PROTESTE
Bundestag debattiert über die Forderungen nach einer Reform des Bologna-Prozesses
Seit gut drei Wochen protestieren in Deutschland die Studenten, besetzen Hörsäle und springen der Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, während einer Pressekonferenz medienwirksam auf den Tisch. Sie machen ihrem Ärger Luft über die ihrer Meinung nach verkorkste Bologna-Reform. Eine Reform, die nur ein verschultes Studium unter Zeitdruck und keine Möglichkeiten zu individueller Schwerpunktsetzung zulasse, so der Tenor der Demonstranten. Sie fordern etwa, den als berufsqualifizierend gedachten Bachelor-Abschluss, der nach sechs bis acht Semestern erreicht werden kann, als Regelabschluss abzuschaffen. Aber Mängel im Bologna-Prozess, der 1999 eingeleitet worden war, um die europäischen Hochschulsysteme zu vereinheitlichen, sind nicht der einzige Kritikpunkt. Die Studierenden demonstrieren auch für bessere Lehr- und Lernbedingungen, eine Aufstockung des Hochschulpersonals, eine Förderung aller Studenten statt einer Elitenbildung und die Abschaffung der Studiengebühren.
Am 26. November haben die Anliegen der Protestierenden auch den Bundestag erreicht. In einer von der Linksfraktion eingeforderten Aktuellen Stunde zum Thema bekundeten alle 13 Redner mehr oder weniger Verständnis für die Anliegen der Studenten. Rosemarie Hein von der Linksfraktion bestärkte die Studenten darin, "weiter zu streiken, bis Vernunft einzieht". Hein sagte, das von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) geplante Bildungssparen führe zu einer "Privatisierung der Bildungskosten". Es nütze nur denjenigen, die sparen können, "den Hartz IV-Empfängern nützt es nicht", sagte Hein. Es sei ein Schritt zur "Entsolidarisierung der Gesellschaft". Sylvia Canel von der FDP-Fraktion verteidigte den Plan: "Jedes Neugeborene soll ein Zukunftskonto mit 150 Euro bekommen." Es ermögliche ein Ansparen für "Investitionen in die Person selbst". Zudem wies sie Kritik an den Studiengebühren zurück: "Gute Bildung zum Nulltarif gibt es nicht", betonte Canel. Investitionen in die Bildung lohnten sich für alle, deshalb müssten auch alle daran beteiligt sein.
Kai Gehring, Sprecher der Grünenfraktion für Hochschulfragen, entgegnete, dass Studenten keine Kunden auf Bildungsmärkten seien. Er kritisierte zudem die geplanten Steuersenkungen der Regierung: "Steuersenkungen entziehen der Bildungsrepublik die Grundlage." Zwar sei die für 2010 geplante BAföG-Erhöhung ein Schritt vorwärts. Mit dem Bildungssparen und Stipendien für Privilegierte mache die Regierung jedoch "zwei Riesenschritte rückwärts".
Michael Kretschmer (CDU) hatte zuvor erklärt, dass sein Verständnis für die Proteste langsam schwinde. Zwar sei Bologna eine gewaltige Reform und nicht alles funktioniere. Andererseits habe noch keine Regierung zuvor soviel Geld in Bildung investiert. Die Regierungskoaliton stehe zu dem "klaren Bekenntnis, zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung auszugeben". Die Vorsitzende des Bildungsausschusses, Ulla Burchardt (SPD) stimmte Kretschmer zu, dass "beste Bildung für alle ein unstreitiges Ziel" sei. "Das erfordert aber die Abschaffung der Studiengebühren", bekräftigte Burchardt die Forderung ihrer Fraktion nach gebührenfreier Bildung von der Kita bis zu den Hochschulen.
Der FDP-Obmann im Bildungsausschuss, Patrick Meinhardt, kritisierte die Forderung nach der Abschaffung der Studiengebühren. "Bildung ist kein Discountartikel", sagte Meinhart. Es gehe nicht um "billig, billiger, am billigsten", sondern darum, "wie wir Bildung gut, besser und am besten gestalten".
Mit Blick auf die aktuellen Zahlen des Statitischen Bundesamtes zu den Studienanfängern im Studienjahr 2009 äußerte Bildungsministerin Annette Schavan Zweifel, ob Studiengebühren junge Leute tatsächlich vom Studium abhielten. Nach der Statistik, die am 25. November veröffentlicht wurde, haben rund 423.400 Studienanfänger 2009 ein Studium begonnen. Das sind 43 Prozent ihres jeweiligen Jahrgangs und damit laut Statistischem Bundesamt so viele wie nie zuvor. Insgesamt wurde für das Wintersemester 2009/2010 die Höchstzahl von rund 2,13 Millionen Studenten gezählt. Außerdem sei etwa der Zulauf der Hochschulen in Bayern und Nordrhein-Westfalen, zwei Bundesländern, die Gebühren erheben, größer als in Ländern ohne Studiengebühren, sagte Ministerin Schavan.
Diesen Zahlen hielt Daniela Kolbe von der SPD-Fraktion eine Untersuchung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle entgegen. Sie belege, dass vor allem die Länder ohne Studiengebühren ihre "Wanderungsbilanz" verbessern, also mehr Studienanfänger gewinnen konnten als in den Jahren zuvor. Kolbe sagte, ihre Eltern hätten sich gefreut, dass sie studieren wolle, sich aber gleichzeitig gefragt, ob sie sich zwei studierende Kinder leisten können. "Verschulden fürs Studium - das wäre niemals infrage gekommen", betonte Kolbe.