PARLAMENTARISCHE STAATSSEKRETÄRE
Vermittler mit Mandat - 30 gibt es in dieser Wahlperiode
Doppelrollen im Film sind hinlänglich bekannt: Liselotte Pulver mimte zwei Personen in "Kohlhiesels Töchter", Kevin Kline in "Dave", Naomi Watts in "Mulholland Drive". Doppelrollen im parlamentarischen Alltag werden hingegen selten so bewusst wahrgenommen - 30 dieser Rollen sind in der vergangenen Woche neu besetzt worden: die Posten der Parlamentarischen Staatssekretäre.
Parlamentarische Staatssekretäre sind Abgeordnete und zugleich einem Ministerium zugeordnet. Sie werden, so heißt es knapp im Gesetz, den Mitgliedern der Regierung "beigegeben", um diese zu unterstützen. "Der ,Parlamentarische' ist Schnittstelle zwischen Parlament, Ministerium und Öffentlichkeit", sagt Barbara Hendricks (SPD). Sie war neun Jahre lang Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen. Von Oktober 1998 bis November 2007 hat sie "in jeder Sitzung des Finanzausschusses gesessen, das Ministerium im Vermittlungsausschuss vertreten und eine Fülle von Außenterminen übernommen". Zentrale Aufgabe der Parlamentarischen Staatssekretäre ist ihrer Erfahrung nach die normale parlamentarische Arbeit, das Alltagsgeschäft, "die Vermittlerfunktion" zwischen Abgeordneten und Ministerium.
Eine Einschätzung, die Peter Altmaier (CDU) teilt. Der 51-Jährige war in der 16. Wahlperiode Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: "Ohne Parlamentarische Staatssekretäre wäre es der Regierung nicht möglich, dem Parlament intensiv Rede und Antwort zu stehen, weil kein Minister sich erlauben könnte, jeden Mittwoch drei oder vier Stunden im Ausschuss zu sitzen." Der Parlamentarische Staatssekretär sei in vielen Fällen leichter verfügbar und ansprechbar für die Kollegen als der Minister. Er könne Anliegen einzelner Parlamentarier "ins Ministerium einspeisen und für entsprechende politische Konsequenzen sorgen", sagt Altmaier, der jetzt Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion ist.
Kabinettssitzung, Arbeitsgruppensitzung der Fraktion, Ausschusssitzung, Plenum, Bundesrat, Außentermin - der Terminkalender war bei Hendricks und Altmaier immer voll. Wie stark die Amtsinhaber eingespannt sind, hängt maßgeblich von "ihren" Ministern ab. Denn was Parlamentarische Staatssekretäre tun sollen und machen dürfen, ist nur sehr vage im Gesetz und in der Geschäftsordnung der Bundesregierung geregelt - Details sind allein dem Minister überlassen. Er kann über Hausanweisungen näher bestimmen, wo, wann und wie er durch seinen "Ersatzmann" vertreten werden möchte. Die Abhängigkeit vom Minister zeigt sich nicht nur hier. Bei der Bestellung liegt zwar das Vorschlagsrecht beim Kanzler, allerdings nur "im Einvernehmen mit dem Bundesminister". Und auch das Ende des Amtsverhältnisses ist maßgeblich vom Minister abhängig: Er kann den Parlamentarischen Staatssekretär jederzeit und ohne Begründung entlassen. Und wenn der Minister geht, endet automatisch auch die Amtszeit des Parlamentarischen Staatssekretärs.
Nachteilig findet Peter Altmaier diese Konstruktion nicht; er hält die Flexibilität des Amtes gerade für eine große Chance: "Natürlich hängt die Ausgestaltung von den konkreten Personen ab. Aber eine Konkretisierung der Aufgaben könnte dazu führen, dass dem Parlamentarischen Staatssekretär ein zu enges Korsett geschnürt wird." Dadurch könnten vorhandene Entfaltungsmöglichkeiten abgeschnitten werden.
Für die beiden Parlamentarischen Staatssekretäre a. D. ist das Amt für den Bundestag wichtig, gar unverzichtbar: "Durch die Existenz des Parlamentarischen Staatssekretärs wird auch der Einfluss des einzelnen Abgeordneten erhöht", ist Altmaier überzeugt. Und Hendricks sagt: "Für das normale parlamentarische Geschäft ist er sicherlich für den Abgeordneten wichtiger als der Minister."
So positiv wird das Amt häufig nicht wahrgenommen. Verfassungsrechtliche Bedenken mischen sich mit Kritik an Ausstattung und Versorgung der Amtsinhaber im Verhältnis zu ihren Aufgaben. "Trostpreis" spöttelte erst jüngst eine Tageszeitung mit Blick auf die Vergabe der Posten; "teuer und überflüssig" urteilt der Jurist Hans-Herbert von Arnim immer wieder. Andere Staatsrechtler verweisen auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung: Dieser sei verletzt, weil zu viele Parlamentarier als Minister und Staatssekretäre auf der Regierungsbank säßen. Echte Kontrolle der Exekutive durch die Legislative könne so nicht stattfinden. Ganz von der Hand zu weisen ist der Vorwurf nicht: Insgesamt 45 Parlamentarier - die Kanzlerin, 14 Minister und 30 Parlamentarische Staatssekretäre - arbeiten in dieser Legislaturperiode auf Seiten der Regierung; das sind 7,23 Prozent der Mitglieder des Bundestags. Allerdings verbietet das Grundgesetz die Parlamentszugehörigkeit von Ministern nicht; sie ist seit 60 Jahren in der Praxis üblich. Und der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg hat 1973 jedenfalls das Amt der politischen Staatssekretäre im Land für verfassungsgemäß erklärt; es ist mit dem Amt der Parlamentarischen Staatssekretäre im Bund vergleichbar.
Regierungsmitglied und Abgeordneter - diese Doppelrolle ist Hendricks und Altmaier sehr bewusst gewesen. "Ich habe mich immer als leidenschaftliche Parlamentarierin gefühlt und meine Rolle so gesehen", sagt Hendricks, "wenn auch mit erweitertem oder darüber hinaus gehendem Auftrag."