Wo noch Leben ist, ist Hoffnung." Akbar Panjali ist 60 Jahre alt, braungebrannt und spricht ein nahezu perfektes Englisch. Die zurückliegenden acht Jahre leitete er das "Guest House" im iranischen Bam, gleich um die Ecke der heute wie eine Sandburg in sich zusammen gefallenen weltberühmten Altstadt. Vor wenigen Tagen war sie noch Weltkulturerbe, heute ist sie nach ihrer fast völligen Zerstörung lediglich Geschichte, ebenso wie Panjalis Herberge, in der Touristen aus vielen Ländern für umgerechnet acht Euro die Nacht schlafen durften, Rucksacktouristen sogar nur für den halben Preis - Dusche und Blick auf die prächtige Moschee im Preis inbegriffen.
Vor dem Guest House hat Akbar Panjali ein bemaltes Tuch aufgehaengt. "Bam is still alive", Bam lebt noch, hat er auf Englisch und Arabisch draufgemalt, davor einen Tisch gestellt mit Fotos der Toten aus seiner Straße, dazu eine Schachtel Datteln und Kerzen, die der Wind immer wieder ausbläst, den Wachs auf die Fotos träufeln lässt. "Ich bin nicht froh, überlebt zu haben", sagt er und berichtet davon, wie er seine elf Gäste aus den Trümmern zog, "ich bin jetzt nur glücklich, mich am Aufbau meiner Stadt beteiligen zu können." In der völlig zerstörten Stadt Bam sind Menschen wie Akbar Panjali in der Zahl der Überlebenden und Davongekommenen jedoch zum Glück kein Einzelfall.
Statt verdrossen in den Ruinen ihrer Häuser zu sitzen, räumen sie auf, sammeln ihre noch vorhandenen Möbelstücke aus den Trümmern, bauen ihre Wohn- und Schlafzimmer zwischen heruntergebröckelten Mauern auf, kochen Tee, bereiten das Essen für sich und ihre Familien zu. Mobile Bäckereien bringen inzwischen Fladenbrot, Lagerfeuer sorgen für die nötige Wärme in dieser Gegend, wo vor allem die Nächte bitterkalt sind. Zum Glück ist der vorhergesagte Schnee vorerst ausgeblieben. Kinder spielen Fußball in den Straßen, deutschen Besuchern rufen sie zu: "Oliver Kahn is great, Effenberg is super." Aus den vorüberfahrenden Taxis kreischt Dieter Bohlens "You're my heart, you're my soul..." Mütter reichen Orangen und Datteln, Männer bieten Zigaretten an, die allerdings schmecken, dass es einem vor Schreck beinahe die Socken auszieht. Die traditionelle iranische Gastfreundschaft hat dem Erdbeben tapfer standgehalten. Der Geist und der Mut der Menschen ebenfalls. Sie brauchen beides.
Die meisten der humanitären Helfer, darunter viele aus aller Welt, haben die Oasenstadt schon wieder verlassen, das Gelände der iranischen Armee, auf dem die Hilfskräfte in Zelten übernachten durften, ist inzwischen fast leer. Die humanitäre Soforthilfe ist fast schon abgehakt, die Katastrophe aber noch längst nicht überstanden. Bis zu 60.000 Menschen sind ohne Dach über dem Kopf, schlafen im Freien bei Temperaturen von minus sieben Grad. Hilfswerke wie der iranische Rote Halbmond, vergleichbar mit dem Internationalen Roten Kreuz, und World Vision verteilen weiterhin dringend benötigte Zelte und Decken, die Organisation Ärzte ohne Grenzen leistet medizinische Grundversorgung, die Vereinten Nationen kümmern sich ums Protokoll, die Europäische Union hat für die wichtige Kommunikation ein Satellitentelefon aufgestellt. Das Notwendigste eben. Auch wenn eigentlich mehr zu tun ist, als die Menschen hier selbst leisten können.
85 Prozent der Gebäude in und um Bam sind nur noch Staub und Ruinen. 30.000 Menschen lagen darunter begraben, wurden binnen weniger Tage in Massengräber gebettet, weitere 30.000 Menschen haben Bam verlassen. Das Krankenhaus liegt in Trümmern, keine Schule kann mehr besucht werden, es gibt kaum Toiletten, die dadurch entstandende prekäre sanitäre Situation hat nicht nur Ungeziefer gebracht, sondern auch erste Infektionskrankheiten. Darüber hinaus sorgen regelmäßige Nachbeben für anhaltende Unruhe unter der Bevölkerung. "Bislang hatten wir 78 Nachbeben, jedes zwischen zwei und drei auf der Richterskala", sagt Chefseismologe Mohammed Ghaforz-Ashtiany. Das katastrophale Beben kurz nach Weihnachten hat ihn allerdings kaum überrascht. Im Gegenteil.
"Wir haben damit gerechnet, jeden Tag", sagt er kurz und knapp. Schon deshalb lägen sämtliche Pläne für den Wiederaufbau der Stadt schon seit Jahren in seinem Büro, ein zusammengestürztes Modell des neuen Bam steht in der verstaubten Flughafenhalle, darüber hängt ein schiefes Bild des lächelnden Ayathollas. "Es bleibt nur zu hoffen, dass die Regierung uns das dafür notwendige Geld gibt und die Leute hier nicht auf eigene Faust anfangen, überall Gebäude im altertümlichen Stil zu errichten", sagt Mohammed Ghaforz-Ashtiany.
Ob alt oder neu, mit Hilfe der Regierung oder ohne, Moghdek Sadraddin (35) hat für die Zukunft derzeit keine Gedanken übrig, obwohl sie stark sein möchte. Erst vor wenigen Tagen hat sie ihre beiden Soehne, neun und ein Jahr alt, mit eigenen Händen aus den Trümmern ihres Hauses gezogen, in Tücher gewickelt und nach muslimischem Glauben binnen kürzester Zeit beerdigt. Ihr Mann liegt mit zertruemmertem Schädel in einem Notlazarett. "Wie soll ich je wieder glücklich werden. Aber ich will es. Das Leben geht weiter", weint sie hinter vorgehaltenem Schleier, während sie von einer Regierungsdelegation aus Teheran besucht wird.
Die Männer mit langen Bärten und grossen Turbanen, umringt von einer Schar Leibwächtern und von Parlamentsabgeordneten, nicken freundlich und lächeln milde. Danach verschwinden sie wieder in ihren Reisebussen, winken noch einmal höflich aus den Fenstern und lassen den Ort aus Staub und Schutt rasch hinter sich zurück. Und deren Menschen, die sich entschlossen haben, ihrer Stadt nicht den Rücken zu kehren, sondern sie wieder aus der Asche entstehen zu lassen, weil es ihre Heimat ist, nicht weil sie wohlgemeinte Worte aus ihrer Hauptstadt bekommen.