Seit Montag, 29. Juni 2009, steht die litauische Hauptstadt Vilnius ganz im Zeichen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Parlamentarier aus allen 56 Mitgliedstaaten kommen dort bis Freitag, 3. Juli, zur 18. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung (PV) der OSZE zusammen. Die deutsche Delegation wird von dem CSU-Abgeordneten Hans Raidel angeführt, der auch Schatzmeister der PV ist. Im Interview beschreibt Raidel, was in Vilnius zur Sprache kommen soll.
Herr Raidel, im Mittelpunkt stehen Beratungen über die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die OSZE-Staaten. Was erwarten Sie von dieser Debatte?
In der gegenwärtigen schwierigen Weltlage, innerhalb deren das globale Finanz- und Bankensystem, Sicherheit und Wirtschaft sowie die internationale Zusammenarbeit der Staatengemeinschaft einen ausgeprägten Raum beanspruchen, ist das Zusammentreffen von mehr als 250 Parlamentariern und einer etwa gleich großen Anzahl von Vertretern aus Regierung, Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen von großer Bedeutung. Sie besteht darin, aus parlamentarischer Sicht Inhalte zu einem breiten Themenbereich aufzugreifen, die wir als Herausforderungen verstehen. Sie besteht aber auch darin, den Regierungen für ihr Gestaltungshandeln Vorgaben an die Hand zu geben und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Dies geschieht durch die Verabschiedung von Resolutionen, in denen sich die parlamentarische Sicht widerspiegelt.
Welche Themen sollen konkret aufgegriffen
werden?
Die durch die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise bedingten Auswirkungen in allen Bereichen werden aufgegriffen, und in der Debatte und Beratung versuchen wir als Parlamentarier, unsere Vorstellungen zu formulieren, deren Inhalte in den nationalen Parlamenten zur Sprache kommen und von den Regierungen umgesetzt werden sollten. Die Auswirkungen betreffen, um einige Beispiele zu nennen, die Produktion von und die Versorgung mit Nahrungsmitteln und die damit verbundene Preisgestaltung oder etwa die Preisbildung und Absatzmöglichkeiten an den Märkten.
Auf welche Schwerpunkte legt die deutsche Delegation ein besonderes
Augenmerk? Welche Initiativen bringen deutsche Parlamentarier
ein?
Für unsere Delegation sind natürlich alle Beratungs- und Tageordnungspunkte bedeutsam. Wenn eine große Delegation wie die deutsche zu einer solchen Konferenz reist, ist damit eine hohe Arbeitsintensität verbunden. Je nach ihren Schwerpunkten arbeiten die deutschen Abgeordneten in den Gremien und Ausschüssen der Versammlung. Ein besonderes Augenmerk legt die deutsche Delegation auf die von dem Präsidenten der OSZE-PV eingebrachte Resolution zur Stärkung und Reform der OSZE. Diese betrifft einen besonders wichtigen Bereich. Ich bin dankbar, dass Präsident Soares, mit dem ich eng in dieser Frage zusammengearbeitet habe, einige meiner Vorstellungen aufgegriffen hat. Insbesondere geht es dabei auch um das Verhältnis zwischen der OSZE-PV und dem Ständigen Rat. Besondere Aufmerksamkeit erfährt der von dem deutschen Delegationsmitglied, Frau Marieluise Beck, eingebrachte Antrag über die Zusammenarbeit im Energiebereich. Die Zielrichtung, die Zivilgesellschaft einzubinden und einen Wandel der Auffassung innerhalb der OSZE hinsichtlich einer globalen Energiewende herbeizuführen, wird auf breites Interesse stoßen.
Wie kann die PV der OSZE die Einhaltung der verabschiedeten
Beschlüsse kontrollieren?
Die Parlamentarische Versammlung der OSZE bittet ihre Mitglieder regelmäßig und seit kurzer Zeit in angemessenem Abstand nach Ende einer jeden Konferenz um Berichterstattung über die in den nationalen Parlamenten getroffenen Beratungen und die Möglichkeiten der Umsetzung der Inhalte der Resolutionen. In diesen Stellungnahmen kommt auch die Zusammenarbeit mit den Regierungen zur Sprache. In welcher Weise eine Umsetzung rasch und wirksam in jedem Mitgliedsland erfolgt, ist sehr unterschiedlich. Wichtig aber ist, dass die OSZE-PV weiß, welche Maßnahmen getroffen worden sind. Die Delegation des Deutschen Bundestages erstellt nach jeder Jahresversammlung einen ausführlichen Bericht, der dann den zuständigen Gremien des Bundestages und dem Auswärtigen Amt sowie dem Generalsekretariat in Stockholm zugeleitet wird. Insoweit ist die OSZE-PV über den Sachstand im Bundestag kontinuierlich unterrichtet.
Ein Schwerpunkt der Parlamentarischen Versammlung ist die
Wahlbeobachtung vor allem in Ländern Südosteuropas und
der GUS, der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Im vergangenen
Jahr haben Weißrussland, Aserbaidschan und die Republik
Moldau gewählt. Die OSZE hat eine Wahlbeobachtermission
entsandt und Unregelmäßigkeiten festgestellt. Wie geht
die Parlamentarische Versammlung mit diesem Thema um?
Wir greifen dieses Thema auf. Wir fühlen uns gerade bei diesen Vorgängen zum Handeln verpflichtet. Nach dem Kooperationsabkommen von 1997 ist der OSZE die politische Führungsaufgabe zugewiesen worden, gemeinsam mit dem Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, dem ODIHR, dafür einzutreten, dass die im OSZE Bereich stattfindenden Wahlen demokratisch vorbereitet und durchgeführt werden. Unsere Aufgabe umfasst sowohl die technische als auch die politische Dimension von Wahlbeobachtungen, deren Ziel auf die Durchführung echter Wahlen im Einklang mit den OSZE Verpflichtungen ausgerichtet ist.
Was passiert bei festgestellten
Unregelmäßigkeiten?
Wenn dann Unregelmäßigkeiten festgestellt werden, bleibt dies nicht folgenlos. Die Versammlung befasst sich mit diesen Vorkommnissen, erörtert sie in den zuständigen Gremien und mit dem ODIHR-Büro. Sie spricht die betroffenen Länder unter Hinweis auf den Inhalt der OSZE-Verpflichtungen an. Die Schwierigkeit des eindeutigen Nachweises sollte man bei dem erforderlichen Handeln nicht übersehen. Die Zusammenarbeit mit dem betroffenen Mitgliedsland kann sich sehr hartnäckig gestalten.