Berlin: (hib/VOM) Eine "Sofortbesteuerung" von aufgedeckten betrieblichen stillen Reserven bei Unternehmen, die ihren Sitz ins Ausland verlagern, ist am Mittwochnachmittag auf die überwiegende Kritik der Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses gestoßen. Diese Sofortbesteuerung ist Bestandteil des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und der Europäischen Genossenschaft ( 16/2710). Er sieht unter anderem vor, dass künftige stille Reserven in allen Fällen aufgedeckt und besteuert werden sollen, in denen ein Rechtsträgerwechsel (durch Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge) stattfindet, in denen Vermögen den Betrieb verlässt, die Steuerpflicht endet oder Wirtschaftsgüter dem deutschen Besteuerungszugriff entzogen werden. Nach Auffassung der Regierung entzieht die Sofortversteuerung dem Unternehmen zwar Liquidität, doch würde sich dies über die Lebensdauer eines Wirtschaftsguts wieder ausgleichen. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme der "ausnahmslosen Sofortversteuerung" sämtlicher stiller Reserven eine "mildere, aber ebenso wirksame" Besteuerungsmethode in Form einer Stundungsregelung gegenüber gestellt.
Der Vertreter des Instituts der Wirtschaftsprüfer vertrat die Auffassung, der Gesetzgeber versuche hier, Löcher zu stopfen, und gefährde dadurch das Steueraufkommen Deutschlands. Er riet aus europarechtlichen Gründen dazu, wie vom Bundesrat vorgeschlagen eine Stundungsregelung anstelle der Sofortversteuerung zu setzen. Durch die jetzt geplante Regelung werde keineswegs erreicht, dass "Besteuerungssubstrat" im Lande bleibt. Wolfgang Seibel vom Bund Deutscher Finanzrichterinnen und Finanzrichter bezweifelte ebenfalls, dass die Sofortversteuerung vor dem Europäischen Gerichtshof Bestand hätte. Nach seiner Auffassung hätte der Vorschlag des Bundesrates verdient, dass darüber mehr nachgedacht würde. Dieser Auffassung schloss sich auch Herbert Becherer von der Bundessteuerberaterkammer an. Im geplanten Wegfall bestehender Verlustvorträge sah er auch Hindernisse für sinnvolle wirtschaftliche Umstrukturierungen in Unternehmen. Dadurch werde das Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit gefährdet. Becherer empfahl, im Hinblick auf dieses Problem zu einer EU-Regelung zu gelangen. Jens Blumenberg von der Anwaltssozietät Linklaters Oppenhoff & Rädler sagte, die Möglichkeit der Rechtsform einer Europäischen Gesellschaft gebe es bereits seit 2004. Sie werde allerdings nicht genutzt, weil eine Sitzverlegung ins Ausland zu einer steuerlichen Geisterfahrt werden könne. Die Sofortversteuerung sei der "Pferdefuß", so Blumenberg.
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