Evelyn Zupke, geboren 1962 in Binz auf Rügen, hat Erfahrung mit DDR-Wahlen. Nach dem Abitur darf sie nicht studieren, geht zur Gastronomie, wird Kellnerin, Eisverkäuferin, Buffetier. Sie darf studieren, wenn sie in die SED eintritt. Sie will nicht. 1984 ist DDR-Kommunalwahl. Das „Kasperletheater” mit „Zettelfalten” macht sie nicht mit. Am Wahltag versucht der Chef erneut, sie umzustimmen, vergeblich. „Danach übersieht er mich. Kollegen grüßen nicht oder dürfen nicht. Kein Tag nun ohne Hygienekontrolle.” Sie findet Arbeit bei der Kirche.
Inzwischen in Berlin trifft sie im Friedenskreis Weißensee Leute, die wie sie denken. Sie wollen beweisen, was jeder ahnt: Die DDR fälscht die Ergebnisse der Scheinwahl. Wer nicht zur Wahl geht, wird zu Hause von offiziellen Wahlhelfern besucht. Es gibt kaum Nein-Stimmen. Offizielle Ergebnisse gibt es nur für ganze Orte, nie für Stimmbezirke. Die Wahlbeobachter brauchen aus jedem Wahllokal das Ergebnis.
Zupke und der Leiter des Friedenskreises Mario Schatta organisieren das. Viele machen mit. Je zwei Beobachter sehen bei Auszählungen in 67 Weißenseer Wahllokalen zu. In der Elisabethkirche treffen sich die Zähler. Zupke verkündet unter Jubel: „Weißensee: 2.156 Nein-Stimmen.” Tags darauf das offizielle Ergebnis: 1.011. Über die Hälfte der Stimmen werden unterschlagen. Zupke stellt Strafantrag, vergebens. Urteile wegen Wahlfälschung folgen erst nach dem Ende der DDR. Anonym als „Mündige Bürger” demonstrieren sie (Motto: „Nie genug vom Wahlbetrug”) am 7. jeden Monats; auch am 7. Oktober, am DDR-Gründungstag, unter Tausenden Feiernden. Sie gehen schließlich zum Palast der Republik, wo die Staatsführung feiert. Polizisten drängen sie ab, schlagen weit weg brutal zu, nehmen viele fest. Zupke ist spät dran. Ein Polizist: „Gute Frau, gehen Sie nach Hause. Hier ist alles vorbei.” Viele Demonstranten verlieren die letzte Hoffnung auf eine bessere DDR.
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Chronik
„Der Anfang vom Ende der DDR: Die Jahre 1985-1990”
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Text: Karl-Heinz Baum
Erschienen am 2. Oktober
2009