Der Verantwortung und den Gefahren, die dieses Amt mit sich bringt, ist sich der 36-Jährige bewusst, wie er gegenüber "Das Parlament" eingestand: Der erste Präsident Georgiens, Swiad Gamsachurdia, wurde Anfang Januar 1992 durch einen Militärputsch verjagt. Dessen Nachfolger, Eduard Schewardnadse, musste am 23. November 2003 zurücktreten. Dazu hatte ihn die friedliche Revolution der Rosen unter Führung Michail Saakaschwilis gezwungen.
Der Georgier versicherte weiter, dass im Wahlergebnis die enorme Erwartungshaltung des Volkes gegenüber seiner Politik zum Ausdruck komme. "Ich übernehme jetzt eine schwere Verantwortung", betonte Saakaschwili. Es werde sehr schwer werden, diese Erwartungen schnell zu erfüllen. "Alle diese Hoffnungen beunruhigen mich, ja sie ängstigen mich", fügte er hinzu. Sollte es ihm gelingen, positive Veränderungen herbeizuführen, kann er sich auf die Unterstützung der Georgier verlassen. Denn der 36-jährige Politiker will die Menschen auf seinem Reformweg mitnehmen und die Fehler seines Vorgängers nicht wiederholen: "Schewardnadse hat sich zu sehr vom Volk entfernt". Deshalb hat sich der Neue vorgenommen, den Dialog mit der Gesellschaft "keinen Augenblick" zu unterbrechen.
Zu den wichtigsten Aufgaben des Präsidenten gehört die wirtschaftliche Stabilisierung des Landes. Dazu will er zuerst das Korruptionssystem beseitigen, das Schewardnadse hinterlassen hat: "Wir werden gegen viele offizielle Vertreter Georgiens Klagen anstrengen. Nur so können wir für finanzielle Disziplin in den staatlichen Stellen sorgen. Die Korruption in den Chefetagen muss aufhören". Es ist fraglich, ob es Saakaschwili gelingen wird, die aus der Sowjetzeit herrührende Vetternwirtschaft in Georgien zu zerschlagen. An Taten soll es nicht fehlen: So hat die neue georgische Regierung bereits erste Gesuche um Finanzhilfen an die USA, die EU, aber auch an den Internationalen Währungsfonds und an die Weltbank gerichtet.
Auch Deutschland messen die neuen georgischen Führer eine besondere Bedeutung bei: Saakaschwili hofft, dass Berlin - wie schon in den zehn Jahren seit der Unabhängigkeit der Kaukasus-Republik - auch in Zukunft eine große Rolle in Georgien spielen wird. "Deutschland hat viel für uns getan. Nicht nur mit humanitärer Hilfe, sondern auch mit Investitionen in den Aufbau unserer Energieversorgung oder unseres Bildungssystems." Auf diese Weise hätten nicht nur die Hauptstädter, sondern hunderte Studenten aus der georgischen Provinz die Chance erhalten, an deutschen Universitäten zu studieren. "Das verdanken wir allein der klugen deutschen Politik", unterstrich der Georgier. Der Präsident ist sich der Tatsache bewusst, dass die Deutschen wegen Schewardnadses Rolle bei der Wiedervereinigung besonders großzügig zu Georgien waren. Deshalb wünscht er sich, dass die deutsch-georgischen Beziehungen nicht durch den Sturz seines Vorgängers getrübt werden. Schließlich habe die Revolution Georgien nicht zurückgeworfen. "Im Gegenteil. Unser Land ist dadurch demokratischer, ja zivilisierter geworden. Auch europäischer, als es unter Schewardnadse jemals gewesen ist." Gleichwohl muss Saakaschwili einräumen, dass es vor allem dem internationalen Ansehen des früheren sowjetischen Außenministers zu verdanken war, dass Georgien in den Schlagzeilen der Weltpresse auftauchte.
Mit äußerster Vorsicht nähert sich der neue Präsident den nicht gelösten Nationalitätenkonflikten in Georgien. Er setzt auf eine friedliche Lösung der "sehr komplizierten Südossetien- und Abchasien-Frage". Da Russland als Konfliktpartei Teil des Problems ist, rechnet Saakaschwili nicht mit einer schnellen Schlichtung. Seine Vision von einem künftigen georgischen Staatswesen ist deshalb nicht weniger erstrebenswert: Der junge Präsident will einen Staat regieren, in dem Georgier, Armenier, Abchasen, Aserbaidschaner und Osseten als gleichberechtigte Staatsbürger leben und arbeiten. "Deshalb setzt sich unsere Regierung für die Integration der nationalen Minderheiten in unser gesellschaftliches und politisches Leben ein. Bereits geglückt ist dies mit den in Georgien lebenden Armeniern und Aserbaidschanern. Alle Minderheiten müssen die gleichen Rechte genießen. Das ist ein belastbares Fundament unseres Staatswesens."
Zu den wichtigsten außenpolitischen Zielen der neuen georgischen Regierung gehört die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Neben diesem langfristigen Ziel bleibt Saakaschwili jedoch realistisch: Er hat sich vorgenommen, in den kommenden zwei Jahren das Verfahren für eine assoziierte EU-Mitgliedschaft zu initiieren. Auch die weitere Annäherung an die NATO ist für Tiflis wichtig. "Bis heute sind allein die USA und die NATO Garanten unserer Sicherheit." Gleichzeitig soll Russland nach dem Willen Saakaschwilis "eine wichtigere, größere Rolle für den Schutz unserer Sicherheit" übernehmen. Allerdings soll der mächtige Nachbar zusichern, dass er sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Kaukasus-Republik einmischt. "Leider ist das bis heute nicht der Fall." Dessen ungeachtet will der Georgier den Kreml-Herrscher nicht unnötig reizen und bekräftigt: "Wir wollen uns nicht von Russland entfremden." Moskau möge sich also durch die Annäherungsversuche an die NATO nicht in "in seiner Sicherheit beeinträchtigt fühlen". Deshalb bleibt Georgien bis auf Weiteres Mitglied in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Allerdings sagt Saakaschwili der GUS keine rosige Zukunft voraus. Georgien werde jedoch keinen Grund konstruieren, um aus der GUS auszutreten. Schließlich sei Tiflis nach wie vor an einer Fortsetzung der wirtschaftlichen Integration interessiert. Insbesondere im Hinblick auf einen freien Warenverkehr und die Reisefreiheit.
In einem Streitpunkt zeigt sich die neue georgische Führung allerdings beinhart: Unmissverständlich fordert sie den Abzug der noch in Georgien stationierten russischen Truppen. Dazu will sie mit Moskau klare Vereinbarungen treffen, damit sich Russland aus dem Süden nicht bedroht fühlt. Im Gegenzug müssten die Russen aber "das alte Denken über eine ewige Militärpräsenz in Georgien vergessen". In diesem Zusammenhang dementierte er alle Meldungen über geplante US-Militärbasen in der Kaukasus-Republik. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld habe bei seinem Besuch in Georgien Anfang Dezember 2003 "kein Wort darüber verloren, nicht einmal andeutungsweise". Zugleich dementierte Saakaschwili entschieden alle Erklärungen, in denen er als Instrument der amerikanischen Politik dargestellt wird. Auch widersprach er öffentlich Äußerungen Schewardnadses, die Amerikaner hätten den Machtwechsel in Tiflis herbeigeführt. Der russische Außenminister Iwanow sprach gar von einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten Georgiens. Demgegenüber betonte Saakaschwili, die Amerikaner hätten den Georgiern nur geholfen, demokratische Wahlen zu organisieren und durchzuführen. Hilfreich sei es allerdings gewesen, dass Washington per Regierungserklärung die Fälschung der Parlamentswahl verkündet und damit vor aller Welt bestätigt habe. Dessen ungeachtet habe ihm die US-Botschaft in Tiflis den Sturm auf das Parlamentsgebäude nicht nahe gelegt. "Im Gegenteil. Die USA haben uns von Massendemonstrationen und Protesten abgeraten. Sie wollten auch nicht, dass wir den Rücktritt Schewardnadses fordern. Ich bin davon überzeugt, dass die Amerikaner keinen Plan für den Fall in der Schublade hatten, dass Schewardnadse geht." Der Präsident deutete eine enge Abstimmung zwischen Russland und den USA im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Kaukasus-Republik an. Unmittelbar vor der friedlichen Revolution habe der russische Außenminister Igor Iwanow lange mit seinem US-Kollegen Colin Powell gesprochen. "Dabei haben die beiden ihre Haltung zur politischen Entwicklung in Georgien abgestimmt." Die späteren USA-kritischen Erklärungen Russlands führt der Präsident auf die damals kurz bevorstehende Duma-Wahl zurück. Zudem habe Mos-kau wohl befürchtet, dass durch den Machtwechsel künftig eine pro-amerikanische Regierung installiert werde. Saakaschwili dazu: "Ich verwahre mich entschieden dagegen, in Georgien habe ein pro-amerikanischer Putsch stattgefunden. Wir sind eine Bewegung mit europäischer Orientierung und abendländischen Werten. Wir werden unsere Politik nicht auf ein oder zwei Länder focussieren."