Koalitionsvertrag
Arbeitsmarkt, Inneres, Gesundheit, Pflege, Bildung und Familie: Die wichtigsten innenpolitischen Ziele von Union und FDP im Überblick
Diesmal fehlt der Deutschland-Bezug im Titel. Der Koalitionsvertrag, in dem Union und FDP ihre Regierungsarbeit für die kommenden vier Jahre skizzieren, steht unter dem Motto "Wachstum, Bildung, Zusammenhalt". Ganz einfach. Ihre beiden Vorgängerregierungen benötigten noch etwas mehr Vokabular: "Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit" hieß es 2005 zu Beginn der großen Koalition. "Aufbruch und Erneuerung - Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert" nannte die erste rot-grüne Bundesregierung 1998 ihr Regierungsprogramm.
Unterteilt in sechs Kapitel - von "Wohlstand für alle" bis "Verfahren und Ämter" -präsentieren CDU, CSU und FDP auf 124 Seiten im Koalitionsvertrag ihre Ziele für die kommenden vier Jahre.
"Einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn lehnen wir ab." Dieser Satz der Koalitionsvereinbarung bringt die Position auf den Punkt, die Union und FDP seit Beginn der Diskussion vertreten. Bei den branchenbezogenen Mindestlöhnen ist die Entwicklung hingegen offen. Sie bleiben zunächst unangetastet, werden jedoch 2011 daraufhin überprüft, "ob sie Arbeitsplätze gefährden oder neuen Beschäftigungsverhältnissen entgegenstehen". Zu den Zielen der Koalition gehört ferner, den Unternehmen mehr Flexibilität bei der Einstellung von befristet Beschäftigten zu gewähren. So soll nach einer Frist von zwölf Monaten ein zuvor befristet Eingestellter erneut beschäftigt werden können, auch wenn es keinen sachlichen Grund für die Befristung gibt. Bisher war das nicht möglich, weil verhindert werden sollte, dass Firmen ihren Arbeitnehmern einen Zeitvertrag nach dem anderen unterschreiben lassen.
Entgegen ursprünglichen Plänen der Liberalen bleibt die betriebliche Mitbestimmung hingegen unangetastet, das heißt, die Zahl der Betriebsräte sowie der Sitze von Gewerkschaftern in Aufsichtsräten wird nicht reduziert. Auch die von der FDP angestrebte Radikalreform von Hartz IV und die Zusammenführung aller staatlichen Unterstützungsleistungen für Bedürftige in einer Bürgergeld-Pauschale wird es - zumindest nach dem Koalitionsvertrag - nicht geben. Hartz-IV-Bezieher dürfen künftig mehr von ihrem Angesparten behalten: pro Lebensjahr 750 statt 250 Euro (Schonvermögen).
Die umstrittene Sperrung von kinderpornografischen Internet-Seiten, die Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) kurz vor Ende der großen Koalition gegen heftigen Widerstand durchgesetzt hat, wird zunächst für fünf Jahre ausgesetzt. Stattdessen setzt die Koalition auf die Selbstregulierungskräfte der Wirtschaft und die Fähigkeit der Polizei, diese Seiten zu löschen. Für Online-Durchsuchungen von Computern ist künftig die Genehmigung des Bundesgerichtshofes nötig. An der von der FDP heftig kritisierten Speicherung von Daten aus Telefon- und Internetverbindungen (Vorratsdatenspeicherung) ändert sich vorläufig nichts. Allerdings bleibt der Zugriff auf die Daten bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Sache ausgesetzt.
Am umstrittenen Gesundheitsfonds wird kurzfristig nicht gerüttelt. Allerdings zeichnet sich in der Finanzierung der Gesundheitskosten ein grundlegender Wandel ab, weg von solidarisch auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber verteilten Lasten. Union und FDP haben angekündigt, den Arbeitgeberanteil an den Krankenkassenbeiträgen auf sieben Prozent einzufrieren, was bedeutet, dass künftige Beitragssteigerungen allein zu Lasten der Arbeitnehmer gehen werden. Die Krankenkassen sollen künftig wieder unterschiedlich hohe Beiträge statt eines Einheitsbeitrages von 14,9 Prozent verlangen dürfen. Auch zwischen Regionen sollen wieder unterschiedlich hohe Prämien möglich sein. Die Koalition bringt ihr Ziel in der Gesundheitspolitik folgendermaßen auf den Punkt: "Langfristig wird das bestehende Ausgleichssystem überführt in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie, regionalen Differenzierungsmöglichkeiten und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeträgen, die sozial ausgeglichen werden." Mit anderen Worten: Es wird eine Pauschalprämie geben.
Die Pflegeversicherung soll zu einem Teil privatisiert werden. Zu prozentualen Abzügen vom Einkommen könnte dann ein pauschaler Beitrag hinzukommen, um die wachsende Zahl von Pflegefällen zu finanzieren und die Pflege von Demenzkranken auszuweiten. Um das Berufsbild der Altenpflege attraktiver zu gestalten, wollen Union und FDP die Ausbildung durch ein neues Berufsgesetz grundlegend modernisieren. Im Koalitionsvertrag ist außerdem vereinbart, dass die Koalitionsparteien dafür sorgen wollen, dass ausländische Hilfskräfte, pflegende Angehörige oder deutsche Hilfskräfte auch notwendige pflegerische Alltagshilfen erbringen können. "Alle Bemühungen um eine finanzielle Absicherung des Pflegerisikos im Rahmen der Pflegeversicherung entbinden den Einzelnen aber nicht davon, seine Eigenverantwortung zur Absicherung des Pflegerisikos und zur Gestaltung der Pflege wahrzunehmen", betont Schwarz-Gelb.
Bereits zu Zeiten der großen Koalition hatte Kanzlerin Angela Merkel die "Bildungsrepublik Deutschland" ausgerufen. Das zweite Kapitel des Koalitionsvertrages widmet sich dementsprechend diesem Thema. Allerdings müssen die Ankündigungen vor dem Hintergrund der tatsächlichen Einflussmöglichkeiten des Bundes gelesen werden - die sind besonders nach der Föderalismusreform nicht allzu groß. Dennoch: Die Ausgaben für Bildung und Forschung sollen bis 2013 um insgesamt zwölf Milliarden Euro steigen. Bis 2015 sollen sie einen Anteil von zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen. Ein ambitioniertes Ziel - auch wenn jüngst aus einigen Ländern zu hören war, dieser Wert sei bereits erreicht. Interessant wird deshalb sein, welche Ausgaben sich im Detail hinter der Zehn-Prozent-Marke verbergen.
Relativ konkret sind die Pläne der schwarz-gelben Koalition hinsichtlich des Stipendiensystems. So soll es Stipendien für besonders begabte Studenten geben - 300 Euro monatlich, unabhängig vom Elterneinkommen. "Bildung ist für uns Bürgerrecht. Deswegen sagen wir der Bildungsarmut den Kampf an", heißt es in der Koalitionsvereinbarung weiter. Offen bleibt hingegen, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Zwar ist von "Bildungsbündnissen vor Ort" die Rede, die unterstützt werden sollen. Jedoch wird nicht genauer ausgeführt, was das konkret heißen soll.
Familien und Lebensgemeinschaften werden als Leistungsträger der Gesellschaft gewürdigt. "Eltern sollen die Wahlfreiheit haben, Familienleben und Erwerbstätigkeit nach ihren Wünschen zu gestalten", schreiben die Koalitionäre. Flexible Arbeitszeitmodelle sollen die Entscheidung für Kinder erleichtern.
"Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu einem festen Bestandteil einer modernen und nachhaltigen Personalpolitik in den Unternehmen zu machen, werden wir die bisherige Initiative zu einer großen Kampagne erweitern", heißt es. Als Beitrag zu Stärkung der Familien plant Schwarz-Gelb auch die Anhebung des Kinderfreibetrages. In einem ersten Schritt soll dieser von Januar 2010 von 6024 auf 7008 Euro angehoben werden. Zum selben Zeitpunkt steigt das Kindergeld um jeweils 20 Euro - also auf 184 für das erste und zweite Kind, auf 190 für das dritte und auf 215 für alle weiteren Kinder. Ab dem Jahr 2013 soll ein Betreuungsgeld für Eltern eingeführt werden, die ihre Kinder zu Hause betreuen. Ferner soll Kinderlärm künftig kein Thema mehr für Gerichte sein.