Die "Best Ager" rücken in den Fokus der
Tourismusindustrie
Ausschuss für Tourismus (Anhörung) -
25.10.2006
Berlin: (hib/VOM) Die wohlhabenden und
reiseerfahrenen 50- bis 64-jährigen Jungsenioren, auch "Best
Ager" genannt, sind inzwischen die größte und
interessanteste Zielgruppe der deutschen Tourismuswirtschaft.
Darauf verwies Werner Sülberg, Leiter Marktforschung der
Deutsches Reisebüro GmbH, am Mittwochnachmittag in einer
öffentlichen Anhörung des Tourismusausschusses. Die
Abgeordneten wollten von Fachleuten erfahren, wie sich der
demographische Wandel auf den Tourismus auswirkt. Die Nachfrage
nach touristischen Leistungen zerfällt nach Angaben
Sülbergs immer mehr in kleine und inhomogene Zielgruppen. Sie
seien zum einen Schnäppchenjäger, zum anderen
Luxusshopper, die nicht mehr nur ihren Grundbedarf decken wollten,
sondern für die Emotionen und Erlebnisse im Mittelpunkt
stünden. Er und andere der geladenen Sachverständigen
machten aber auch darauf aufmerksam, dass die Tourismusmärkte
nicht zwangsläufig expandieren. Die Bevölkerungszahl und
teilweise auch die Einkommen schrumpfen, die Märkte werden
stagnieren. Damit einher geht eine steigende Lebenserwartung bei
gleichzeitiger niedriger Geburtenrate, wie Tilo Braune vom
Deutschen Tourismusverband unterstrich. Braune räumte auf mit
alten Klischees wie den über 50-jährigen
Harley-Davidson-Fahrern, dem Doppelherz oder Kukident. Individuelle
Angebote seien zunehmend gefragt. Professor Felizitas
Romeiß-Stracke vom Büro für Sozial- und
Freizeitforschung in München sagte, die Best Ager wollten
Begriffe wie "seniorengerecht" oder "behindertengerecht", aber auch
"barrierefrei" nicht hören. In diesem Sinne riet Johann W.
Wagner, erster Vorsitzender der Marketingkooperation der
Städte Schleswig-Holsteins, davon ab, von Seniorentellern,
"Forever young" oder Seniorenresidenzen zu sprechen. Dagegen
empfahl er den Restaurants, halbe Portionen anzubieten, die nicht
Seniorenteller heißen. Die Werbung müsse begreifen, dass
der Servicegedanke bei den Best Agern bedient werden müsse.
Norbert Tödter von der Deutschen Zentrale für Tourismus
prognostizierte, dass die deutschen Tourismusanbieter Marktanteile
verlieren könnten, weil sich zwischen 2015 und 2020 ein
anderes "Grundreiseverhalten" einstellen könnte. Schon jetzt
gebe es eine Stagnation der nicht mehr steigerbaren
Reiseintensität von 75 Prozent. Der Markt werde für die
über 55-Jährigen in Deutschland Chancen bieten, so
Tödter. Allerdings sei es Zeit, eine Diskussion um neue
Produkte zu führen. Tödter kündigte den
Höhepunkt des Best-Ager-Tourismus für die Jahre von 2015
und 2025 an. Schon jetzt verreise diese Altersgruppe am
häufigsten, berichtete Ulrich Reinhardt vom BAT
Freizeit-Forschungsinstitut. Während Familien mit Kindern im
Schnitt 17.500 Euro jährlich zur Verfügung hätten,
seien es bei Rentnern 19.000 und bei den Jungsenioren sogar 20.000
Euro. Beim demographischem Wandel muss nach Auffassung von Thomas
Petermann, dem stellvertretenden Leiter des Büros für
Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, die Abnahme
der deutschen Bevölkerung bei gleichzeitiger Zunahme der
ausländischen Bevölkerung in Deutschland
berücksichtigt werden. Seine These lautete, dass der nach 2015
einsetzende Bevölkerungsrückgang bis 2030 und dann bis
2050 zu einem deutlichen Einbruch der Zahl der Urlaubsreisen
führen werde. Unwahrscheinlich sei, so Petermann, dass dies
durch eine Steigerung der Reiseintensität ausgeglichen werden
könne. Einen Wertewandel prophezeite Professor Harald
Pechlaner von der Universität Eichstätt: statt konkreter
Urlaubsziele würden künftig immer häufiger
Wohlfühlkonzepte nachgefragt. Er sah den Urlaub der Zukunft
eng verknüpft mit dem Alltag. Die Alterung der Gesellschaft
erfordere neue Formen des Tourismus. Die Probleme weniger
begüterter Menschen in einer ostdeutschen Großstadt
umschrieb die Chemnitzer Bürgermeisterin Heidemarie Lüth.
Gemeinsame Reisen von Großeltern und Enkeln wären
für sie ein Segment, das es noch zu erschließen gilt.
Aus ihrer Erfahrung berichtete sie, dass die Stadt Chemnitz
Ferienfahrten für Kinder bezuschusse, diese Mittel aber gar
nicht abgerufen würden, weil die Eltern den Eigenanteil nicht
aufbringen könnten. Rüdiger Leidner, Vorstandsmitglied
der Nationalen Koordinierungsstelle "Tourismus für Alle"
(NatKo), wies auf den wachsenden Anteil von Reisenden mit
"Aktivitätseinschränkungen" hin. Diese stellten hohe
Anforderungen an die Servicequalität der Anbieter. Bei der
NatKo handelt es sich um einen Zusammenschluss von
Behinderten-Selbsthilfeverbänden.
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