliche Problem sei: "Wir haben zuviel Milch auf dem Markt." Das müsse sich ändern, wolle man faire Preise erzielen. "Wir brauchen eine flexible Mengensteuerung. Wir brauchen eine Milchquote", fordert Holzmann und ist sich dabei einig mit dem Verband der Deutschen Milchviehhalter.
In der Politik findet diese Forderung lediglich bei den Grünen offene Ohren. Deren Agrar-Expertin Ulrike Höfken fordert ebenfalls "den Milchhahn zuzudrehen". "Der Milchmarkt braucht Regeln", sagte sie am 28. Mai während der Bundestagsdebatte über einen Grünen-Antrag ( 16/12308, 16/13119), der eine flexible Mengensteuerung bei der Milch forderte - in namentlicher Abstimmung jedoch abgelehnt wurde. Es sei gut, dass die Quote, die jährlich erhöht wird, im Jahr 2015 endgültig auslaufe, sagte Manfred Zöllmer (SPD). Darauf habe man sich europaweit verständigt. "Eine neue Quote würde nur neue Probleme schaffen", sagte Zöllmer. Die CSU-Landwirtschaftsexpertin Marlene Mortler verwies auf die Anstrengungen, die Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) auf europäischer Ebene unternommen habe, um doch zu einer Mengenkürzung zu kommen. Aigner habe "alle Register gezogen" - sich jedoch nicht durchsetzen können. Das müsse man zur Kenntnis nehmen. "Wir müssen uns auf das Machbare konzentrieren", forderte sie. Soll heißen: Wenn eine Angebotsverknappung nicht zu erreichen ist, muss sich auf die Nachfrageerhöhung konzentriert werden. Etwa über den Export. Die seit Jahresbeginn verfügbaren "Exporterstattungen" seien dabei eine große Hilfe, so Mortler. Die Behauptung mit diesen Subventionen würden in Entwicklungsländern Märkte zerstört, sei "aberwitzig".
Das sieht Hüseyin-Kenan Aydin (Die Linke) anders. Die Subventionen seien aus entwicklungspolitischer Sicht ein "Irrsinn". Auch SPD-Mann Zöllmer betonte, es habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass mit Exporterstattungen sehr wohl Märkte zerstört würden. "Der Versuch, die Überproduktion auf dem Weltmarkt abzusetzen, ist falsch und gefährlich", befand er. Protektionismus sei das "völlig falsche Signal" und helfe auch den Milchbauern nicht.
Die bayrische Bäuerin Sabine Holzmann stimmt dem zu. Subventionierter Export sei das schlimmste für die Bauern in der ganzen Welt, sagt sie. Kein Verständnis hat sie dafür, dass trotz der ihrer Ansicht nach 90-prozentigen Unterstützung aller Bauern für die Milchquote die Politik einfach Nein sagt. Was statt dessen angeboten werde, sei zu wenig. Vorgezogene Direktzahlungen bedeuteten keine nachhaltige Unterstützung, und die Senkung der Agrardieselsteuer helfe den Milchbauern nicht. "Darüber freut sich nur der Bauernverband, weil es der industriellen Landwirtschaft hilft", sagt sie. Für den FDP-Agrarexperten Hans Michael Goldmann ist die Agrardieselsteuersenkung ein "fauler Kompromiss". Noch mehr ärgert er sich jedoch über die Milch-Politik der Grünen. Deren Antrag bezeichnete er als "verlogen". Es sei "unlauter", den Menschen Hoffnungen zu machen, eine flexible Mengensteuerung sei in Europa zu erreichen. "Wir müssen aus dem Steuerungssystem raus", betonte er und kritisierte auch die nicht erkennbare Linie der Bundesregierung in dieser Frage.
Das zuständige Bundesministerium will einen Grund des Problems in den "erheblichen Strukturproblemen der deutschen Molkereiwirtschaft" ausgemacht haben, wie der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Müller (CSU) am 26. Mai vor dem Agrarausschuss sagte. Die Exportbemühungen seien nicht ausreichend und die Wertschöpfung zu gering. Während in Deutschland aus einem Liter Milch 85 Cent erwirtschaftet würden, seien es in Italien 1,50 Euro.
Gegen diese Kritik wehrt sich Michael Brandl, Geschäftsführer des Milchindustrie-Verbandes. Die deutschen Molkereien seien besser als ihr Ruf und auch besser als es der Staatssekretär darstelle, sagte Brandl dieser Zeitung. Wenn man heute die Molkereien dafür kritisiere, dass sie sich vom Einzelhandel "an die Wand pressen lassen würden", dürfe nicht vergessen werden, dass es der ehemalige Landwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) gewesen sei, der mit Hilfe des Kartellamtes eine stärkere Konzentration der Molkereien, die auch die Marktposition gegenüber dem Handel verbessert hätte, verhindert habe, sagte Brandl.
Wie geht es nun weiter für Sabine Holzmann und ihre 47 Kühe? Noch hat sie Hoffnung. "Wir sind ein kleiner Familienbetrieb und versuchen durch weitere Einsparungen etwa bei der Fütterung über die Runden zu kommen." Außerdem ist 2009 ja das Superwahljahr. "Wahltag ist Zahltag", sagt sie und macht sich damit Mut.