Herausgeber und Verlag verdanken wir bereits mehrere kulturgeschichtliche Wiederentdeckungen vom Bodensee. In dieser Reihe ist das "Logbuch" der Schriftstellerin, Pädagogin und Sozialistin Tami Oelfken (1888 - 1957) neu erschienen. Diese hochgebildete, in der europäischen Literatur beheimatete Frau, mit wachem Gewissen und großer Sensibilität für Anstand, steuert in tagebuchartigen Aufzeichnungen ihren Kurs durch die Jahre 1939 bis 1945.
Ihr Buch, erstmals 1946 erschienen, ist als überdimensionierter "Brief" an den klein gewordenen Kreis der Freundinnen und Freunde gerichtet. In einem ausführlichen Nachwort portraitiert Herausgeber Manfred Bosch die Autorin und charakterisiert das Buch zutreffend als ein bewegendes menschliches Dokument. Ihre leidenschaftlich-klugen Einsprüche gegen eine Zeit, die alle moralischen Maßstäbe verriet, macht es zu einem großen literarischen Zeugnis weiblicher Selbstbehauptung und Widerständigkeit.
In ihrer Gegnerschaft zu Hitler durfte sie sich im Recht wissen. Sein Programm hatte sie schon früh durchschaut. Sie hat in keiner besonderen Nähe zu Entscheidungsträgern gestanden, trotzdem hat sie stets - im Gegensatz zu vielen ihrer Zeitgenossen - die Härten und Fehlentwicklungen des Systems dem Diktator selbst und nicht etwa seinen Unterführern angelastet.
Ihre Miniaturen dieser verkommenen, blind gehorsamen Unterführer sind besonders gelungen. Gerade die kleine Macht der Subalternen baut sich auf trüben Eigenschaften auf, die sie als dumm und launisch entlarvt. Als die Wehrmacht 1940 in Paris einzieht und dieser Sieg im "Reich" tagelang Euphorie auslöst, fühlt sie sich krank, weil sie darin die barbarische Herrschaft der Nazis erkennt und nicht etwa die "gerechte Revanche" für das "Versailler Diktat". 1934 mit einem Berufsverbot als Pädagogin belegt, versuchte sie, sich in Frankreich eine neue Existenz aufzubauen. Dieses Vorhaben scheitert, Mitte 1939 kehrt sie in das Land "rechthaberischer Ordnung" zurück, in dem die terroristische Einschüchterung der Bürger die Regel war, wie sie es selbst in Gestapo-Verhören erfahren musste.
Sie wechselte ihren Wohnsitz von Berlin an den Bodensee und versuchte sich mit erstaunlicher Produktivität vom Schreiben zu ernähren. Aber nachdem die Nazis Kultur und Sprache raubten - sie wird 1942 zusätzlich mit einem Publikationsverbot belegt -, sind ihre Möglichkeiten gering, sie muss still halten. So beginnt sie im Krieg am geistigen Wiederherstellungswerk zu arbeiten, damit Deutschland frei und europäisch werde.
An ihrem Buch und an dem, was sie dargestellt hat, kann man ablesen, dass die Bildung, die seit Beginn der bürgerlichen Gesellschaft die Domäne der Frauen war, zu weit mehr verhelfen konnte als nur die schöngeistige Hälfte der bürgerlichen Familie zu repräsentieren. Nachdem ihr alle Orte und sozialen Bezüge genommen waren, blieb ihr dennoch genügend humane Substanz. Sich diese zu erhalten, wurde ihr wichtigstes Anliegen. Obwohl sie chancenlos lebt, krank, von Freunden isoliert - trotzdem gibt sie dem Anpassungsdruck nicht nach. Das ist viel.
Tami Oelfken
Fahrt durch das Chaos.
Ein Logbuch aus Zeiten des Kriegs.
Herausgegeben von Manfred Bosch.
Libelle Verlag, Lengwil 2003; 413 S., 22,80 Euro