BUNDEsTag
Opposition fordert Untersuchungsauschuss wegen des Nato-Luftangriffs bei Kundus
Es war ein wahrer politischer Paukenschlag, mit dem die vergangene Woche in der deutschen Hauptstadt endete. Am Freitag Abend gab Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor der Presse in Berlin bekannt, dass Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) dem am Nachmittag zurückgetretenen Franz Josef Jung (CDU) als neue Arbeitsministerin nachfolgen wird. Neue Familienministerin wird dafür die 32-jährige Bundestagsabgeordnete Kristina Köhler, die wie Jung dem hessischen Landsverband der CDU angehört.
Ausgangspunkt für das politische Erdbeben war die Bundestagsdebatte am Vortag über die Verlängerung des Isaf-Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan für ein weiteres Jahr. Doch die Diskussion wurde schnell überlagert von Rücktrittsforderungen an Jung. Er habe, so der Vorwurf aus den Reihen der Oppsition, als damaliger Verteidigungsminister von Informationen über zivile Opfer des Nato-Luftangriffs auf zwei von Taliban-Kämpfern entführte Tankfahrzeuge am 4. September 2009 bereits früher als behauptet Kenntnis gehabt und diese bewusst zurückgehalten. Er sei als Bundesminister deshalb nicht weiter tragbar.
Bei dem Luftangriff nahe der Ortschaft Kundus, den ein Oberst des deutschen Isaf-Kontingentes angeordnet hatte, waren bis zu 142 Menschen - darunter auch Zivilisten - getötet worden.
In der äußerst hitzigen Debatte scheiterte die SPD-Fraktion zwar zunächst mit dem Geschäftsordnungsantrag, Jung zu einer Stellungnahme vor das Parlament zu zwingen. Dann erklärte der Minister sich jedoch dazu bereit, dies im Laufe des Tages nachzuholen. In einer vereinbarten Debatte betonte Jung schließlich, er habe "sowohl die Öffentlichkeit als auch das Parlament korrekt" über seinen Kenntnisstand informiert. Zugleich musste er jedoch einräumen, von der Existenz eines Berichts der deutschen Militärpolizei zu den Folgen des Luftangriffs zwar gewusst, diesen aber nicht gelesen zu haben, bevor er an die Nato-Untersuchungskommission weitergeleitet worden sei. Dieser geheime Feldjäger-Bericht, über den die "Bild"-Zeitung am gleichen Tag berichtet hatte, enthält offenbar konkrete Angaben zu den zivilen Opfern.
Trotz des Rücktritts von Jung wird seine Informationspolitik als Verteidigungsminister ein parlamentarisches Nachspiel haben. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion sprach von einer "Vertrauenskrise zwischen Parlament und Regierung" hinsichtlich der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Und die Obleute der Fraktionen kündigten nach einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses am vergangenen Freitag an, einen Untersuchungsausschuss einrichten zu wollen. Da im Verteidigungsausschuss nicht alle Akten eingesehen werden könnten, laufe es auf die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses hinaus, erkärte Rainer Arnold für die SPD. "Der Chefaufklärer muss das Parlament sein", forderte auch Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen). Unterstützt wird diese Forderung auch von der Linksfraktion.
Der Verteidigungsausschuss hat gemäß Artikel 45a des Grundgesetzes als einziger Bundestagsausschuss das Recht, sich als Untersuchungsausschuss zu konstituieren, wenn dies mindestens ein Viertel seiner Mitglieder beantragt. Es verfügt dann über die gleichen Rechte wie ein Unterschungsauschuss, den der Bundestag mit einem Viertel aller Stimmen einsetzen kann.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Susanne Kastner (SPD) bestätigte gegenüber "Das Parlament", dass ihre Fraktion auch nach dem Rücktritt Jungs an der Forderung festhält, dass sich der Verteidigungsausschuss als Untersuchungsauschuss konstituieren soll. In diesem Fall würde die Sozialdemokratin den Vorsitz führen. Sollte der Bundestag hingegen mit mindestens einem Viertel seiner Mitglieder einen regulären Untersuchungsausschuss einberufen, würde gemäß der Geschäftsordnung des Bundestags ein Mitglied der stärksten Fraktion, also der CDU/CSU, den Vorsitz übernehmen.
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte zuvor vor dem Verteidigungsauschuss ein "Höchstmaß an Transparenz" angekündigt, um die konkreten Umstände des Luftangriffs bei Kundus aufzuklären. "Ich habe angeboten, dass ich Papiere, die bislang als geheim eingestuft waren und die ich runterstufen kann, auch runterstufen werde, damit die Abgeordneten sich wirklich ein offenes, klares Bild der Zusammenhänge machen können."
Guttenberg hatte bereits am Donnerstag den Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, und den Staatssekretär Peter Wichert von ihren Ämtern enthoben. Guttenberg begründete diesen Schritt damit, dass er bei seinem Amtsantritt nicht alle Informationen erhalten habe, die für seine Bewertung des Luftangriffs wichtig gewesen wären. Guttenberg hatte den Luftangriff nach seinem Amtsantritt als Verteidigungsminister noch als militärisch richtige Entscheidung bezeichnet. Er versprach, nach gründlicher Prüfung aller Berichte, eine Neubewertung vorzunehmen.