Ihr Ruf eilt ihr voraus. Während sich so manches neue Gesicht im Bundestag erst politisch profilieren muss, scheint über Sahra Wagenknecht schon alles hinreichend bekannt. Über Jahre hinweg hat die überzeugte Kommunistin das Image einer Kämpferin gegen den neoliberalen Zeitgeist gepflegt, ihr Name ist heute untrennbar verbunden mit komprisslos linker Politik und Kapitalismuskritik. Bündnisse mit der SPD lehnt Die Linke-Politikerin entschieden ab, auch auf Landesebene: Die SPD sei heute auch schon neoliberal.
Diese Radikalität der Positionen, diese Kompromisslosigkeit den politischen Gegnern gegenüber hat Wagenknecht bekannt gemacht. Sie ist damit mehr Ausnahme als Regel im politischen Betrieb der Hauptstadt, zu dessen fester Größe sie seit diesem Herbst geworden ist.
Sahra Wagenknecht sitzt in ihrem neuen Büro im Berliner Regierungsviertel; Arbeit gibt es schon zuhauf, fast pausenlos klingelt eines ihrer Handys: sie scheint gefragter denn je in diesen letzten Wochen des Wirtschaftskrisenjahres 2009. "Es ist an der Zeit, gesellschaftliches Denken und gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verändern", hebt Wagenknecht an. "Nur so kann die Bundesregierung dazu gebracht werden, ihre Politik zu ändern." So günstig wie heute standen die Zeichen dafür lange nicht mehr. Krisenzeiten - das sind nicht selten auch Zeiten des Umdenkens. Bei Sahra Wagenknecht war dies nicht anders. Erst die Krise des DDR-Sozialismus machte sie - ganz dialektisch - zur glühenden Marxistin.
Wagenknecht, 1969 in Jena geboren und in Ost-Berlin aufgewachsen, begann schon früh, ihre Leidenschaft zur Philosophie zu entdecken. Vor allem einer hatte es ihr angetan: Karl Marx. Die sozialistische Gesellschaft, die dieser unvermeidlich kommen sah, sie war in der DDR nach offizieller Lesart schon real, allein verheißungsvoll wirkte dieser Sozialismus nicht. "Die gesellschaftliche Realität in der DDR stand für mich zunehmend im Widerspruch zu dem, was Sozialismus seinem Anspruch nach ist", sagt Wagenknecht rückblickend. "Es war ein System, das keine Produktivität und keine Kreativität hervorbrachte." Wagenknecht wollte dies ändern: Im Frühjahr 1989 trat sie der SED bei, um, wie sie es formuliert, "das System von innen heraus zu verändern." Doch der Sozialismus war nicht mehr zu retten, im Herbst 1989 fiel die Mauer, knapp ein Jahr später war Deutschland ein vereintes Land.
Für Wagenknecht war dies kein Grund, politisch zu verstummen. Energischer als zuvor engagierte sie sich, nun in der SED-Nachfolgepartei PDS. 1991 wurde die erst 22-Jährige in den Parteivorstand gewählt, dem sie, mit einer Unterbrechung zwischen 1995 und 2000, bis heute angehört.
Neben dieser anfangs allein ehrenamtlichen Parteiarbeit studierte Wagenknecht Philosophie und Germanistik. Die Universität verließ sie 1996 mit einer Abschlussarbeit über ihren geistigen Mentor, Karl Marx. Nun konnte sich die Marxistin, wie Wagenknecht sich selbst bezeichnet, ganz der Politik zuwenden. Der erste Anlauf, ein politisches Mandat zu erringen, scheiterte zur Bundestagswahl 1998.
2004 gelang ihr schließlich der Einzug in das Europäische Parlament. Die Wirtschaftspolitik wurde in Brüssel zu ihrem Schwerpunkt, dort war Wagenknecht bis zu ihrem Ausscheiden in diesem Jahr Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Nebenbei arbeitete sie an einer Dissertation in Volkswirtschaft, um "sattelfest in ökonomischen Fragen" zu werden. "Wenn man sich in die theoretischen Grundlagen der Ökonomie einarbeitet", sagt Wagenknecht, "verliert man auch schnell den Respekt vor der neoliberalen Ideologie." In ihrer ersten Rede vor dem Bundestag stellte sie dies erneut unter Beweis. Die Linke-Politikerin forderte darin eine "andere Wirtschaftsordnung" und "andere Formen wirtschaftlichen Eigentums". Mit Sahra Wagenknecht hat die Linksfraktion jedenfalls eine wirtschaftpolitische Sprecherin erhalten, die die gegenwärtige Wirtschaftsordnung grundsätzlich in Frage stellt. Kontroversen in diesem Politikfeld sind damit programmiert.