Ausschussvorsitzender Thilo Hoppe zur Armutsbekämpfung
Ein "Rettungspaket für die Entwicklungsländer hat der Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Thilo Hoppe (Bündnis 90/Die Grünen), gefordert. Im Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" sagte der Bundestagsabgeordnete, angesichts einer Milliarde hungernder Menschen sei dies von der Weltgemeinschaft" nicht zu viel verlangt".
Herr Hoppe, Sie haben im Entwicklungsausschuss ständig mit
Hunger, Armut und Katastrophen zu tun. Würden Sie sich
trotzdem als Optimisten bezeichnen?
Als Berufsoptimisten, ja. Es gibt gar keine Alternative dazu. Das bedeutet nicht, dass man die Dinge beschönigt oder mit statistischen Tricks schönrechnet. Es gibt aber immer wieder einzelne Erfolge, etwa bei einzelnen der Millenniumsentwicklungsziele, über die wir vergangene Woche im Bundestag debattiert haben. Es ist wichtig, diese Erfolge zu würdigen und herauszustellen, um sich selbst nicht zu entmutigen.
Die bisherige Bilanz der im September 2000 verabschiedeten
Millenniumsziele ist äußerst durchwachsen. Wo gibt es
Fortschritte?
Im Bereich Bildung zum Beispiel gibt es messbare Erfolge. Die Zahl der Kinder, die zumindest eine Grundschulausbildung durchlaufen, ist deutlich gestiegen. Der Grund sind oft konkrete Entschuldungsmaßnahmen. Beispielsweise wurden Tansania Schulden nur unter der Bedingung erlassen, dass das Land die freigewordenen Summen in die Bildung investiert. Auf diese Weise bekommen jetzt Hunderttausende Kinder eine kostenlose Schulbildung. Allerdings gibt es auch auf diesem Gebiet noch viel zu tun – besonders, was die Qualität der Bildung betrifft.
Auf einem anderen, wichtigen Gebiet ist die Bilanz kaum so positiv.
Bis 2015 soll die Zahl der extrem Armen halbiert werden. Viele
Kritiker sagen, das sei nicht mal annähernd zu schaffen.
Warum?
Das ist tatsächlich sehr unwahrscheinlich. Bei der Bekämpfung des Hungers gibt es massive Rückschläge. Die Zahl der Hungernden ist explodiert und hat die magische Grenze von einer Milliarde erreicht – ein historischer Höchststand.
Was läuft schief?
Die Ursachen liegen zum einen in der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise, die massive Auswirkungen natürlich auch auf Entwicklungs- und Schwellenländer hat. Zum anderen hat die Entwicklungszusammenarbeit die Förderung der Landwirtschaft in den Ländern, in denen Hunger herrscht, lange Zeit sträflich vernachlässigt. Gerade einmal drei Prozent der Mittel aus den Entwicklungshaushalten der Staaten sind in diesen Bereich geflossen. Auch die Entwicklungsländer selbst haben ihre Landwirtschaft sträflich vernachlässigt. Das muss jetzt ganz dringend korrigiert werden, besonders angesichts der akuten weltweiten Nahrungsmittelkrise.
Hat die Politik versagt?
Das muss man klar sagen. Dass wir die Millenniumsziele noch nicht erreicht haben, die Bilanz in einigen Bereich so katastrophal ausfällt, hat ganz massiv mit einem Politikversagen auf allen Ebenen zu tun. Wir waren es schließlich, die die Landwirtschaft in vielen Entwicklungsländern kaputt gemacht haben – durch hoch subventionierte Agrarexporte aus der Europäischen Union.
Eines der Ziele, sozusagen "das achte Gebot" der
Millenniumserklärung, ist es, genau diese Handelsschranken
abzubauen. Ist bis heute nichts geschehen?
Das Problem ist die mangelnde Kohärenz der Politik. Immer wieder kommt es vor, dass sich – wie in der vergangenen Woche – die Bundesentwicklungsministerin im Bundestag klar gegen die Agrarexportsubventionen ausspricht, die Bundesagrarministerin sich aber dafür stark macht, dass Milch und Butter wieder hoch subventioniert in alle Welt verschickt werden. Es gibt leider viele Beispiele dafür, wie inkohärent die Europäische Union, einzelne Industrienationen und auch die Bundesregierung vorgehen. Dahinter stecken knallharte Lobbyinteressen. Den Lobbyisten geht es nicht darum, die Millenniumsziele zu erfüllen, sondern darum, Geschäfte zu machen.
Deutschland hat seine Mittel für die
Entwicklungszusammenarbeit gerade erst aufgestockt. Insgesamt
stehen 2009 im Haushalt 5,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Ist
das nicht genug?
Definitiv nicht. Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, dass die Leute sagen: "Ihr habt gute, ehrgeizige Pläne, aber sie sind nicht finanzierbar." Dabei haben wir im vergangenen Jahr erlebt, was für gigantische Summen weltweit quasi über Nacht mobilisiert werden konnten zum Retten und Abstützen des Bankensektors. Daran kann man doch erkennen: Wenn ein politischer Wille da ist, geht einiges. Es ist alles eine Frage der Prioritätensetzung. Angesichts der explodierenden Zahl der Hungernden müssen wir jetzt den Einsatz erhöhen.
Sie fordern also ein milliardenschweres Konjunkturprogramm für
die Entwicklungsländer?
Durchaus. Wir müssen durch Öffentlichkeitsarbeit, parlamentarische Arbeit und zusammen mit den Nichtregierungsorganisationen klar machen: Eine Milliarde hungernde Menschen, die in ihrer Existenz bedroht sind, müssen uns zu einem großen Rettungspaket herausfordern. Das wäre von der Weltgemeinschaft nicht zu viel verlangt.
Wie viel Geld wäre nötig?
Da gibt es unterschiedliche Berechnungen. In einigen Prognosen heißt es, um den Hunger in der Welt zu besiegen, seien Mittel von 40 bis 45 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich. Zwischen 12 und 22 Milliarden Euro hat die Staatengemeinschaft im vergangenen Jahr zugesagt. Davon wurde bisher allerdings nicht mal ein Viertel tatsächlich ausgezahlt. Dabei will allein Deutschland nun weitere 50 Milliarden Euro in ein Konjunkturpaket zur Stimulierung der eigenen Wirtschaft investieren. Wir reden also nicht von völlig illusorischen, gigantischen Summen, sondern von durchaus finanzierbaren Projekten.
Mit Geld allein macht man aber noch keine erfolgreiche
Entwicklungshilfe. Was muss auf struktureller Ebene
geschehen?
Natürlich kann man sich nicht vom Hunger freikaufen, die Vergabe von Mitteln muss von sehr vielen Politiken flankiert werden. Dazu gehören gerechtere Handelsbeziehungen und die Förderung einer nachhaltigen, standortgerechten Landwirtschaft.
Also Öko-Landbau in Afrika?
Eher "Bio-light". Der Nachhaltigkeitsgedanke ist ganz wichtig, sonst schießt man ein Eigentor. Ich habe mit Entsetzen feststellen müssen, dass transnationale Konzerne die "Errungenschaften" der modernen Landwirtschaft in die Entwicklungsländer tragen – gentechnisch verändertes Saatgut, massiver Einsatz von Stickstoffdüngern und Pestiziden. Sie sagen: Die Weltbevölkerung wächst, die Menschen hungern, wir müssen also die Produktion steigern. Eine solche Landwirtschaft zerstört aber langfristig die Böden und verschärft den Klimawandel, der diese Länder ohnehin am härtesten trifft.
Im Entwicklungshilfeausschuss gab es kürzlich eine
Anhörung zu erneuerbaren Energien. Welche Bedeutung haben sie
für die Armutsbekämpfung?
Wenn Volkswirtschaften, beispielsweise in Afrika, auf eigene, praktisch immer verfügbare Energiequellen wie Wind- oder Sonnenenergie zurückgreifen könnten, wäre das eine riesige Errungenschaft. Denn diese Energien machen sie unabhängig vom Öl und würden Arbeitsplätze schaffen. Deutschland hat da eine Menge zu bieten. Wir können den Partnerländern helfen, eine eigene Industrie aufzubauen und sie in die Lage versetzen, selbst Solarpaneele herzustellen und diese auch zu warten.
Glauben Sie insgesamt noch an eine Verwirklichung der
Millenniumsziele?
Ich bin skeptisch, aber wir bewegen uns zumindest bei sieben von acht Zielen in die richtige Richtung – nur eben viel zu langsam. Was mich wirklich sorgt, ist die große Zahl der Hungernden. Wenn das Recht auf Nahrung nicht gewährleistet ist, dann ist auch das Recht auf Leben und Überleben nicht gewährleistet. Und hinter jedem dieser eine Milliarde Menschen steht ein Mensch, der leidet und in seiner Existenz bedroht ist.