HARTZ IV
Mitten in der Krise müssen die Jobcenter umgebaut werden. Wie eine kundenfreundliche Verwaltung aussehen soll, darüber streiten die Fraktionen
Ein idealer Zeitunkt sieht anders aus. Ausgerechnet jetzt, wo die Wirtschaft in einer dramatischen Rezession steckt, herrscht in den Jobcentern große Verunsicherung. Ausgerechnet jetzt, da Zehntausende vom Arbeitslosengeld I in das Hartz-IV-System zu rutschen drohen, muss die Verwaltung umgebaut werden. Wer jedoch hat den Arbeitslosen und den Jobcenter-Mitarbeitern das eingebrockt? Der Bundestag wäre nicht der Bundestag, wenn darüber in der Debatte am 17. Dezember nicht heftig gestritten worden wäre.
Doch der Reihe nach: Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2007 hat die "Mischverwaltung" der Jobcenter als verfassungswidrig eingestuft und bis Ende 2010 eine Neuregelung gefordert. Die große Koalition hatte keine Reform zustandegebracht. "Jetzt liegt das Päckchen unter dem Tannenbaum des Arbeitministeriums", sagte Gabriele Lösekrug-Möller (SPD), "um dieses Geschenk beneide ich Sie nicht, Frau von der Leyen." Die angesprochene neue Ministerin sitzt auf der Regierungbank und grinst über das weihnachtliche Sprachbild.
Die als Macherin geltende ehemalige Familienministerin hat eine Mammutaufgabe vor sich: In den mehr als 340 Jobcentern im Lande, im Fachjargon "Argen" genannt, kümmern sich Kommunen und Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeinsam um Hartz-IV-Empfänger. Doch die Argen entsprechen nicht der Anforderung, dass für den Bürger die Verantwortlichkeiten klar erkennbar sein müssen, monierten die Karlruher Richter. Nun muss eine Reform her. Der Streit dreht sich darum, welche Folgerungen aus dem Urteil gezogen werden: Die Auflösung der Argen oder deren dauerhafte Einrichtung durch eine Grundgesetzänderung, für die allerdings eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich wäre. Für letzteres werben SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die jeweils entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt haben ( 17/181, 17/182, 17/206). Doch von der Leyen hat andere Pläne, ihre Eckpunkte liegen bereits vor. Sie will auf eine Verfassungsänderung verzichten, die Jobcenter formal trennen, aber unter einem Dach eng verzahnt weiterarbeiten lassen.
Der Schlagabtausch im Plenum war heftig. Kein Wunder, denn es geht um ein zentrales Feld der Sozialpolitik. Es geht um 6,5 Millionen Menschen, die Grundsicherung beziehen, um 63.000 Mitarbeiter der Verwaltung, um 48 Milliarden Euro, die umverteilt werden. Und es geht um die Frage, was eine kundenfreudliche Verwaltung ist.
"Das erinnert mich alles an ein Lied von Herbert Grönemeyer", sagte Hubertus Heil (SPD), das laute "Es könnte so einfach sein, ist es aber nicht." Der Arbeitsmarktexperte warb für eine Grundgesetzänderung, die doch auch alle Bundesländer wollten, aber letztendlich am Widerstand einiger weniger in der Union gescheitert sei. Er erläuterte die Pläne seiner Fraktion, die die Argen in rechtlich eigenständige Behörden mit eigener Personalhoheit umwandeln möchte. Heil reichte der Union die Hand zum Kompromiss bei den 69 sogenannten Optionskommunen. Das sind Städte oder Kreise, die aufgrund einer Experimentierklausel alleine die Betreuung von Langzeitarbeitslosen übernommen haben. Die SPD wollte deren Zahl bisher begrenzen, die Union wünscht sich mehr davon. "Wir können sogar über eine moderate Erhöung der Optionskommunen reden", sagte Heil und rückte damit näher an die Vorschläge der Grünen, die ihren Gesetzentwurf als eine Art "Friedensangebot" (Brigitte Pothmer) sehen, um die verfestigten Fronten zwischen Union und SPD aufzubrechen. Union und FDP sollten nicht "kleinkariert parteipolitisch denken, nach dem Motto: 'Wir wollen die Sozis nicht einbeziehen'", sagte Heil, "ihre Eckpunkte stoßen auf keinerlei Akzeptanz."
Der Union geht es ebenso, wenn sie die Gesetzentwürfe der SPD studiert. Es gelte, "die Grundsätze der Verfassung zu achten" und nicht die Verfassung immer zu ändern, wenn es ein Urteil aus Karlsruhe gebe, argumentierte Paul Lehrieder (CSU). Unterstützung bekam er von der FDP. Man könne nicht die Verfassung nach Belieben "an das politische Tagesgeschäft anpassen", sagte die Liberale Gabriele Molitor. Auch sonst ließen FDP und Union an den Inhalten des SPD-Entwurfs kein gutes Haar. Was die SPD mit den "Zentren für Arbeit und Grundsicherung" wolle, "baut eine Bürokratie sondergleichen auf", sagte Thomas Dörflinger (CDU), "sie wollen 350 neue Behörden, 350 neue Verwaltungsstrukturen", hinzu kämen Ausschüsse und Beauftragte für Chancengleichheit. "Nachbesserungsbedarf" sieht Dörflinger jedoch auch bei den Plänen des Arbeitsministeriums: Kommunen und BA müssten auch in den neuen Argen "auf Augenhöhe" stehen. Dennoch sei das Papier für die Arbeits- und Sozialminister der Länder "eine gute Basis", fügte Heinrich Kolb (FDP) hinzu.
Für die Opposition dagegen ist die geplante Zerschlagung der bestehenden Strukturen ein Rückschritt zu mehr Bürokratie, größerer Rechtsunsicherheit und schlechterer Betreuung der Arbeitslosen. "Sie schicken die Arbeitslosen wieder von Pontius zu Pilatus", sagte Brigitte Pothmer von den Grünen. Was die Regierung wolle, koste 800.000 Millionen Euro jährlich zusätzlich an Verwaltungskosten. Die getrennte Aufgabenwahrnehmung werde "ein Gewürge"; schon jetzt liefen den Jobcentern die Beschäftigten weg.
Katja Kipping (Die Linke) mahnte: "Das drohende Chaos im Zuge der Umstrukturierung darf nicht auf dem Rücken der Langzeitarbeitslosen ausgetragen werden." Sie befürchtet eine "Verdoppelung der Fälle bei den Sozialgerichten", sollte die Regierung ihre Pläne umsetzen.