Vieles ist erreicht worden, nicht alles hat funktioniert - auf diese Formel lässt sich die Diskussion über die Vereinigung der Wissenschaftssysteme der Bundesrepublik und der DDR 20 Jahre nach dem Fall der Mauer bringen. Darin bestand bei den Teilnehmern des Symposiums "Wissenschaft und Wiedervereinigung - Bilanz und offene Fragen" in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften weitgehend Einigkeit. Zum Auftakt der Veranstaltung am 24. November nannte der Präsident der Akademie, Günter Stock, die "geistige Vereinigung Deutschlands gelungen" - gerade vor dem Hintergrund, dass es kein Modell gegeben habe, das man hätte kopieren können.
Weniger Einigkeit bestand in der Bewertung der Art und Weise der Vereinigung. Während Akademiepräsident Stock sagte, dass das westdeutsche System dem ostdeutschen "keineswegs übergestülpt" worden sei, widersprach dem Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD). "Es ist ein politisch-ökonomisch erfolgreiches Modell auf ein politisch-ökonomisch erfolgloses Modell getroffen", sagte Thierse. "Bei dem einen musste sich alles ändern, bei dem anderen nichts." Er beschreibe das ohne jeden Vorwurf, sagte Thierse, der bis 1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften im Zentralinstitut für Literaturgeschichte war. Auch er habe keine Alternative gesehen. Er kritisierte allerdings den "radikalen Personalaustausch" nach 1990. Die ideologische Beeinflussung der Mitarbeiter sei je nach Disziplin unterschiedlich gewesen. Er stelle sich die Frage, ob dies berücksichtigt worden sei und ostdeutsche Wissenschaftler wirklich die gleichen Chancen gehabt hätten.
Jürgen Kocka, Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, befand bei der Podiumsdiskussion, dass es beim inhaltlichen und institutionellen Zusammenschluss der beiden Systeme "nur Gewinn und wenig Kritik" gebe. "Niemand bedauert, dass es keine Lehrstühle für Marxismus mehr gibt, oder fast niemand", sagte Kocka. Auch wolle niemand ernsthaft zur Gängelung durch die Politik zurück. Allerdings bewertete auch er den Umgang mit dem wissenschaftlichen Personal als problematisch. So sei etwa der Versuch, Wissenschaftler aus der DDR von 1992 bis 1996 mit dem "Wissenschaftler Integrations Programm" (WIP) in gesamtdeutsche universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen einzubinden, "eklatant gescheitert". Nur rund jeder sechste der 1.500 durch das WIP geförderten Wissenschaftler wurde unbefristet angestellt. Ein Drittel der ostdeutschen Wissenschaftler wurde mit dem Ende des Programms arbeitslos.
Dagmar Schipanski, die 1989 an der Technischen Universität Ilmenau dozierte, betonte, dass sich 1990 "zwei völlig unterschiedliche Systeme" gegenübergestanden hätten. Die Universitäten in der DDR seien zentral gesteuert, die Forschungsziele vorgegeben und die Wissenschaft international isoliert gewesen, sagte Schipanski. Positiv bewertete sie die "Hinwendung zur Lehre" in der DDR, die auch heute noch in den ostdeutschen Ländern zu finden sei. "Es hat auch gute Strukturen und Vorteile gegeben, die nur zur Kenntnis genommen werden müssen."